Bild: RBB/Jenny SieboldtLieber Herr Thadeusz, sehen Sie sich Jahresrückblicke an?

Ja. Schließlich verdanken wir den Jahresrückblicken einige der größten Fernsehmomente. Beispielsweise Helmut Kohl, bei Menschen 1988 glaube ich, vor ewiger Zeit auf jeden Fall – Günther Jauch und Thomas Gottschalk haben die Sendung gemeinsam moderiert. Kohl hat sie mühelos aufs Kreuz gelegt. Ein Fest des Sarkasmus.

Fehlt Ihnen Helmut Kohl als mediale Ausnahmeerscheinung?

Ich finde nicht, dass es an medialem Interesse an ihm mangelt. Kürzlich wurde noch detailliert berichtet, dass er am Knie operiert worden ist. Mir reichen die 16 Jahre. Man darf nicht vergessen, wie sehr Kohl rumgenervt hat, als er Kanzler war. Er hat ja nun nicht permanent durch Brillanz begeistert. Er wusste, dass er Politik am Telefon macht, also gerieten seine Reden äußert sämig.

Aber: Ist es nicht aus heutiger Sicht bemerkenswert, dass ein Politiker 16 Jahre lang regiert hat, ohne ein Wort hochdeutsch, ohne jede TV-Kompatibiliät? Reizt es Sie nicht, ihn zu interviewen, statt es Kerner zu überlassen?

Ich habe zwei Interviews von Kerner mit Kohl in Erinnerung – 1999/2000 etwa – in denen er die Sache sehr sauber gelöst hat. Das jüngste Interview kenne ich nicht. Abgesehen davon ist Kohl ein Riese mit unglaublicher körperlicher Präsenz. Er würde wahrscheinlich nicht in den Stuhl meines Studios passen und sich bei meinem Anblick denken: Dieses Häschen gönne ich mir zum Frühstück.

Wenn man bei Youtube nach Kohl sucht, findet man vor allem Videos, in denen er eine Reihe von Journalisten beleidigt. So entsteht das Bild eines grobschlächtigen Zeterers. Mittlerweile findet aber auf solchen Videoplattformen eine zeitunabhängige Rezeption von wichtigen Ereignissen statt. Welcher 3-Minüter zeigt Ihre persönlichen Fernsehhighlights des Jahres?

Ich würde die ganzen schönen Frauen aneinander schneiden, die uns in diesem Jahr geschenkt worden sind. Den Auftakt von Caren Miosga in den „Tagesthemen“ oder den Start von Anne Will. Mir fällt eine Sequenz ein, in der Will einen selbstverliebten Funktionär des Lehrerverbandes die Luft ablässt und die Sendung so eindrucksvoll domptiert. In solchen Momenten ist man froh, dass sie Sabine Christiansen abgelöst hat.
 


Finden Sie das Konzept Wills – das Verringern von Distanz in der politischen Diskussion – bis dato gelungen?


Da geb’ ich ihr noch ein halbes Jahr. Man bedenke, mit welchen grundfalschen Argumenten manche charakterlosen Medienjournalisten anfangs über Sabine Christiansen hergezogen sind, weil sie mal Stewardess war – als sei das ein ehrenrühriger Beruf. Später stiegen die Quoten, die Politiker drängelten sich darum, bei ihr aufzutreten. Anne Will kann das, was sie macht, sehr gut. Vielleicht traut ihr die Redaktion auch irgendwann mehr zu und schiebt die Betroffenheitscouch aus dem Studio. Der „Mensch“, für den die Couch gedacht ist, sollte mit in der Runde sitzen. Siehe Maybrit Illner oder Frank Plasberg. Ich weiß, was der Grund ist, dieses Möbelstück ins Studio zu stellen – man will einem Hartz-IV-Empfänger oder dem engagierten Leiter eines Projekts für außerschulische Bildung nicht zumuten, die gesamten 90 Minuten mit den Politprofis durchstehen zu müssen. Aber: Ich finde es schlimmer, wenn diese Diskussionsteilnehmer abseits sitzen, wie die beiden deutschen Nobelpreisträger, die auf der Betroffenheitscouch Platz nehmen mussten. Denen wurden ein, zwei Sätze gegeben – und danach konnte sich Christian Wulff ausgiebigst zum Thema auslassen. Das war unverhältnismäßig.

Vielleicht sehen wir Anne Will in zwei Jahren ohne Couch.

Ohne Couch, weg damit. Und mit anderen Politikern. Sie haben angesprochen, dass eine historische Politikergeneration ausstirbt. Vergleichen Sie die Rhetorik eines Helmut Schmidt mit der von Kurt Beck oder von Angela Merkel. Wenn Merkel bei Beckmann ist, schreiben die Medienjournalisten: Beckmann hat’s nicht hingekriegt, er hat sie nicht zum Erzählen gebracht. Aber Angela Merkel ist dafür zuständig, Ihnen und mir zu erklären, warum wir Soldaten in Afghanistan stationiert haben und warum das Gesundheitssystem reformiert werden muss. Sie muss die Leitlinien beschreiben können.

Diese Fähigkeit ist den konsensfähigen Null-Aussagen gewichen.

Ja. Charisma ist in Deutschland verdächtig. Gute Rhetoriker werden diskreditiert.

Ist das ein Grund, warum Sigmar Gabriel von seiner Partei gemobbt wird?

Sie meinen, dass man ihn als Windei wahrnimmt? Ich habe ihn kürzlich bei einer Veranstaltung am Potsdamer Platz erlebt - sehr beeindruckend. Die SPD wirft ihm vor, er fiele regelmäßig um. Das kann ich nicht beurteilen. Aber es braucht solche Leute. Für eine Wahlkampfveranstaltung von Barack Obama zahlen die Leute Eintritt. Zu SPD-Veranstaltungen geht man nicht mal mehr kostenlos.

In den USA, Herr Thadeusz, beginnt unser persönlicher medialer Jahresrückblick, für den Sie nun als Kommentator gefragt sind. Januar: Hillary Clinton bewirbt sich bei der demokratischen Partei als Präsidentschaftskandidatin.

Hillary Clinton lacht noch. Sie weiß noch nicht, welche Bösartigkeiten auf sie zukommen. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, winken die Fans mit Wimpeln. Sie strahlt. 12 Monate später wird sie wissen, dass die Amerikaner ihr nach wie vor Kälte unterstellen. Sie hat vor wenigen Monaten damit begonnen, Lachen zu trainieren.

Weinen muss sie auch geübt haben.

Wir können aus unserer Sicht sagen: Verkrampft wirkende Frauen können durchaus machtvolle Positionen einnehmen. Wir haben selbst eine.