Wie passt das zu dem Vorhaben, eine eigene Chefredaktion zu gründen?
Wir brauchen eine horizontale Informationsstruktur, damit wir unsere einzigartigen Ressourcen auch ausnutzen. Deswegen wird die Chefredaktion eine eigene Hauptabteilung. Wir haben also die klar und trennscharf positionierten Wellen, aber den Überblick über die redaktionellen Ressourcen bündeln wir. Wenn Journalistinnen und Journalisten in einer Welle drei Monate an einem Thema recherchieren, dann sollte das Ergebnis nicht nur einmal verwendet werden. Es muss klar sein: Es gibt ein Rechercheergebnis und dann gilt es zu klären, für welche Programme wir es in welcher Form benutzen. Wenn dann ein Beitrag bei 1LIVE so aufbereitet wird wie bei WDR 2 oder WDR 4, ist natürlich etwas schief gelaufen.
Im Raum steht die Spekulation, dass 1LIVE-Chef Jochen Rausch der Chef Ihrer neuen Flotte aus 1LIVE, WDR 2 und WDR 4 werden soll. Können Sie das bestätigen?
Ich kann es aus dem einfachen Grund nicht bestätigen, weil ich erst mit den Mitarbeitern reden möchte. Das werden wir in den nächsten Wochen tun. Die Mitarbeiter ahnen, dass ich mir Jochen Rausch gut vorstellen kann, aber ich möchte hören, was sie sich von ihrer neuen Führungskraft erwarten. Das ist guter Brauch beim WDR, die Mitarbeiter danach zu fragen, was sie sich vorstellen. Ich halte es für klug, dass man wichtige Personalentscheidungen nicht einfach umsetzt, sondern erst einmal zuhört und überprüft, ob bei einer Entscheidung alle Argumente berücksichtigt wurden. Dann erst treffe ich eine Entscheidung.
Das ist dann aber doch ein bisschen mehr Alibi oder nicht? Gäbe es jetzt überraschend Einwände gegen ihn, wäre Jochen Rausch ja öffentlich demontiert.
Ich möchte aber gerne zuhören und spreche mich nicht frei davon, vielleicht etwas übersehen zu haben, was den Mitarbeitern wichtig ist. Aber Jochen Rausch ist ein kluger, kompetenter Sparrings-Partner, weil er als Radio-Macher ein berechenbarer Anarchist ist. Er kann sich vorstellen, wie man in Zukunft Radio hört, bevor der Hörer überhaupt daran denkt. Er ist ein Vordenker. Als solcher hat er bei 1Live klug und erfolgreich geplant und den Rahmen gesetzt, in dem dann die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Sender zu dem gemacht haben, was er ist. Im Alltag sind es nicht die Vorgesetzten, die einen Sender machen.
Jetzt haben Sie eben schon gesagt: 1LIVE ist gut positioniert. Und WDR 2 hat in der letzten Radio-MA hervorragende Werte geholt. Können Sie nachvollziehen, dass es manchen Mitarbeitern schwer fällt, die Notwendigkeit von teils deutlichen Änderungen zu verstehen?
Es gibt drei Aspekte. Es geht um schnellere Entscheidungswege für eine sich rasant verändernde Mediennutzung. Bis gestern war Facebook noch die relevante Plattform für 1LIVE, inzwischen sind die Eltern bei Facebook und die Kids sind woanders. Da brauchen wir Leute im Haus, die übergreifend denken und gleichzeitig aber auch die Befugnis haben, die nötigen Gelder dafür zur Verfügung zu stellen. Es nützt ja nichts, wenn irgendjemand im Sender eine gute Idee hat, aber dann gebremst wird, weil er nicht weiß, wen er überhaupt fragen muss, um Geld für die Idee zu bekommen. Die Flotte muss beweglicher werden, was bei den drei Dickschiffen 1LIVE, WDR 2 und WDR 4 eine Herausforderung wird, weil jede Welle eine große Masse an Hörern erreicht. Die Abstimmung untereinander muss schneller erfolgen. Deshalb dürfen wir nicht außer Acht lassen: Wir werden im Hörfunk 80 Stellen auslaufen lassen durch Ruhestand und Altersteilzeit. Diese Stellen besetzen wir nicht neu. Um die Größendimension klar zu machen: Es gibt Hörfunkwellen, die insgesamt mit weniger Mitarbeitern arbeiten. Bei dieser personellen Herausforderung ist wichtig: Wir müssen in diesen Zeiten auch schlankere Führungsstrukturen schaffen. Wie breit muss die Brücke besetzt sein? Ich halte das für ein wichtiges Zeichen, dass wir auch in der Führungsriege sparen. Und letztlich, der dritte Punkt: Wir müssen uns darauf besinnen, welche Aufgabe unsere drei populären Programme innerhalb des WDR-Hörfunks haben. Drei Programme, die immer schon über einen Mix von Musik und Information funktioniert haben, legitimieren uns in der Breite.
"Maximaler Erfolg bedeutet für mich deshalb nicht maximale Quote, weil die inhaltliche Dimension fehlt"
Ist Reichweite bzw. Quote also auch eine Qualität für sich?
Nein. Quote ist an sich keine Qualität. Mir geht es bei den Breiten-Angeboten um Relevanz, die sich aus den Inhalten in Kombination mit der Reichweite ergibt. Es geht also in doppelter Hinsicht um eine relevante Durchdringung des Marktes mit relevanten Inhalten. Maximaler Erfolg bedeutet für mich deshalb nicht maximale Quote, weil die inhaltliche Dimension fehlt. Öffentlich-rechtliche Verantwortung bedeutet auch: die Qualität vor die Quote zu stellen. Und bei den gehobenen Programmen machen wir das ohnehin: Klassik und Jazz würde ohne den WDR in Nordrhein-Westfalen nirgendwo laufen. Da ist die inhaltliche Relevanz hoch, und die Relevanz der Reichweite zweitrangig.
Kommen wir nochmal zurück zu den einzelnen Sendern. Wenn WDR 2 und WDR 4 jünger werden, muss auch das stetig etwas älter gewordene 1LIVE wieder jünger werden?
Wir sollten nicht nur auf die Ergebnisse der Marktforscher blicken, die das Bild etwas verfälschen. Aufgrund der Demographie im Land wiegen wenige ältere Zuhörer mehr als eine Vielzahl jüngerer Zuhörer. 1Live behält auch weiterhin die 15- bis 35-Jährigen im Auge, was sich in der Musikauswahl und den Moderatoren widerspiegelt.
Und wie sieht es bei den älteren Zuhörern aus? WDR4 hat sich englischsprachiger Musik geöffnet. Bleibt für die Generation 70+ kein Platz mehr für deutsches Liedgut, beispielsweise Schlager?
Um zunächst mal etwas zum deutschen Liedgut zu sagen: Darum bemühen sich alle Programme. Egal ob Rap, HipHop, Liedermacher oder Schlager - deutsche Musik gibt es für jedes Alter und findet bei uns auch auf allen Sendern statt. Und dann zu Ihrer These, dass WDR 4 jünger geworden ist: Diese These würde ich bezweifeln. WDR 4 war schon immer auf Hörer über 50 ausgerichtet. Aber Hörer, die heute in dem Alter sind, haben andere Interessen als ältere Hörer sie noch vor zwanzig oder dreißig Jahren hatten. Wer 50 wird, findet nicht unbedingt nur noch Schlager gut. Natürlich wollen wir dies auch weiterhin bedienen, aber die Geschmäcker dieser Zielgruppe sind vielfältiger geworden. Wir reden von einer Zielgruppe, die mit den Beatles und Elvis groß geworden ist.
Aus dem WDR hört man seit dem Bekanntwerden Ihrer Personalie die Sorge, dass das Programm verflacht. Eine Privatradio-Frau versucht sich am Öffentlich-Rechtlichen.
Es amüsiert mich manchmal, wenn ich in der lokalen Presse lese oder auch von Mitarbeitern höre, dass sie glauben, meine Handschrift an Stellen zu erkennen, mit denen ich mich noch gar nicht beschäftigt habe. Das ist durchaus interessant, was ich alles schon so gemacht haben soll beim WDR. (lacht)
"Ich glaube, der Wortanteil wird sich verändern."
In den vergangenen Monaten gab es dann besonders von 1LIVE und WDR 2 kommend Klagen über verkürzte Wortbeiträge, über manche inhaltliche Vorgabe und Reduzierung des Wortanteils. Wie begegnen Sie dieser Kritik?
Um das jetzt mal ganz klar zu sagen: Ich halte überhaupt nichts von dogmatischen Längendiskussionen. Ich bin kein dogmatischer Mensch und will da keine Festlegungen. Das widerspricht journalistischem Denken. Es gibt Themen, für die schon zwei Minuten zu lang sind und an anderer Stelle sind vier Minuten zu kurz.
Aber die Frage müsste sich ja beantworten lassen: Bleibt der Wortanteil in den Programmen insgesamt gleich oder sinkt er?
Auch hier gilt: Ich bin kein dogmatischer Mensch. Ich glaube, der Wortanteil wird sich verändern. Es könnte gut sein, dass er sich in eine andere Richtung verändert, als jetzt viele fürchten. Ich glaube nicht daran, dass es ein festes 70/30-Verhältnis für die nächsten Jahre geben wird. Hören wir doch auf unsere Hörer. Wir werden von ihnen erfahren, ob Radio von ihnen wegen der Musik genutzt wird oder mehr wegen der überraschenden Inhalte. Wer weiß, ob der Weg am Ende sogar bei 50/50 endet? Deswegen beschließe ich keine Zahlen.
Wie erklären Sie sich dann die artikulierte Sorge aus dem Hause?
Die Sorge ist menschlich nachvollziehbar, weil jeder tief in sich eine Angst vor Veränderung trägt. Aber ich habe beim WDR bislang nur Menschen kennengelernt, die Neuem gegenüber aufgeschlossen sind. Es ist aber ein Spagat der Gefühle, der jedem mal mehr, mal weniger gelingt.
Das klingt so harmonisch. Dabei entstand zuletzt durch Berichte aus dem WDR der Eindruck von deutlich wahrnehmbarer Unruhe.
Bei einer Mitarbeiterversammlung - bei der wir die neue Struktur vorgestellt haben, die nach 20 Jahren einen immensen organisatorischen Umbruch darstellt - habe ich in offene, konstruktive Gesichter geschaut. Da war vielleicht Verwunderung dabei, aber auch Interesse und Neugier. Ich glaube, dass die Radiomacher im WDR wirklich Lust auf gemeinsame Visionen haben.
Frau Weber, herzlichen Dank für das ausführliche Gespräch.