Frau Goetter, Herr Lehmann, "Die Stadt und die Macht" ist die erste deutsche Serie, die Netflix vor der linearen TV-Ausstrahlung lizenziert hat. Wie haben Sie das geschafft?

Michael Lehmann: Es war von vornherein Teil unseres Finanzierungsmodells, dass wir als Produzent die SVoD-Rechte zurückbehalten haben. Wir hatten schon vor Drehbeginn im Frühjahr 2015 Gespräche mit Netflix und konnten sie auf Basis der Drehbücher von dem Projekt begeistern. Während die Dreharbeiten liefen, haben wir den Vertrag über die Streaming-Rechte für Deutschland, Österreich und die Schweiz abgeschlossen.

Im Ersten läuft die Serie am 12., 13. und 14. Januar jeweils in Doppelfolgen. Ab wann ist sie bei Netflix verfügbar?

Lehmann: Sofort am nächsten Tag. Sie ist dort zunächst parallel zum Catch-up in der ARD-Mediathek abrufbar, nach Ende der Verweildauer hat Netflix sie dann exklusiv.



Was macht "Die Stadt und die Macht" in Ihren Augen für Netflix reizvoll?

Lehmann: Wenn man ein Programm schon vor dessen Realisierung einkauft, dann gibt es in der Regel ja ganz klare Parameter, die dafür sprechen. Neben den Drehbüchern, die zu diesem Zeitpunkt schon sehr weit waren, haben sicher Friedemann Fromm als Regisseur sowie Anna Loos, Thomas Thieme und Burghart Klaußner als Stars eine wichtige Rolle gespielt. Und nicht zu vergessen: die Tatsache, dass es sich um eine qualitativ hochwertige Berlin-Serie handelt.

Michael Lehmann, Katrin Goetter© SHPG
Welchen Reiz und welche Herausforderungen hat denn Politik als Spielfeld einer Serie?

Katrin Goetter: Es gibt viele Möglichkeiten, Politik in der Fiktion darzustellen. Wir haben uns klar für den Show-Anteil in der Politik entschieden – für einen Wahlkampf und dafür, wie Inhalte verpackt werden, um beim Wähler anzukommen. Aber auch für das Dahinter: den Menschen, seine Motive, seine Begeisterung und die Machtkämpfe hinter den politischen Programmen. Das ist ausgesprochen unterhaltsam, emotional aufgeladen und damit auch sehr reizvoll.

Dennoch scheint Politik als Serien-Stoff in Deutschland schwieriger zu sein als im US-Markt. 

Goetter: Nein, das würde ich nicht sagen. Viele Programme in Deutschland transportieren politische Inhalte und sind damit erfolgreich. "Die Stadt und die Macht" ist eine Familienserie in der Politik – herausfordernd ist die Gewichtung, weil wir beides ernst nehmen. Am Ende geht es um die Frage 'Wer bin ich eigentlich?' – und das ist höchst persönlich, egal ob sich eine Politikerin oder jemand anders diese Frage stellt.

"Figuren entwickeln, die immer wieder aus sich heraus Spannung aufbauen – das ist anders als beim episodischen Erzählen"

Katrin Goetter, Real Film Berlin

Herr Lehmann, Sie sind nicht nur Produzent dieser Serie, sondern als Vorsitzender der Geschäftsführung für die gesamte Studio Hamburg Produktion Gruppe (SHPG) verantwortlich. Welchen Stellenwert hat "Die Stadt und die Macht" für Ihr Haus und für den deutschen Markt?

Lehmann: Dass wir nach "Blochin" jetzt schon die zweite Miniserie vorlegen können, in der wir horizontal erzählen, freut mich riesig. Das ist ja etwas, was momentan jeder Produzent gern machen möchte. Wir haben uns ganz bewusst entschieden, einen Teil unserer Entwicklungskraft auf diese Art von Serien zu verwenden. Entscheidend ist dabei vor allem der Aufbau des nötigen Know-hows im hiesigen Markt. Das jahrzehntelang gelernte episodische Erzählen hat zu einem bestimmten dramaturgischen Verständnis geführt. Das muss man jetzt ziemlich brachial aufbrechen. 

Was ist denn aus kreativer Sicht die größte Herausforderung dabei?

Goetter: Figuren zu entwickeln, die immer wieder aus sich heraus Spannung aufbauen, die von Anfang an mit großer Energie in die Serie hineinkommen und diese auch über einen längeren Handlungsbogen nicht verlieren. Das ist grundlegend anders als beim episodischen Erzählen, wo die Plotstruktur im Wesentlichen vorgibt, wie sich die Figuren auf dem Tableau zu bewegen haben.

Lehmann: Wir suchen immer wieder nach neuen Impulsen in der Erzählform. Wenn diese Projekte beim Publikum Erfolg haben, kann eine neue Artenvielfalt entstehen. Monokultur ist niemals gut.