Um die EU kommen wir wohl nicht drum herum, wenn wir über das Verstehen der Briten sprechen. Ist es nicht kurios, wenn auf der einen Seite eine neue Liebe zu Deutschland aufkeimt, aber man Europa wiederum sehr distanziert gegenüber steht?

Die Briten haben in der Tat seit einigen Jahren ihre Liebe zu Deutschland neu entdeckt. Umgekehrt aber finde ich in Deutschland wenig Bereitschaft für ein echtes Verständnis der Briten. Wenn die Irren auf der Insel anderer Meinung sind, sollen sie doch austreten aus der EU, heißt es dann. Man gibt sich wenig Mühe die andere Position erst einmal zu verstehen. Zu verstehen, wie die Briten zur EU kamen und warum sie damit fremdeln.

Glauben Sie, dass Großbritannien aus der EU austreten wird?

Ich halte das nicht für ausgeschlossen, zum jetzigen Zeitpunkt. Auch wenn es für beide kompletter Irrsinn wäre, für die Briten, aber auch für Deutschland und Europa. Dann nämlich wäre Merkel alleine mit den Franzosen und den Südeuropäern. Eine Perspektive, die ihr kaum gefallen dürfte.

Wir sprachen vorhin schon einmal über Veränderungen im Berufsbild. Haben sich die Tugenden eines guten Auslandskorrespondenten eigentlich geändert?

Nein, heute wie vor vor 15 Jahren ist die wichtigste Tugend Neugier auf andere Kulturen. Und dazu die Bereitschaft, andere Sprachen zu lernen und immer wieder, manchmal auch kurzfristig, die Zelte abzubrechen und das eigene Leben neu zu organisieren. Das hat aber auch seinen Reiz, dieses Leben mit der Sanduhr. Man zahlt einen hohen Preis, aber bekommt viel dafür. (überlegt)

Sie zögern?

Es ist sicher nicht mehr der Traumjob von früher. Man ist nicht mehr allein in weiter Welt - dank des Internets ist man viel besser mit Deutschland verbunden. Aber Deutschland eben auch mit allem, was der Korrespondent früher noch exklusiv erlebte und berichtete. Und das führt manchmal, auch eben durch das Tempo heute, dazu, dass die Berichterstattung leicht flacher wird.

Darüber haben wir ja schon mehrfach gesprochen in den letzten Jahren. In der Zwischenzeit haben Sie ja ihre Liebe zu Twitter entdeckt…

Twitter ist für Korrespondenten ein sehr wertvolles Mittel, weil man schnell an Informationen und Hinweise kommt - egal ob aus Deutschland oder von britischen Kollegen. Der Dialog gefällt mir, gerade weil man in diesem Job früher technisch nicht so schnell und vielfältig verbunden sein konnte. Und Hinweise oder auch Berichtigungen schärfen meinen Blick auf die Themen. Social Media war für mich in den letzten Jahren sehr bereichernd.

Wenn Sie als ARD-Korrespondentin nicht gerade öffentlich über einen „Tatort“ lästern und damit in der deutschen Boulevard-Presse Schlagzeilen generieren.

(lacht) Ja, die „Tatort“-Kritik hat hohe Wellen geschlagen. Da habe ich mich persönlich über eine meiner Meinung nach richtig schlechte frauenfeindliche Geschichte aufgeregt. Aber auch wenn es mein persönlicher Twitter-Account ist, so wurde das natürlich gleich meiner Rolle in der ARD zugeschrieben. 140 Zeichen können hohe Wellen schlagen, das hab ich auch bei meine Kate-Middleton-Tweet gemerkt.

Um welchen Tweet ging es da?

Ach, am Ende eines langen Arbeitstages, an dem sich alles nur um Klatsch und Tratsch rund ums Königshaus und Kate Middleton drehte, hatte ich bei Twitter gefragt, ob ich dafür eigentlich Philosophie studiert habe. Da hat man bei „Stern TV“ gleich einen Screenshot von gemacht. Und das wiederum führte dazu, dass es hieß, ich möge die Royals nicht. Weit gefehlt, ich bin ein Fan, ganz besonders von der Queen, deren Ausgabe als kleine ‘solar waving queen’ ich seit Jahren als Maskottchen mit mir herumtrage (lacht)

In Deutschland gibt es seit einigen Monaten Kritik an sogenannten „Systemmedien“. Die Unabhängigkeit und Vielfalt der Bericherstattung wird beklagt. Lässt sich ähnliches in Großbritannien beobachten?

Nein, die Kritik hat hier andere Gründe. Die BBC ist unter Druck, auch wesentlich stärker als die ARD, weil es gleich eine ganze Reihe an Skandalen gab, die das ehrenwürdige Haus erschüttern. Da ging es um Personen wie Jimmy Savile, die durch ihr skandalöses Fehlverhalten dem Ansehen des Hauses geschadet haben, und die Tatsache, dass jahrelanger Missbrauch niemandem aufgefallen sein soll. Dazu kommt der Vorwurf, die BBC tendiere in der politischen Berichterstattung in Richtung Labour, was meiner Meinung nach gar nicht stimmt. Und wenn man dann betrachtet, dass in Großbritannien gerade mal wieder alles privatisiert wird, was man nur privatisieren kann, dann steht die öffentlich-rechtliche BBC in diesem Klima unter Druck und die Zwangsgebühren werden als etwas sozialistisches wahrgenommen. Aber all das hat hauptsächlich innenpolitische Gründe. Die internationale Wahrnehmung und Wertschätzung der BBC ist davon interessanterweise unbenommen. Kritik am journalistischen Profil im Großen und Ganzen gibt es weniger. Jedem Briten, den ich treffe und mit dem ich über das Thema rede, sage ich immer wieder: Eure BBC ist in der Welt noch immer so ein Leuchtturm. Hütet Euch davor, ihn kaputt zu machen.

Aber gibt es die Kritik der Gebührenzahler an der öffentlich-rechtlichen BBC, wie man es in Deutschland mit den GEZ-Kritikern erlebt?

Nicht in der Form. Der Brite an sich beschwert sich ja nicht gerne (lacht). Der Mentalität entsprechend nimmt man alles erstmal so hin und arrangiert sich dann notfalls mit britischem Humor. Man geht in Großbritannien Konflikten generell gerne erstmal aus dem Weg, blendet Probleme aus und lässt alles weiterlaufen bis es irgendwann zum großen Knall kommt und sich alle fragen, warum das vorher denn niemand hat kommen sehen. Daran merkt man dann, dass die deutsche Mentalität eine andere ist. Wir meckern schneller, was zwar manchmal schneller zu Änderungen führt, aber eben auch zu ständiger Nörgelei. Mir fällt der Unterschied mittlerweile sehr deutlich auf, wenn ich zum NDR nach Hamburg reise. Wenn man im Zug seinen Koffer etwas unglücklich in den Gang stellt, geht der Brite im Zweifelsfall vornehm schweigend einfach dran vorbei und belastet sich gar nicht mit Gedanken darüber. Wenn es ein Gentleman ist, stellt er ihn sogar zur Seite. In Deutschland können Sie sicher sein: Es wird erstmal gemotzt.

Und die Briten sind so geduldig?

Sie machen sich keine Vorstellungen. Freunde von mir haben in ihrer Wohnung überall Eimer stehen, weil es reinregnet. Als ich nachgefragt habe, warum sie das denn nicht ihrem Vermieter mitteilen, kommt ein beschwichtigendes „Oh, that’s alright. We don’t want to call the landlord. That would just upset him“ als Antwort. Diese charmante Gelassenheit ist erfrischend, aber hat in solchen Fällen zweifelsohne auch ihre Nachteile (lacht).

"Den ganzen Tag einfach mal machen können, was man will. Das ist echt ungewohnt für mich."

Gibt es denn davon abgesehen Dinge, die einem fremd werden an Deutschland, wenn man so lange im Ausland gelebt hat?

Die dichten Fenster. In Deutschland ist man so stolz darauf und kämpft dann damit, dass es anfängt zu schimmeln. In Großbritannien hat ja eigentlich jede Wohnung permanent Durchzug, wenn es stürmt. Auch wenn die Fenster vermeintlich zu sind. Das hat den Vorteil, dass man nie lüften muss, und es selten schimmelt.

Da haben Sie die britische Gelassenheit aber jetzt schon sehr gut übernommen.

(lacht) Möglicherweise. Aber ich beantworte das gerne noch einmal ernsthaft: Diese verbohrte Verbissenheit der Deutschen fällt mir in jedem Fall deutlicher auf, ohne dass ich sagen möchte, dass es mich stört. Als dienstälteste Auslandskorrespondentin ohne Zwischenstop in Deutschland wird einem aber auch eben manches fremd am Heimatland.

Und was macht Annette Dittert bis sie den neuen Job beim NDR in Hamburg antritt?

Erst einmal nichts für eine Weile und dann überlege ich, von meinem neuen Hausboot, meinem ganz privaten Entschleunigungs-Projekt aus, einen Blog zu schreiben über diesen Ausstieg aus dem schnellen Rat Race des Nachrichtengeschäfts. Den ganzen Tag einfach mal machen können, was man will. Das ist echt ungewohnt für mich und vielleicht interessiert das ja auch andere, z.B. die Fans von ‘London Calling’, meinem Videoblog, die sich doch schon sehr beschwert haben, dass der aufhört. Da können sie mich dann wiederfinden und außerdem bin ich natürlich auch weiterhin auf Twitter und Facebook.

Frau Dittert, herzlichen Dank für das Gespräch.