In den 50er Jahren war das US-Fernsehen ein Autorenmedium, mit vielen Live-Sendungen dem Theater verwandt. In den 60er und 70er Jahren wurde es ein Star-Vehikel, seine Gesichter prägten den Zeitgeist ihrer Jahrzehnte: David Janssen als „Richard Kimble“, Farah Fawcett als „Engel für Charlie“, Larry Hagman als „J.R.“. Mit den 90ern brach ein neues Zeitalter an: Das Zeitalter der Showrunner. Produzenten, die ihre eigenen Autoren und Regisseure waren, die oft genug sogar ihre Titelmusiken selber komponierten. Chris Carter, JMS, Joss Whedon: Sie renovierten das schal gewordene Formatfernsehen, sahen sich nicht als reine Erfüllungsgehilfen ihrer Sender. Heute ist der Showrunner mehr als eine kreative Allzweckwaffe - er ist ein Star, über den die Presse schreibt und der sich auf Conventions feiern lässt. Und kaum ein Showrunner verkörpert diese Entwicklung besser als J.J. Abrams, ein Multitalent im Multimedia-Wunderland.





Dass Jeffrey Jacob „J.J." Abrams sich an einer Hollywood-Karriere versuchen würde, war schon früh klar. Zwar wurde er in New York geboren, aufgewachsen ist er allerdings in Los Angeles. Beide Elternteile haben erfolgreich Fernsehfilme produziert. Er ist ein Kind der Traumfabrik, zu Hause in den Studios, aufgewachsen in Kulissen und Schneideräumen. Und wie so viele Kids der 80er ist er ein „Nerd“, ein Fan von Science Fiction, Robotern, Monstern, den Filmen von Steven Spielberg und George Lucas. Es passt, dass er (quasi als Ferienjob) schon mit 16 Musik für Don Dohler’s unglaublich trashigen Heuler „Nightbeast“ schrieb. Noch während der Schulzeit verfasste er ein Treatment, nach dem der Film „Filofax - Ich bin du und du bist nix“ gedreht wurde. Bei seinem zweiten Film „In Sachen Henry“ war er bereits Produzent. Mit 23. Er schrieb für Harrison Ford und Mel Gibson, für Gwyneth Paltrow und Bruce Willis. Als Produzent und Autor war er mit Ende 20 bereits eine feste Größe für die Studios.

Aber es zog ihn zum Fernsehen, denn 1995 wurden mit UPN und dem WB gleich zwei neue TV-Networks gegründet, die händeringend nach Serienkonzepten suchten. J.J. Abrams entwickelte zusammen mit Matt Reeves „Felicity“, eine für die 90er sehr typische (und sehr erfolgreiche) „Coming of Age“-Serie. Hier führte er auch erstmals Regie. Den wirklichen Durchbruch brachte Abrams die Agentenserie „Alias“ für ABC, die in Sachen Spannung und Aufwand viele zeitgenössische Kinofilme übertraf und Abrams (der bei 5 Episoden Regie führte) für größere Aufgaben empfahl. Um bei „Alias“ wirklich alle Fäden in der Hand zu haben, gründete Abrams zusammen mit Bryan Burk die Firma „Bad Robot“ (mittlerweile „Bad Robot Productions“). Sie ermöglicht ihm eine eigene Struktur innerhalb der Studiohierarchie.

Mittlerweile läuft die „Maschine Abrams“ wie geölt – seit 15 Jahren ist keine TV-Saison mehr ohne mindestens eine Serie aus der Kreativwerkstatt des Super-Showrunners mehr gestartet. „Felicity“ lief aus, als „Alias“ schon auf Sendung war, Abrams kümmerte sich ab 2004 um „Lost“, ab 2008 um „Fringe“, seit 2011 läuft mit „Person of Interest“ eine der besten Paranoia-Thrillerserien der letzten 20 Jahre. Und vor gerade mal einer Woche startete mit „Almost Human“ eine futuristische Actionserie über einen traumatisierten Cop und seinen Robopartner. Natürlich gab es auch immer wieder Rückschläge und Projekte, die nicht den erwünschten Erfolg hatten. Die Dramaserie „What about Brian?“ wurde nach anderthalb Staffeln eingestellt, „Six Degrees“ nach nur 13 Episoden, genau wie die mit relativ viel Aufwand produzierte Mysteryserie „Alcatraz“. „The Catch“, „Anatomy of Hope“ und „Shelter“ schafften es nicht über die Pilotsendungen hinaus.

Trotzdem beeindruckt die Zwischenbilanz von J.J. Abrams TV-Karriere: Über 500 einstündige Serienepisoden sind unter seiner Aufsicht entstanden. Was Abrams auszeichnet ist, dass er sich nicht damit begnügt, ein klassischer TV-Produzent zu sein wie Gene Roddenberry („Star Trek“) oder Chris Carter („Akte X“). Er bedient die Kinoleinwände genau so erfolgreich wie den heimischen Bildschirm. Kein Wunder, dass Paramount nach „Alias“ auf die Idee kam, Abrams die brachliegende „Mission: Impossible“-Franchise anzuvertrauen, die er mit zwei internationalen Blockbustern erfolgreich ins 21. Jahrhundert brachte.

Endgültigen Kultstatus erreichte Abrams allerdings erst mit der Ankündigung Paramounts, ihm auch einen kompletten „Reboot“ der wichtigsten Studio-Lizenz zu überlassen: „Star Trek“. Dass es zu keinem kompletten Boykott der Trekker kam, als Abrams Look, Cast und Chronologie der legendären Science Fiction-Serie neu zu definieren begann, ist ein Beleg für das Vertrauen, das die Fans in ihn haben. Abrams weiß, wie man sich dieses Vertrauen verdient und erhält – er gibt viele Interviews, tritt bei großen Comic-Conventions (z.B. in San Diego) auf, beweist immer wieder das Herzblut, das ihn antreibt.

Dass Abrams beide Medien – TV und Kino – so souverän beherrscht, liegt auch daran, dass er überzeugt ist, dass sich beide befruchten. Seine Serien sind fast so aufwändig inszeniert und konstruiert wie Hollywood-Blockbuster, während seine Kinofilme so stark auf Charaktere und Beziehungen setzen, als wären sie für den wöchentlichen Einsatz entwickelt worden. Den Zuschauer visuell UND emotional zu packen, das ist eine Fähigkeit, die ihn von Regisseuren wie Michael Bay unterscheidet.  Und das ist vermutlich auch einer Gründe, warum Disney/Lucasfilm Abrams an Bord geholt halt, um eine weitere Mega-Franchise aus der Warteschleife zu holen: Neben „Mission: Impossible 5“ und „Star Trek 3“ arbeitet Abrams derzeit am siebten Teil der „Star Wars“-Saga.

Zur Weltherrschaft fehlt J.J. Abrams nun eigentlich nur der Regiestuhl des nächsten Bondfilms. Mehrere TV-Serien, mehrere Kino-Blockbuster – Abrams stemmt jetzt schon mehr, als die meisten seiner Kollegen in Hollywood. Aber das ist ihm immer noch nicht genug. Das dritte große Standbein der Entertainment-Industrie, die Videospiele, fallen nun auch in seine Zuständigkeit. „Bad Robot Productions“ hat sich mit dem Game-Produzenten Valve zusammen getan, um Verfilmungen von „Half-Life“ und Portal“ in Angriff zu nehmen. Es steht zu erwarten, dass sich Abrams nach seiner dokumentierten Unzufriedenheit mit dem letzten „Star Trek“-Spiel auch stärker in diesem Bereich involvieren wird.

Angesichts des schieren Arbeitsvolumens schien es da zuerst wie ein Scherz, als Abrams ankündigte, zusammen mit Doug Dorst einen experimentellen Roman zu veröffentlichen. Seit Ende Oktober ist „S.“ auf dem Markt – und bei Amazon USA Platz 1 der Buchcharts. Es ist davon auszugehen, dass zu Abrams' mittelfristigen Plänen die weitere Verzahnung der ihm anvertrauten Franchises gehört: Zum nächsten „Star Wars“-Film gehören auch Videospiele und Bücher, seit Jahren wird über eine neue TV-Serie spekuliert. Abrams könnte diese Projekte in einem einheitlichen Universum zusammen führen, wie es Marvel gerade mit seinen Projekten erfolgreich vormacht.

Wenn Abrams jetzt den Emmy Founders Award erhält, ist das mehr als gerechtfertigt. Er steht, zusammen mit einigen Kollegen, für das „zweite goldene Zeitalter des US-Fernsehens“ und dafür, dass Serien weit mehr sein können als preiswert produziertes Kaugummi für die Augen. Der Preis ist zudem eine angemessene Wiedergutmachung für die Schmach seiner ersten Nominierung: 1998 hätte J.J.Abrams fast die „goldene Himbeere“ für das schlechteste Drehbuch („Armageddon“) bekommen.