Herr Kleber, gibt es in Ihrem Beruf eigentlich noch etwas, das Sie überraschen kann?

In dem Moment, in dem das nicht mehr so ist, höre ich auf. Ich liebe den Beruf gerade deshalb, weil er jeden Tag Überraschungen bietet. Manchmal habe ich selbst um 20 Uhr noch keine Ahnung, wie unsere Sendung aussehen wird. Das hält den Adrenalinspiegel hoch. Dafür bin ich offenbar ein Junkie.

Das Ergebnis der Bundestagswahl kam nun tatsächlich für viele überraschend. Momentan trauen sich viele Politiker, was mögliche Koalitionen angeht, noch nicht so recht aus der Deckung. Spekulationen werden oft als große Nachricht verkauft. Inwiefern fällt es schwer, sich daran auch mal nicht zu beteiligen?

Es gibt Phasen, in denen Spekulationen die interessantesten Fakten sind. Das ist im Moment so, weil wir alle wissen, dass die Parteien ein Spiel spielen müssen. Sie können nicht 48 Stunden nach einer Wahl Ihre innersten Überzeugungen auf den Tisch legen und zur Verhandlungsmasse erklären. Gleichzeitig wissen die Politiker natürlich, dass sie aus dem Ergebnis der Wahl etwas machen müssen. Man muss nun anfangen, die wahren Absichten hinter den Andeutungen zu erkennen. Da hilft es, dass deutsche Parteien kein geschlossenes System sind, sondern regionale Gliederungen haben, aus denen heraus einzelne Stimmungen kommen. Manchmal offen, manchmal aber auch verklausuliert - etwa durch die Forderung nach einer Urabstimmung. Da müssen wir die Zeichen an der Wand lesen. Ich möchte nicht warten, bis auf einer Pressekonferenz der Vorstandsbeschluss bekanntgegeben wird.

Täuscht der Eindruck oder sind Politiker im Laufe der Jahre stromlinienförmiger geworden?

Der Eindruck täuscht nicht. Deshalb ist Horst Seehofer mit dem inhaltlich völlig belanglosen "Das können Sie alles senden"-Nachgespräch, in dem er ja nichts gesagt hat, was er von der Sache her vorher nicht auch gesagt hätte, alleine durch seine Art zu einer Ikone geworden. Die Leute haben das Gefühl gehabt, endlich mal einen Politiker im Original zu sehen. Daran können Sie erkennen, wie alltäglich die Stromlinienform geworden ist.

Aber das hat Seehofer doch nicht ohne Hintergedanken gemacht.

Nennen Sie mich blauäugig, aber ich habe mir dieses Interview - auch um mich selbst zu überprüfen - hinterher mehrfach angesehen. Ich wette jeden Betrag: In dem Moment, in dem er von der Leber weg sprach, hatte Seehofer überhaupt nicht das Gefühl, dass das irgendwann einmal gesendet wird. Erst als ich ihn provozierte und sagte, er sei doch jetzt viel besser gewesen als vorher, gab er sich selbst Bedenkzeit. Und zwar ungefähr eine hundertstel Sekunde. Seehofer, der durch und durch ein Instinktpolitiker ist, hat sich dann für das - wie wir jetzt wissen - Vorteilhaftere entschieden, nämlich das Nachgespräch senden zu lassen. Er stand hinterher deutlich besser da als vorher. Wenn er in diesem Blitz der Entscheidung eine eine einzige Bemerkung im Nachgespräch nicht richtig eingeschätzt hätte, hätte es gegen ihn ausgehen können.

Was hat Ihnen das gezeigt?

Das Interview zeigt mir im Nachhinein, dass auch der Moderator, der die Fragen stellt, hinterher entspannter und gesprächiger war als vorher in dem offiziellen Teil.

Hatte dieses Ereignis Auswirkungen darauf, wie Sie seither an Interviews herangehen?

Ich bemühe mich selbst um eine entspanntere Haltung und gehe nicht mehr mit der Aufmerksamkeit eines hochkonzentrierten Schachspielers, der Zug um Zug überlegt, an Gespräche heran. Ehrlich gesagt, war das überhaupt nie meine Haltung. Ich versuche, in der Sache gut vorbereitet zu sein und verlasse mich dann auf meine Reaktionsfähigkeit. Das geht leider nicht immer gut. Aber wenn beide Seiten darauf eingestellt sind, dann ergibt sich aus einem entspannten Gespräch manchmal mehr als aus einem angespannten. Manchmal! In der Regel hat man es mit einem recht verschlossenen Gegenüber zu tun. Das gilt erst recht in diesen Tagen.