Die allermeisten Prominenten unternehmen gewaltige Anstrengungen, um ihren Nachwuchs aus der Medienberichterstattung über sie komplett herauszuhalten – weil die Kinder ja nichts für den Job der Eltern können und irgendwann selbst entscheiden sollen, ob es sie in die Öffentlichkeit zieht oder nicht.
Also: Außer man arbeitet an der Errichtung eines generationenübergreifenden Reality-Imperiums. Dann gilt das exakte Gegenteil.
So wie bei Carmen und Robert Geiss, die sich als Selfmade-Millionäre seit über einem Jahrzehnt im deutschen Fernsehen festgesetzt haben, und zwar so nachhaltig, dass morgen der erste Montag in diesem Jahr sein wird, an dem RTLzwei im Programm freiwillig auf Neues aus dem kölschen Familien-Clan verzichten wird. Da ist es bloß konsequent, dass die beiden Geiss-Töchter vorher noch ihre erste eigene Dokusoap bekommen haben, von der bis zur vergangenen Woche überschaubare sechs Episoden gelaufen sind.
Und zwar mit ähnlichem Erfolg wie für die regulären "Geissens", deren Sendeplatz "Davina & Shania – We love Monaco" übernehmen durfte, wobei Mama und Papa in den meisten Szenen ohnehin mit dabei waren, sich gerade telefonisch ankündigten oder gleich zum Abendessen vorbei kommen wollten.
Ausweitung des familiären Fernsehschaffens
Die Auskoppelung ist eine konsequente Line Extension des familiären Fernsehschaffens, nachdem Geissens-Fans zuletzt bereits umfassend darauf vorbereitet wurden, dass die Teenager langsam flügge werden und deshalb ihre erste eigene Wohnung im Stadtstaat an der französischen Mittelmeerküste beziehen durften: auf 150 Quadratmetern (je nach Stimmungslage der Bewohnerinnen: "groß genug" oder "fast kein Platz") im monegassischen „Columbia Palace“ mit Top-Ausblick zwischen den Wohnsitzen von Lewis Hamilton und Nico Rosberg.
Und wer daheim auf dem durchgesessenen Sofa nicht ganz genau hingesehen hat, dürfte in dieser noch etwas loser als sonst zusammengeschnittenen Ereigniskette gar nicht erst gemerkt haben, dass unten am Bildschirmrand plötzlich ein neues Logo eingeblendet war, zumal sich das TV-Imperium der Trash-Guldenburgs auch erzählerisch weitgehend treu geblieben ist: in Form eines ununterbrochenen Ereignisstroms ohne jegliche Ambition zur dramaturgischen Ordnung – und ohne Notwendigkeit einer solchen, weil es erfahrungsgemäß völlig ausreicht, wenn immer irgendwelche Dinge passieren: Der Überraschungsbesuch beim 80. Geburtstag von Opa Reinhold in einem spanischen Golfclub, die trotz Flyboard bisschen lahme Party auf der familieneigenen Yacht (buchbar für 85.000 € pro Woche zzgl. TVA + APA), die Ankunft der nagelneuen Einbauküche, der Spontanausflug in die Familien-Skihütte in Valberg, wo der Audi mit den Sommerreifen immer den Hang runtergeschlittert ist, weswegen man mit dem Jeep zum Bäcker mus… – ach, Sie wissen schon.
Vor allem aber war die Reihe der vorläufige Höhepunkt eines soziologischen Experiments, das es in dieser Form so nirgendwo sonst im deutschen Fernsehen zu sehen gibt.
Beim Erwachsenwerden zusehen
Schließlich erlaubt es die immerwährende TV-Präsenz der Millionärssippe regelmäßigen Zuseherinnen und Zusehern bereits seit Jahren, den Töchtern beim Erwachsenwerden zuzusehen – nur halt, anders als bei weniger vermögenden Familien, im ständigen Wechsel zwischen Monaco und Miami, Seychellen und Saint-Tropez, Dubai, New York und Ibiza.
Davina und Shania Geiss, 18 und 17 Jahre alt, sind sowas wie die Antithese zur Fridays-for-Future-Generation: zwei Teenager, die sich eher nicht mit Klimakrise und Polit-Engagement auskennen, dafür aber mit Kartfahren und Konsum ("Gucci hat noch okaye Preise für Taschen, im Gegensatz zu Louis Vuitton"). Die eine plant, Immobilienmaklerin zu werden, wovon ihr die neue Hauswahrsagerin jüngst allerdings abriet; die andere steckte bis vor kurzem mitten in den Abiturvorbereitungen ("Ich werd die Schule vermissen. Wir waren da schon seit Kindergarten") und kennt ihre Prioritäten: "Man ist ja nur einmal jung."
Beide haben sich jeweils den Namen der anderen tätowieren lassen, aber im gleichen Hotelzimmer schlafen geht gar nicht, weil: Wie soll man dann ohne Kopfhörer TikTok gucken? Getrennt sind sie trotzdem fast nie, außer, eine hat sich gerade den Magen verdorben oder den Pass "geklaut" bekommen und muss alleine in Saint-Tropez übernachten, während die Familie schon in den Urlaub vorfliegt, um von dort das französische Generalkonsulat in die Angelegenheit einzuschalten.
Mama, kauf! Und Mama macht
Wie bei Geschwistern halt so üblich, lieben und zoffen sie sich abwechselnd, bloß mit der Besonderheit, dass beim Streiten (z.B. über die Verteilung von Haushaltspflichten) gerne ins Englische gewechselt wird: "I was doing the kitchen, the living room and the entrance area and my room, so shut up!"
Von "Das ist meine kleine Schwester, sie ist mein ganzes Leben" bis "Ich bin wie eine Mutter für sie, sie kann gar nix" ist es oft nur ein kleiner Schritt.
Aber meistens wird man sich schon irgendwie einig, allerspätestens beim Shoppen, wenn Shania einräumt: "Ich hab nicht wirklich alle in meiner Familie im Griff, aber manchmal (…) such ich mir was aus, sag: Mama, kauf! Und Mama macht." Und Davina bringt die Geiss'sche Lebensphilosophie auf den Punkt: "Man kann ja nie genug haben."
Es ist eine kuriose Mischung aus Alltagsproblemen, wie sie Teenager nunmal haben (kein Bock auf Aufräumen, die Eltern nerven, lass mich schlafen nach der Party), und völliger Abgehobenheit in einem Leben, das die allermeiste Zeit daraus besteht, mit Privatjets an entlegene Orte zu fliegen, um dort neue Dinge zu kaufen, weil man der alten müde geworden ist – so wie es die Eltern über unzählige Staffeln vorgelebt haben. Und nie, wirklich nie ist man beim Zusehen neidisch, wenn wieder irgendein teurer Schrott angeschafft wird, weil der ja auch nicht lange hält, bis er eingesaut ist, abgeschleppt wird, repariert werden muss oder sonstwie Ärger macht.
Geschäftstüchtigkeit in der Selbstvermarktung
Nun tut man Geissens sicher nicht ganz unrecht, wenn man der Familie eine gewisse Geschäftstüchtigkeit in Sachen Selbstvermarktung unterstellt, oder wie Familienvorständin Carmen meint: "Wir können Geld verdienen. Das ist wichtiger als den ganzen Tag am Handy rumzusitzen." Kein Wunder, dass es Priorität hat, diese Fähigkeit an die nächste Generation weiterzugeben – wenn auch bislang mit durchwachsenem Ergebnis.
Nach dem Umzug in die erste eigene Luxuswohnung kam es neulich zum geradezu theaterhaften Streitgespräch zwischen Mutter und Tochter, die darauf pochte, für die neue Butze einen Putzservice zu beauftragen:
Carmen: "Wo verdienst du denn die Kohle?"
Davina: "Ich verdien' Geld von Sponsorships!"
Carmen: "Es kommt nicht aus Mamas und Papas Tasche raus."
Davina: "Wir müssen schon Monatsgeld von dir bekommen für diese Wohnung. Für Essen!"
Carmen: "Spinnst du? Ich zahl die Miete! Essen musst du selbst bezahlen."
Davina: "Nein!"
Carmen: "Du bist 18, du musst arbeiten!"
Davina: "Warum bezahlt ihr nicht das Essen? Wollt ihr, dass eure Kinder sterben?"
Robert: "An dir ist genug dran."
Davina: "Dann komm ich jeden Tag bei dir essen."
Spätestens seitdem RTLzwei für die Davina-&-Shania-Dokusoap gutes Geld an Geiss TV überweisen wird, dürfte das mit der Reinemachhilfe und der Lebensmittelversorgung aber vermutlich geklärt sein. (Zumal die Leere-Champagerflaschen-Sammlung im Wohnzimmerregal darauf hindeutet, dass an Ort und Stelle trotz Inflation bislang zumindest niemand verdurstet ist.) Und für alles andere, das noch erledigt werden muss, taucht dann ja doch immer aus heiterem Himmel irgendein Handwerker auf, der den jungen Damen beim Lampeneinschrauben erklärt, was ein Dübel oder eine "Abdungshaube" (= Dunstabzugshaube) ist bzw. die Spanndecke im Wohnzimmer einfönt.
Von wegen chillig und nie Stress!
Dass es auch in den vermögendsten Familien regelmäßig zum Zoff zwischen den Generationen kommt, wirkt dabei geradezu beruhigend. Zum Beispiel, weil Mama und Papa den Töchtern ihre alten Möbel aufdrücken: "Wir sind noch von der alten Schule“, argumentiert Carmen. „Alles, was man noch gebrauchen kann, soll man auch verwenden." Oder mindestens: für den potenziellen späteren Gebrauch zwischenlagern. (Alternative? "Hilfsbedürftige freuen sich über jeden Schrank!")
Das sehen die Töchter naturgemäß anders. „Also meine Eltern sind sehr anstrengend. Wer auch immer denkt, die sind richtig chillig und nie Stress – umgekehrt!", verrät Davina. "Überhaupt keine Geduld und wenn du was Falsches machst – end of the world." (Wie neulich, als Shania ohne zu fragen den Jeep mit ihrem Namen besprayt hat.)
Dagegen wissen die Eltern: "Wenn die zwei in einem Zimmer zusammen schlafen, ist der Urlaub vorbei, ich schwör's dir." Und leiten den Zweitnamen der Jüngsten etymologisch kreativ ab mit: "Tyra kommt von Tyrann."
Am Ende, und darauf kommt's ja wohl an, siegt aber doch meist die gegenseitige Wertschätzung, und vom Geiss'schen Zusammenhalt kann so manch andere Sippschaft nur träumen. "Wir sind stolz auf euch!", knutscht Papa Geiss in die Kamera, lobt "Sehr schön hast du das gemacht", wenn die Erstgeborene das Hotelpersonal in Dubai angewiesen hat, die gemietete Suite anlässlich des Hochzeitstags der Eltern festlich zu beschmücken, und differenziert mit gewohntem Effizienzfokus: "Am Ende kann ich mich auf Davina perfekt verlassen. Sie kann sehr gut organisieren. Das Talent hat Shania leider Gottes nicht. Dafür ist sie künstlerisch besser unterwegs. So haben beide Kinder ihre Vorteile."
(Wobei das erwähnte organisatorische Talent manchmal auch einfach darin besteht, wie Davina zu wissen, bei welchen Handwerksarbeiten man nicht gebraucht werden kann: "Ich mach einfach die Augen zu, dann hab ich damit nix zu tun.")
Immer eine Quittung für die Steuer
Derweil hat Mama Geiss angekündigt, den Liebsten bei der Partnerwahl nicht groß reinreden zu wollen: "Der kann auch bei der Müllabfuhr arbeiten. Aber es muss Liebe sein!" Hauptsache, die Kinder berücksichtigen bei allem, was sie in Zukunft unternehmen, die wichtigste Regel erfolgreicher Familiendynastien: Bei der Ausgabenproduktion immer eine Quittung für die Steuer mitnehmen!
Und selbst wenn vieles aus der TV-Welt der Geissens nachgeholfen inszeniert sein mag, um das Publikum vor den Fernsehgeräten damit zu unterhalten, ist es doch bemerkenswert, wie sehr sich die beiden jüngsten Mitglieder daran gewöhnt haben, sich auch in alltäglichen Situationen vor der Kamera nicht ansatzweise die Mühe geben zu müssen, besser, schlauer, sympathischer oder weniger kindisch wirken zu wollen – weil: wozu denn?
Also wird von der Couch aus ohne Scham das Umzugspersonal beim Kistenschleppen herumkommandiert. Und nicht nur darüber gestritten, wer größer ist als der andere oder wer wen zuerst mit Farbe beschmiert hat, sondern auch darüber, wer Schuld am kaputten Armband ist, wenn man sich mit Bällen abgeworfen oder Mineralwasser in die Augen gespritzt hat.
Ein bisschen "Hate"
Im nächsten Moment kann man sich ja wieder miteinander verbünden, um Mama und Papa beim selbstgemachten Wiener Schnitzel auf Rucola-Deko die Kohle für die in Gedanken bereits angeschafften neuen Möbel aus der Kreditkarte zu leiern.
Wahrscheinlich braucht es im Gegenzug großen Gleichmut: einerseits, um zu ertragen, wie die Eltern ständig vor einem Millionenpublikum alte Peinlichkeiten auspacken und erzählen, wie das damals war, als Töchterchen Nummer zwei zur Entwindelung auf eine Thron-Toilette geschickt wurde, die bei erfolgreicher Benutzung jedes Mal einen Tusch abspielte; und andererseits, um dauerhaft mit den Kommentaren derjenigen zu leben, die in sozialen Medien weniger charmant auf den medial vorgelebten Luxus reagieren. "Wir lieben unsere Fans und wir machen mit jedem Fotos", hat Shania gerade gesagt, und Davina ergänzte vorsichtig: "Aber ein bisschen Hate bekommen wir immer noch."
So ist das wohl beim Erwachsenwerden – und wenn man ständig von allen dabei beobachtet wird, vermutlich noch viel unangenehmer als ohnehin schon. Mutter Carmen weiß das glücklicherweise ins Positive zu drehen: "Die Geissens sind, wie sie sind, aber wir sind noch lange nicht am Ziel."
Oh, ich seh' grad: schon nach 13 Uhr. Erstmal Mittagessen.
Und damit: zurück nach Köln.
Alle Folgen von "Davina & Shania – We love Monaco" und "Die Geissens" sind bei RTL+ abrufbar.