Wie gut schlagen sich die deutschen TV-Sender denn Ihrer Meinung nach in der Wahlberichterstattung?

Der Wahltermin 22. September hat die Zeit, die für Wahlkampf und damit für ausführliche Auseinandersetzungen zur Verfügung steht, leider extrem reduziert. Die meisten kommen ja erst Mitte bis Ende August aus den Sommerferien zurück. Was bedeutet es, wenn eine politische Mehrheit den Wahltermin so legt und damit in Kauf nimmt, dass die Diskussion so reduziert ist? Ich finde das problematisch. Gerade Wahlkampfzeiten sind doch dazu geeignet, die Gesellschaft zu politisieren. Die Medien und das Fernsehen machen das Beste daraus. Insgesamt haben wir eine gute, pluralistische politische Berichterstattung mit vielfältigen Formen von der Reportage über die Analyse bis hin zur Gesprächssendung.

Gerade letztere Spezies ist reichlich vertreten. Sind die ganzen TV-Duelle, Wahlarenen und Sommerinterviews nicht ein bisschen zu ritualisiert?


Das kann man so sehen. Andererseits ist alle vier Jahre eine neue Wahl zu begleiten, und für die jungen Wähler ist es immer das erste Mal. Je älter man wird, desto stärker wird das Gefühl, diese Rituale schon öfter erlebt zu haben. Das heißt aber nicht, dass das Angebot falsch sein muss. Ich glaube allerdings, dass das Fernsehen den Wünschen der Spitzenpolitiker zu oft entgegenkommt. Mit der gestiegenen Auswahl an Talk-Formaten glauben Politiker und ihre Pressereferenten mehr und mehr, den Redaktionen in ihre Gäste-Konstellationen hineinreden zu dürfen. Das muss jeder für sich entscheiden, wie weit er da mitgeht.



Ein paar Polit-Talks weniger würden die Lage für Sie als Macher also erleichtern?


Allen, die sagen, es gebe zu viele politische Gesprächssendungen, kann ich nur widersprechen. In einer modernen Demokratie, zumal in so komplexen Zeiten wie diesen, kann es gar nicht genug Plattformen für die Chance einer Reflexion geben. Dass das nicht bei allen und nicht immer optimal funktioniert, mag stimmen. Aber die Alternative ist nicht die Verknappung, sondern dass alle Beteiligten sich noch mehr anstrengen, neue Formen zu entwickeln, um Ergebnisse im Sinne des aufklärerischen Moments zu schaffen. Deshalb bin ich sehr froh, dass mein Sender es jetzt schon fast ein Jahrzehnt mit mir aushält.

Dennoch machen Sie einen Ausflug zu ZDFneo und nehmen am 26. August mit dem von AVE produzierten Piloten „Der Richter in Dir“ am „TVLab“ teil. Laut Sender soll dieses „Justiz-Dokutainment“ mit der „Manipulierbarkeit der öffentlichen Wahrnehmung“ experimentieren.


Als man mir das angeboten hat, fand ich es spannend, dass ich auch hier aufklärerisch wirken kann. Jeder von uns urteilt ununterbrochen über Menschen, Handlungen und Situationen, die er von außen erlebt oder erzählt bekommt. Fragt man sich, auf welcher Grundlage eigentlich ein solches Urteil gefällt wurde, dann stellt man fest: Oft führen ganz wenige Informationen – oder gar Manipulationen – dazu. Wir arbeiten in dem Format mit bewussten Perspektivwechseln beim Blick auf einen konkreten, realen Strafrechtsfall. Nach einem ersten Film schlüpfe ich in die Rolle des Staatsanwalts und argumentiere. Anschließend frage ich die Zuschauer im Studio, wie sie urteilen würden, und diskutiere das mit ihnen. Dann kommt ein zweiter Film, der denselben Vorgang aus einer anderen Perspektive zeigt. Jetzt bin ich der Verteidiger. Die Frage ist: Ändern sich durch meine neuen Argumente die Urteile? Erst am Schluss zeigen wir das komplette Bild aus allen Perspektiven sowie das tatsächliche Urteil, zu dem das Gericht im realen Fall gekommen ist. Wir wollen prüfen, ob man dann überhaupt noch offen ist, sein persönliches Urteil zu überdenken.

Wir müssen also nicht befürchten, dass Rechtsanwalt Michel Friedman jetzt in die Fußstapfen von „Richterin Barbara Salesch“ und „Richter Alexander Hold“ tritt...


Nein, keine Sorge! Das ist etwas ganz anderes als diese Gerichtsshows. Es geht darum, sich selbst zu hinterfragen: Warum urteile ich so, wie ich urteile? Der Zuschauer soll sich irritiert fühlen und deshalb aktiv mitdenken. Es gibt eben nicht die Wahrheit, sondern die Wahrnehmung vieler Wahrheiten. Unser erster Fall beschreibt die Tötung einer schwer demenzkranken Frau durch ihren Schwiegersohn, der von der Pflegesituation überfordert scheint. Wir diskutieren in der Sendung natürlich die Tat an sich, aber auch die gesellschaftspolitische Frage der alternden Gesellschaft, ob Angehörige in der Pflege überfordert sind und warum sie vom Staat allein gelassen werden. Wenn wir in Serie gehen dürfen, was ich sehr hoffe, werden wir stets Fälle aussuchen, die neben der juristischen Fragestellung auch spannende gesellschaftspolitische Aspekte in sich tragen.

Herr Friedman, herzlichen Dank für das Gespräch.