Wöchentliche Shows wie „Akte X“, „Die Sopranos“ und „Der Prinz von Bel-Air“ waren Stützpfeiler meiner kindlichen und jugendlichen Existenz und das Warten auf die nächste Folge hatte das wonnige Gefühl eines aufkommenden Geburtstags. Sie waren nicht nur eine Quelle für Unterhaltung, sondern auch eine Art Ritual für viele Nachmittage und Abende. Heute hat das Zeitalter des Fernsehens eine neue Dimension angenommen. Viele Shows sind online auf Netflix, Amazon und Co. verfügbar, wo nach keinem richtigen Programmplan gearbeitet wird. Das hat zu dem Phänomen „Binge-Watching“ geführt, welches dich mit verquollenen Augen um 3 Uhr morgens und einem inneren Druck nach mehr noch eine Folge schauen lässt.

Wenn die vierte Staffel „Arrested Development“ auf einen Schlag veröffentlicht wird, schaut man sie auch auf einen Schlag. Solch eine Möglichkeit gab es nunmal  nie zuvor. Ich bin mit meinen 22 Jahren bereits so alt, dass ich mich noch an Zeiten erinnern kann, in denen ich mit meinen Freunden am Wochenende zu einem echten Gebäude namens „Videothek“ fahren musste, um in der bescheidenen Auswahl zu stöbern. Auf dem Rückweg haben wir uns dann noch billiges Mikrowellen-Popcorn oder die Nachos vom Cineplex um die Ecke besorgt. Man, ich vermisse das. Heutzutage können wir uns von Freitag bis Sonntag zu Hause einschließen und den Komfort unserer Wohnung genießen – auch wenn wir für die Snacks weiterhin einkaufen gehen müssen. Oh warte, dafür haben wir doch Amazon.

Der Grundgedanke, eine komplette Staffel einer Serie einfach mal so zu veröffentlichen, damit ich sie mir gemütlich von meinem Bett aus anschauen kann, ist doch eigentlich gar kein schlechter. Es werden mittlerweile auch so viele Serien produziert, dass man in diesem New Golden Age of Television ohne binge-watching gar nicht hinterher kommt und den Genuss der bereits hinter der nächsten Ecke lauernden Serie andererseits vielleicht zu spät entdecken könnte.

Binge-Watching© Screenshot YouTube Weekday 1-Up

Als eingefleischter Serienfan sind mir jedoch gewaltige Fehler in diesem Denken aufgefallen. Wenn ich versuche, so viele Folgen wie möglich hintereinander zu schauen, merke ich, wie die Storystränge in meinem Kopf immer mehr verblassen. Ich beginne, wichtige Informationen aus der Folge von vor vier Stunden zu vergessen und ertappe mich auch gelegentlich dabei, noch einmal etwas bei Wikipedia nachlesen zu müssen. Shows wie „House of Cards“ sind mit unzähligen Details gefüllt. Details, die höchste Konzentration erfordern. Konzentration, die kein Binge-Watcher durchgehend hat, da es immer mal wieder Momenten kommt, in denen man nebenbei sein Smartphone checkt – oder weil man irgendwann einfach nicht mehr auf der geistigen Höhe ist. Wie kann man da erwarten, alles zu verstehen und die wichtigsten Informationen nicht mehr zu vergessen? Solche komplexen Shows sollte man nicht binge watchen.

Wisst ihr, was mir bei „Game of Thrones“ so gut gefällt? Abgesehen von dem Fakt, dass es die beste aktuelle Serie ist, liebe ich den Morgen nach der Ausstrahlung. Ich spinne mir die bescheuertsten Theorien der letzten Folge zusammen und freue mich darauf, sie mit meinen Freunden zu teilen und ihre Gedanken zu hören. Ich freue mich darauf, Analysen auf YouTube anzuschauen und ich freue mich darauf, auch nächste Woche auf das klitzekleinste Detail im Hintergrund zu achten. Der soziale Aspekt und die kreative Wertschätzung der Macher fallen beim binge-watching beinahe komplett weg.

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Auf der anderen Seite kann es richtig schwer sein, nicht binge zu watchen. Es ist eben wie eine Sucht. Eine Sucht, bei der wir von Netflix und dem Feature, dass die nächste Episode ohne irgendein Einwirken von selber startet, mehr als gut unterstützt werden. Meine Lösung: Ich wende binge-watching nur bei Serien an, bei denen man nicht wirklich nachdenken muss. Damit sind vor allem Sitcoms und seichte Comedys gemeint: „The Big Bang Theory“, „New Girl“, „ Scrubs“, „Modern Family“. Erstens, kann man sich die Folgen solcher Formate immer mal wieder -nebenbei- anschauen und zweitens muss man da nicht so knallhart dabei sein, wie bei „Sons of Anarchy“, „Lost“ oder „House of Cards“. Solche Serien machen einfach viel mehr Spaß, wenn man sie genießt und nicht verschlingt. Außerdem: Wem machen wir eigentlich etwas vor, wenn wir denken, dass wir jemals das Ende unserer Serien-To-Do-Liste zu sehen bekommen?

Der Gedanke an die eigene Gesundheit sollte auch nicht ganz unter den Tisch fallen. Um also sicher zu gehen, dass man während dem ganzen binge-watching nicht nur Fast Food binge-isst und und auf der Couch binge-sitzt, kann man es so machen, wie es Claire Underwood für Frank getan hat: Stell dir eine kleine Rudermaschine vor den Fernsehen. Diese neue Ära der Unterhaltung wird uns nämlich eine Weile begleiten. Deswegen können wir auch einfach versuchen, am effektivsten und gesündesten damit umzugehen.