Weil das deutsche Quizfernsehen zur Primetime sonst vornehmlich Schlaumeiers in die erste Reihe setzt, hat RTL in der vorgegangenen Woche mal das Gegenteil ausprobiert – und Dschungel-Star Evelyn Burdecki mit Fußballer Kevin Großkreutz ans Ratepult gestellt, hinter dem Elton in seinem roten Jackett steht, um beim erneut als eigenständige Show ausgekoppelten "Blamieren oder kassieren" zehntausend Euro loszuwerden.

Und es hatte durchaus seinen Reiz, den beiden dabei zuzusehen, wie sie sich mit den Fragen mühten, wofür die Duden-Abkürzung "Abk." steht; wie eigentlich die Stadt heißt, die laut Frank Sinatra nie schläft ("Las Vegas?"), welcher Tom nochmal die Hauptrolle in "Schlaflos in Seattle" gespielt hat ("Tom Cruise") und wie der Bundesgesundheitsminister heißt – worauf Burdecki mit geradezu Einstein'scher Genialität erklärte: "Ich wüsste es – aber ich weiß nicht, ob ich's weiß."

Zuvor hatte sie sich schon unterhaltsam über Großkreutz aufgeregt, der Kandidat:innen eines "Bachelor"-Ausschnitts korrigierte, die über den richtigen Titel von "Aladin und die … Wunderkerze" spekuliert hatten: "Duftlampe!" – "Dein Ernst???"

Upsi, daneben – Ende, Abspann

Auch das Saalpublikum glänzte bei der Auswahl der Finalkontarhentin zunächst mit erfrischendem Nichtwissen: Mit welchen Tieren beschäftigen sich Ornithologen? Mit Kühen! Und in welchem Ozean liegen die Kanaren? Im Kanarischen, natürlich!

Und als Burdecki es nachher nicht nur erfolgreich durch die Quali-Runde geschafft, sondern auch ihre spätere Studiogegnerin bei Gleichstand zur Schätzfrage gezwungen hatte, unterbrach sie Elton übereuphorisch in dessen Formulierung der richtigen Antwort und ließ all ihr Glück aus sich herausplatzen: "Habe ich GEWONNEN? Oh – mein – Gott! Ich hab noch nie was im Fernsehen gewonnen. Das ist so ein historischer Moment für mich! Das kannst du dir nicht vorstellen!" – um von ihrer Kontrahentin darauf hingewiesen zu werden, dass sie sich nur verhört hatte.

Upsi, daneben. Ende, Abspann.

Nun muss man dazu sagen, dass es sich der inzwischen nur noch TV-Gütesiegel-verteilende Erfinder von "Blamieren oder kassieren" zwar hoch anrechnen lassen kann, es fertig gebracht zu haben, das ebenso traditionsreiche wie schlichte Quiz schon zum zweiten mal als eigenständige Show ausgekoppelt zu kriegen – und dann auch noch zur Primetime beim ProSieben-Rivalen RTL.

Kein "XL-Joker" und keine "Abstauberpunkte"

Aber das kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die in Raab-Schluffigkeit getunkte Sendung in diesem und im nächsten TV-Leben vermutlich keinen Innovationspreis mehr gewinnen wird. Muss sie ja auch nicht, sondern bloß: die halbe Stunde füllen, die bei RTL ab viertel nach acht gerade noch übrig ist, bis donnerstags die Übertragung der Europa League startet.

Dafür wurden sämtliche Zusatzelemente der Erstauskoppelung "Blamieren oder kassieren XL", die im vergangenen Jahr bei ihrem Noch-Haussender gefloppt war, wieder umgekegelt: Es gibt keinen überflüssigen Gäste-Smalltalk mehr, keinen "XL-Joker" und keine "Abstauberpunkte". Sondern bloß: eine Publikumsauswahl mit Testfragen, Quali-Runde und Finale.

Dazwischen darf zuhause mitgeraten werden: Wo hat die Produktion die Zuschauer:innen aus der Vorwochen-Episode für die nächste Aufzeichnung im Saal umgesetzt? (Die Frau in dem pinken Rüschen-Top war ein bisschen zu einfach.)

Nach 30 Minuten ist alles schon wieder vorbei.

TV-Abwechslung ohne Fernbedienung

Aber das reicht, um das RTL-"Blamieren oder kassieren" zu einer kleinen Sensation zu machen: als aktuell einzige Unterhaltungssendung im deutschen Fernsehen, die zur Hauptsendezeit um viertel nach acht läuft, trotzdem nur eine halbe Stunde dauert – und vom Publikum vielleicht gerade deswegen gefunden und eingeschaltet wird.

Wenn man in Köln richtig mutig wäre, würde man demnächst testen, ob das auch ohne "Vorspiel vor dem Anpfiff" funktioniert – sondern einfach als Einladung ans Publikum, den TV-Abend mit zügig vorübergehender Kurzweil zu beginnen. Es wäre nichts Geringeres als eine Sensation, wenn das gelänge! Mehr noch, wenn das Publikum dann gleich auch für das anschlussplatzierte Entertainment-Angebot dranbliebe, das gerne eine völlig andere Programmfarbe bedienen dürfte – als televisionäre Abwechslung, ohne die Fernbedienung in die Hand nehmen zu müssen.

Bislang praktizieren die Sender eher das Gegenteil: Wer um 20.15 Uhr mit dem Verlangen nach Zerstreuung einen der privaten oder öffentlich-rechtlichen Hauptkanäle einschaltet, wird dort bisweilen durch quälend lange Intros und Vorstellungsrunden geschleppt. (Alleine durch die Ansicht dieses Hirschhausen-Show-Starts bin ich neulich um mehrere Jahre gealtert.)

Verpflichtung bis in den späten Abend

Wie sehr die Zuschauer:innen das satt haben, steht regelmäßig hier nebenan in der DWDL-Zahlenzentrale, wenn sich das Publikum bei überlangen Shows einfach irgendwann ins Bett verabschiedet oder nach "RTL direkt" nicht mehr wiederkommt.

Dass viele Shows künstlich in die Länge gestreckt werden, hab ich in dieser Kolumne schon mehrfach beklagt – aber die (bisher) ordentlichen Quoten von "Blamieren oder kassieren" könnte ein Indiz dafür sein, dass das nicht unbedingt so ein muss. Und es auch das deutsche Publikum goutieren könnte, tetrisartiger entertaint zu werden: in kompakteren Blöcken, die möglichst clever ineinander geschoben sind.

Für die Sender ist das bislang unattraktiv, weil es viel mehr Arbeit bedeutet. Programmverantwortliche müssen sich Gedanken über ein potenziell zusammenpassendes Line-up machen; mit Sendungsübergängen riskieren sie Umschaltpunkte; und teurer ist der ganze Spaß womöglich auch.

Dabei wird übersehen, dass ein aus unterschiedlichen Entertainment-Komponenten bestehender TV-Abend auch eine Chance sein könnte, Zuschauer:innen für neue Programme zu gewinnen, ohne dass sie sich dafür gleich bis in den späten Abend hinein verpflichten müssen.

Wohltuende Abwechslung im Reality-Einerlei

Zum Beispiel beim RTL-Leider-Nicht-Hit "Die Verräter", der gerade mittwochs im linearen Programm läuft und so gar nicht an die Erwartungen anknüpfen kann, die das Format durch seinen ungeheuren Erfolg im europäischen Ausland geweckt hat.

Das liegt nicht an der Umsetzung, im Gegenteil: "Die Verräter" ist eine wohltuende Abwechslung im sonstigen RTL-Reality-Einerlei, mit sorgsam ausgewählten Cast, gefilmt vor fantastischer Kulisse in Frankreich, mit zahlreichen Spannungsmomenten, unerwarteten Wendungen und einer souverän moderierenden Sonja Zietlow, die an ihrer Aufgabe sichtlich Spaß hat. Überzeugen konnte der Sender sein Publikum damit in den vergangenen Wochen trotzdem nicht: Die Reality-Neuerung hat es außerhalb der Branche nicht geschafft, zum Gesprächsthema zu werden.

Das dürfte weniger an den formatimmanenten Schwächen liegen, die bislang erstaunlich wenig diskutiert werden: zum Beispiel, dass aufgrund der Spielanlage, die immer wieder neue "Morde" verlangt, im Zweifel nicht die interessantesten Mitspieler:innen bis zum Schluss dabei bleiben, sondern eher die potenziell ungefährlichsten, am leichtesten überzeugbaren und ahnungslosesten.

Was die Ulrike beim Frühstück gemacht hat

Plausibel wäre hingegen, dass das Publikum keine Lust hatte, sich auf ein Spiel einzulassen, für das es sich werktagabends schon wieder bis halb elf Zeit nehmen müsste. Denn in der RTL-Variante dauert "Die Verräter" mit jeder Episode fast 30 Minuten länger als das niederländische Original bei RTL 4 und bis zu 40 Minuten länger als die BBC-Adaption (die dafür aber auf deutlich mehr Episoden kommt).

So verständlich es ist, einen potenziellen Hit zum abendfüllenden Ereignis machen zu wollen: An mancher Stelle hätte "Die Verräter" auch deutlich flotter unterwegs sein können.

Abgesehen vom trägen Start, mit dem sich RTL selbst ein Bein stellte (siehe DWDL-TV-Kritik), häufen sich zwischendurch die spannunsgverzögernden Momente. Wirklich jede:r Teilnehmer:in darf nochmal sagen, dass sie bzw. er jetzt niemandem mehr in der Runde traut und wer wen gerade "auf der Uhr" hat, selbst wenn das längst klar ist; die Morgenrunde, bei der alle wie versteinert vor riesigen Croissantbergen sitzen, um abzuwarten, wer als letztes durch die Tür kommt und wer die Nacht nicht überlebt hat, ist teilweise unnötig in die Länge gezogen – vor allem, wenn nachher noch mehrfach rauf- und runterdekliniert wird, was die Ulrike so Ungewöhnliches beim Frühstück gemacht hat.

Noch eine SUV-Schnitzeljagd

Und sehen Sie's mir nach: Noch eine alberne SUV-Schnitzeljagd, bei der ein paar Heuballen von der Straße geschubst werden müssen, damit ein bisschen Zeit rumgeht, brauch ich mir auch nicht anzusehen, wenn gleich schon das nächste mittelmäßige Escape-Room-Game folgt.

Dass man den Eindruck kriegt, die mit den Teilnehmer:innen zwischendurch geführten Ergänzungsinterviews würden wirklich restlos verwertet, nimmt der sonst hervorragend umgesetzten Idee unnötig die Wucht. Zumal auch die von der Bar in die Bibliothek und wieder zurück verlegten Gruppen-Talks irgendwann ermüden.

Gut möglich, dass das den "Verräter"-Fans, die das Format auf RTL+ streamen, völlig schnurps ist – weil die sich ja selbst einteilen können, ob sie Episoden ganz zu Ende sehen oder an einem Punkt ihrer Wahl unterbrechen wollen. Und zugegeben: Das online bereits verfügbare Staffelfinale ist so spannend und dicht erzählt, wie ich mir das die ganze Zeit gewünscht hätte.

Nicht immer eine halbe Ewigkeit aufbleiben

Aber für die lineare Ausstrahlung täte es dem Format womöglich gut, deutlich kompakter geschnürt zu sein als das in Staffel eins der Fall war. (Dass es trotz der zurückhaltenden linearen Quoten eine zweite gibt, ist wirklich sehr zu hoffen.)

Womit wir wieder bei der RTL-Variante von "Blamieren oder kassieren" wären. Und der Tatsache, dass es nicht einer gewissen Ironie entbehrt, sowas ausgerechnet über ein von Stefan Raab erfundenes Format zu sagen, aber: Vielleicht ist weniger auch im deutschen Fernsehen manchmal mehr – und die Sender gehen noch mal in sich, um das Unaussprechliche zu wagen. Einen Entertainment-Abend, bei dem man nicht immer eine halbe Ewigkeit aufbleiben muss, um nicht die Auflösung, die bzw. den Gewinner:in und den Cliffhanger für nächste Woche zu verpassen.

Und damit: zurück nach Köln.

Linear laufen noch zwei Episoden von "Die Verräter" am Mittwochabend um 20.15 Uhr bei RTL; bei RTL+ lässt sich schon die ganze Staffel ansehen. "Blamieren oder kassieren" läuft an Europa-League-Tagen donnerstags um 20.15 Uhr.