Herr Bartl, wer Sie in Unterföhring besucht, dem wird durch das The Voice-Denkmal vor der Tür klar: Der große Erfolg der Castingshow scheint auch eine große Erlösung gewesen zu sein, oder?

Absolut! Der Blick auf die Einschaltquoten am Morgen nach der ersten Sendung war ein erlösender Moment. Ich glaube, den Jubelruf konnte man quer durch München und Umgebung hören. Fünf Stühle, die sich drehen und schon klappt‘s. John de Mol ist ein Genie und unsere Coaches machen das Format noch sehenswerter. Und dann war es auch gleich noch ein Doppelschlag auf zwei Sendern. Hier hat die Sendergruppe hervorragend zusammengearbeitet. Kein Format hat uns in diesem Jahr so gefordert. Mein Team und ich haben hart um die Show gekämpft, da gingen manche Nächte und Urlaubstage drauf. Aber es hat sich alles gelohnt.

Mischt da auch Schadenfreude mit, dass man den Marktführer RTL trotz dessen aggressiver Gegenprogrammierung mal geschlagen hat? Kommt ja nicht so oft vor...

Nein, ich lasse mir die Freude nicht von Häme durchsetzen. Jeder kämpft mit den besten Mitteln. Ich freue mich über unseren Erfolg, aber die Gewichte im deutschen Fernsehen wurden ja durch ein paar erfolgreiche Abende noch nicht grundlegend verschoben – noch nicht. Wichtiger ist das, was wir inhaltlich beweisen konnten: Man kann auch mit einem anderen Zugang zum Genre Casting Erfolg haben. Qualität hat Quote gemacht, das freut uns am meisten.

Aber der große Erfolg auf beiden Sendern, also ProSieben und Sat.1, wirft die Frage auf: Schauen die Zuschauer Programm-Marken, keine Sender? Weil diese durch so eine Programmierung auch austauschbar werden?

Das ist eine besondere Maßnahme. Wir wollten auch mal die gesamte Media-Power der Gruppe auf die Straße bringen. Das haben wir innerhalb der Senderfamilie bisher noch nie zuvor gemacht. „The Voice“ könnte für Sat.1 ein besonderes und wichtiges Format werden, weil ProSieben mit Stefan Raab, „Germany's next Topmodel“ und „Popstars“ schon drei sehr erfolgreiche Unterhaltungs-Franchises hat. Die Idee war, vom ProSieben-Publikum zum Sat.1-Publikum eine Brücke zu bauen. Und wir sind sehr happy mit dem Ergebnis. Es ist für Sat.1 sehr wichtig, neue Genres zu etablieren: Casting und Reality, wo wir jetzt auch die ersten Erfolge haben. Es gibt eine strategische Komponente und wir wollten etwas Neues wagen und so wie es aussieht, hatten wir das richtige Programm dazu.

Aber „The Voice“ war ursprünglich für ProSieben geplant. Es sieht eher so aus, als wenn man zu Sat.1 gewechselt ist, weil sonst bei ProSieben mit „Unser Star für Baku“ zwei Castings gleichzeitig laufen würden...

Manchmal hat man das Glück, dass pragmatische Gründe den ersten strategischen Ansatz bestätigen. Die entscheidende Frage, die wir hinter den Kulissen als Team lange diskutiert haben, war: Wenn man ein Format wie „The Voice“ mit Game-Changer-Potential hat, wie es alle fünf Jahr einmal kommt, dann sollte man es optimal einsetzen. Und die ehrliche Antwort ist: Sat.1 ist bei uns der Sender, der mit „The Voice“ den größeren Schritt machen kann. Dennoch – vom größten Teil der Folgen profitieren beide Sender.

Sat.1 braucht sicher Leuchtturm-Programme. Aber geht Sat.1 noch einen eigenen Weg, wie Sie ihn mal angekündigt haben, wenn man einfach die Genres kopiert, die bei RTL großen Erfolg feiert? Casting und Reality?

Der eigene Weg bei Sat.1 hat aus meiner Sicht in erster Linie mit Qualität zu tun. Aber wir haben eben auch den Anspruch, ein Volkssender zu sein, der wie RTL alle Zielgruppen und Zuschauer anspricht. Da können Sie kein Genre auslassen, das momentan populär ist. Deswegen haben wir gesagt, dass wir jetzt auch Reality machen und den zuständigen RTL-Erfolgsmann ganz bewusst dazu geholt. Ein großes Vollprogramm ist immer nur so gut wie die Programm-Mischung. Sat.1 hat ja unverändert ein herausragendes Alleinstellungsmerkmal mit seinen Erfolgen in der deutschen Fiction. Das bauen wir 2012 weiter aus. Eine unserer Erkenntnisse: Wenn Sie zu viel amerikanisches Programm bei Sat.1 haben, dann bedienen Sie das Stammklientel von Sat.1 nicht mehr genügend.

Die Gefahr der Austauschbarkeit der großen Sender sehen Sie aber nicht?

Wenn Sie Namen wie Stefan Raab, Heidi Klum, Bastian Pastewka, Anke Engelke oder Annette Frier nehmen. Wenn Sie an Formate wie „Stromberg“, „Der letzte Bulle“, „Danni Lowinski“, „Schlag den Raab“, „Switch Reloaded“ oder jetzt „The Voice“ denken - dann erkennen Sie da schnell einen Weg, der klar die Handschrift von ProSieben und Sat.1 trägt.

Wenn wir aber von Verwertungen von Lizenzware innerhalb der Sendergruppe sprechen, dann wandern da Serien munter zwischen allen Sendermarken hin und her. Ist das förderlich für die klare Positionierung der Kanäle?

Darauf muss man ein besonderes Augenmerk legen. Zunächst einmal: Den Fans der Serien tun sie damit nichts Böses. Die freuen sich, wenn Sie mehrere Möglichkeiten unter der Woche haben, ihre Programme zu sehen. Das sind die Vorteile, die eine Senderfamilie bietet, die nutzen wir auch, um unsere Ressourcen besser einzusetzen. Auf der anderen Seite darf man es aber auch nicht übertreiben. Es ist alles eine Frage der Dosierung.