Dass sich bislang niemand an die Verfilmung der Geschichte des deutschen Fernsehens gewagt hat, ist eigentlich kein Wunder – schließlich würde die vom Jugendschutz unweigerlich eine Altersfreigabe ab 18 Jahren erhalten. Denn Senderleichen pflastern ihren Weg: tm3, Viva, DF1, 9Live, RTL II You – alle schon dahingerafft. Und nur den wenigsten gelingt die Wiederauferstehung. (Kurzes Shout-Out an Tele 5!)

In Großbritannien ist ein solches Kunststück gerade geglückt. Fast genau sechs Jahre sind vergangen, seitdem das alte Tantchen BBC ihrem Enkel überraschend die Lizenz zum linearen Senden entzogen hatte – und dem fürs junge Publikum gemachten Kanal BBC Three wegen notwendiger Sparmaßnahmen mehr als zwei Drittel des Budgets kürzte, um den verbleibenden Rest vollständig ins Netz zu verweisen. Mit der Begründung, dass die Jüngeren inzwischen hauptsächlich online fernsähen und seltener klassisch linear („the evidence ist very clear“).

Petitionen für einen Weiterbetrieb des Senders, der Erfolge wie „Little Britain“, „Torchwood“ und „Being Human“ hervorgebracht hat, konnten damals ebenso wenig an der Abschaltung ändern wie Übernahmeangebote unabhängiger Produzenten. Mit reichlich Verspätung hat man aber auch im Londoner Broadcasting House eingesehen, dass das vielleicht nicht die allerbeste Entscheidung gewesen ist.

„Real Relevant Stories“ fürs junge Publikum

Einer Studie der City University of London zufolge war die Aufmerksamkeit für BBC-Three-Inhalte, gemessen an der Zahl der gesehenen Minuten, nach dem linearen Abschied förmlich kollabiert. Im „Annual Plan 2020/21“ räumte die BBC ein, durch die reine Online-Präsenz „a big available audience on linear television“ sitzen gelassen zu haben, das für die zweifellos erfolgreichen jungen Programminhalte von BBC Three aufgeschlossen wäre. Und schwor, sich dieses Publikum – nach der notwendigen Zustimmung der Ofcom – zurückzuholen (Original-PDF).

Am 1. Februar ist BBC Three („Now on TV!“) als linearer Sender für Zuschauerinnen und Zuschauer von 16 bis 34 Jahren zurückgekehrt und kann Erfolge wie „Normal People“ und „RuPaul's Drag Race UK“ jetzt wieder im eigenen Programm zeigen. Eine ganze Reihe lauter, ungewöhnlicher, junger Inhalte ist auch schon angekündigt: Die Gender-Identity-Doku „Cherry Valentine: Gipsy Queen and Proud“, Extrem-Traktor-Bowling bei „The Fast and the Farmer-ish“, die Eiskunstlauf-Doku „Freeze“, die „music based drama“-Serie „Mood“ und anderes. Ein Trailer für die Zielgruppe verspricht „Real Relevant Stories“ und „Brave New Voices“ als echte Alternative zu den übrigen TV-Angeboten der BBC. „We know the landscape has changed but live broadcast TV delivers the most overall viewing for UK audiences. It still matters“, heißt es dazu.

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Währenddessen arbeitet das öffentlich-rechtliche Fernsehen hierzulande hart daran, sich auf keinen Fall fehlende Gründlichkeit vorwerfen zu lassen. Die ARD zum Beispiel wäre jetzt bereit, den Fehler der BBC von damals nochmal neu zu machen.

Jedenfalls sieht derzeit alles danach aus.

Die ARD als Junges-Publikum-Versteher

Nachdem man über viele Jahre Notwendigkeit und Relevanz eines ansprechenden Streaming-Angebots für mittelalte Gebührenzahlerinnen und -zahler verpennt hat, reisen die unterschiedlichen ARD-Würdenträger inzwischen von Interview zu Interview, um zu bekräftigen, dass sie verstanden haben, wie wichtig die endlich angestoßene Transformation ist. Jörg Schönenborn, WDR-Programmdirektor für Information, Fiktion, Unterhaltung und ausgelutschte Metaphern, hat angedroht, „auf der Klaviatur der Altersgruppen jetzt die jungen Tasten spielen“ zu wollen; Programmdirektorin Christine Strobl ist mit ihrem Mediathek-First-Ansatz schon an diversen Stellen im Senderverbund angeeckt; und der Ex-ARD-Vorsitzende Tom Buhrow hat sich im Vorjahr im offiziellen Sprachorgan des Fortschritts, der „FAZ“, als Junges-Publikum-Versteher positioniert: Bis 2030 würden sich die Beitragszahlenden „aus einer einzigen großen öffentlich-rechtlichen Mediathek“ bedienen können: „Spartenkanäle im linearen Fernsehen sind 2030 größtenteils Geschichte und werden in dieser Mediathek aufgegangen sein.“

Dass die Rundfunkkommission der Länder sich gerade anschickt, es in ihrem neu formulierten Auftrag an die Sender künftig (größtenteils) ARD und ZDF zu überlassen, welche Programme noch linear veranstaltet werden und welche davon in ein reines Online-Angebot überführt werden, hat man sich in Köln geschickt zurechtlobbyiert.

Und es braucht nicht viel Fantasie, um zu erahnen, welche Angebote der Neuregelung nach ihrem Inkrafttreten zum Opfer fallen könnten: Die BR-Intendatin schwärmte bereits öffentlich von ARD Alpha als künftigem „multimedialen Bildungs- und Wissensangebot“; und Buhrow macht, ohne es konkret zu sagen, keinen Hehl daraus, dass er sich im WDR künftig lineare Programme wie One, das vor fünfeinhalb Jahren aus Einsfestival hervorging, sparen mag. Angesprochen auf die mögliche Linear-Einstellung seines Senders erklärte der One-Chef Ingmar Cario, nebenberuflich Hauptabteilungsleiter Programmmanagement beim WDR, im vergangenen Jahr gegenüber DWDL.de, man müsse das "sportlich sehen“.

Willkommen im Jahr 2016!

Wer als Kleinstsender Programmverantwortliche mit einer solchen Ambition im Minusbereich hat, braucht wahrlich keine Konkurrenten mehr. Wobei man in Köln freilich eine gute Erklärung für die „Sportlichkeit“ im Umgang mit der eigenen Programmmarke hat: Die jungen Leute gucken eh alles online.

Und damit willkommen im Jahr 2016, liebe ARD!

Um den Dom aber mal im Dorf zu lassen und niemandem eine Eins für 'ne Drei vorzumachen: ARD One ist und war wahrlich nie ein BBC Three. Als Marke ist der Sender so unbekannt, dass man ihm nicht mal mehr eine eigene Website gönnt. Und während Three gerade „Bold Provocative Entertainment“ verspricht, murmelt One rätselhaft „Eins für euch“ vor sich hin.

Der Kanal dient der ebenso geschätzten wie sperrigen Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands derzeit vorrangig als Abspielstation europäischer Serienlizenzware, von der man sich in erster Linie erhofft, dass sie nach der linearen Pflichtausstrahlung in der Mediathek gut ankommt. In Köln ist man derweil schon stolz darauf, die eingekaufte Kreativität der anderen nicht komplett in der Nacht zu versenden und das Schema sonst mit quotenrächtrigen Krimis vollzuknallen – so wie es das ZDF mit seinem Ableger Neo praktiziert. (Zu dem sich One absurderweise als Anagramm verhält.)

Aber das ist freilich ein Luxus, den man sich innerhalb der ARD auch nur deshalb leistet, weil es sowieso schon tausend andere Abspielflächen für Inhalte gibt, die berechenbar Quote versprechen.

Der kleine Sender mit Mut zum Flop

Dabei hätte es One verdient, mehr als nur der kleine doofe Sender zu sein, der regelmäßig Mut zum Flop beweist, den Talk von Katrin Bauerfeind beherbergt und ein bisschen in Female Comedy zu investieren plant. Mit einem jährlichen Programmbudget im unteren einstelligen Millionenbereich lässt sich allerdings wenig reißen. Und genau das ist das Kernproblem: One wird in Köln seit jeher nebenbei mitverwaltet. Ein ernsthafter Ansatz, ihn als junge Programmmarke der ARD aufzubauen (und die dafür notwendiger Budgets in Absprache mit anderen Landesrundfunkanstalten bereitzustellen), gab und gibt es nicht. Selbst die viel beachtete – im besten Sinne öffentlich-rechtliche! – Polit-Satire „Parlament“, die One koproduziert, floppte bei ihrer linearen Erstausstrahlung vor zwei Jahren; wohl auch, weil One seinem potenziellen Publikum bislang nie als Anlaufstelle für originäre Serienproduktionen vertraut gewesen ist.

Dabei könnte die ARD eine solche (analog zu Funk fürs ganz junge Publikum) durchaus gebrauchen, um damit im Digitalen und im Linearen unterschiedliche Nutzungssituationen zu bedienen. Weil auch 25- oder 35-Jährige manchmal keinen Bock haben, auf der Suche nach passendem Entertainment für den Bewegtbildabend durch tausend Programmkacheln der nicht unbedingt als Streaming-Schönheit glänzenden ARD Mediathek zu scrollen.

BBC Three gingen zwei Drittel der monatlichen Zuschauerinnen und Zuschauer verloren, als der Sender sich ausschließlich ins Netz verabschiedete. Davor braucht man bei One mit einem Marktanteil von – immerhin – 0,6 Prozent (bei den 14- bis 49-Jährigen) zwar keine Angst zu haben. Aber das liegt auch daran, dass das Potenzial des Senders nie auszuschöpfen versucht wurde.

Eine glaubwürdige Submarke für junge Inhalte

Ohne lineare Andockmöglichkeit bliebe der ARD, selbst wenn sie in der Mediathek künftig einen Zielgruppen-Hit nach dem nächsten schaffen würde, zudem immer nur die Möglichkeit, die betreffenden Inhalte an den Programmrändern der etablierten Sender zu zeigen, um deren Publikum nicht zu verschrecken. Genau das also, was die BBC mit dazu veranlasst hat, ihre Entscheidung zu BBC Three zu revidieren.

Die ARD bräuchte dringendst eine glaubwürdige Submarke, unter der sich junge Programminhalte – von denen die ersten ja bereits umgesetzt wurden oder angekündigt sind – kanalübergreifend zusammenfassen ließen, und die biedere ARD Mediathek wird diese Repräsentanz alleine genauso wenig leisten können wie ein von Schönenborn vorgeschlagener Titel „ARD-App“. (Ohgottohgottohgott.)

Dafür müsste in Köln und München aber noch ein Ruck durch Intendanz und Direktion gehen, um ein gestärktes One-Team mit einem Programmbudget auszustatten, das diesen Namen auch verdient hätte. Und ein Konzept zu erarbeiten, das ebenso modern wie fortschrittsoffen wäre. Das ist derzeit nicht in Sicht.

Diverser, kreativer, vielfältiger

Für den Neustart von BBC Three ist man bei der BBC gleich mehrere Kernverpflichtungen eingegangen: Der Sender hat sich explizit einer deutlich diverseren und kreativeren Programmplanung verschrieben als sie von den Traditionssendern erwartet werden kann; zwei Drittel des Budgets sollen außerhalb Londons ausgegeben werden, um dort ansässige Produktionsformen zu stärken (und vielfältigere Blickwinkel zu ermöglichen); außerdem wurden mit Produzentinnen und Produzenten umfassende Verwertungsrechte für lineare und digitale Ausstrahlung vereinbart, die sowohl der zu erwartenden Nutzung durch die Zielgruppe als auch den Bedürfnissen der Kreativwirtschaft gerecht werden sollen.

Nachdem das ZDF zu Gunsten der Absicherung seines quantitativ messbaren Erfolgs mit Neo so spektakulär am eigenen Anspruch gescheitert ist, wäre es umso wichtiger, dass die ARD erkennt, welche Chance (und Pflicht!) sie hätte, eine öffentlich-rechtliche kanalübergreifende Programmalternative für junge Zuschauerinnen und Zuschauer zu etablieren.

Von mir aus auch, indem man sich die einfach im europäischen Ausland abguckt. Aber halt verdammt noch mal fürs Jahr 2022! Oder wie man in Großbritannien eingesehen hat: "Make no mistake, when it comes to content discovery, a BBC broadcast channel still has a massive role to play."

Und damit: zurück nach Köln.