Was fällt Ihnen da als Erstes ein?

Für mich der krasseste Moment: Die Randale der kroatischen Ultras im Stadion. Da wurde ein interner Konflikt auf die große internationale Bühne gezerrt – sehr bitter. Die wollten doch allen Ernstes einen Ausschluss ihrer Mannschaft provozieren! In diesem Moment war mir klar, jetzt wird die Veranstaltung auf eine Weise überfrachtet, die gefährlich ist. Aber auch die Hooligan-Auswüchse, insbesondere der russischen Chaoten, haben das Turnier beschädigt. Das Feedback vieler Fans, mit denen ich sprach, war zum Teil erschreckend.

Inwiefern?

Viele Anhänger sagten mir, es sei ihnen aufgefallen, dass die Zahl derer, die stumpfen Nationalismus zu Schau tragen, extrem groß gewesen sei. Patriotismus, also die Liebe zum eigenen Land, ist ja üblich und okay bei solchen sportlichen Wettkämpfen, aber viele Anhänger haben es dabei nicht belassen. Da wurden Slogans gegrölt, die sich unsereins nicht auszusprechen traut. Kurzum: Das, was ich aus Frankreich mitnehme, ist eine gewisse Ernüchterung. Die Leichtigkeit ist irgendwie verloren gegangen.

Zurück zu Ihrer Aussage, der Fußball werde überhöht. Wo ist eigentlich die Selbstkritik der Sendeanstalten?

Wie beziehen uns da ein, keine Frage. Selbstverständlich müssen alle Akteure ihre Arbeit stets aufs Neue hinterfragen.

Ein Beispiel: In Bagdad gab es an einem Sonntag einen Anschlag mit vielen Tote und Verletzten, das „Heute Journal“ machte allerdings am selben Tag mit einen Bericht zur EM-Partie des Vortages auf (Deutschland – Italien, d. Red.). Stützt das Ihre These?

Ich scheue mich davor, bei einer solchen Frage auf Einzelne zu zeigen.

Deshalb die Frage.

Natürlich müssen sich die Sender der Kritik stellen. Genauso wie Sie, schließlich führen wir jetzt ein Gespräch, über dessen Inhalt man auch sagen könnte: Entschuldigung, das überhöht jetzt aber den Fußball. Anders gesagt: Es gibt sicherlich Wichtigeres. Daher wiederhole ich mich gern: Das ist ein gesellschaftliches Phänomen. Der Fußball ist im Moment in der Tat der gesellschaftliche Kitt schlechthin. Wenn wir uns anschauen, in welch unfassbarer Geschwindigkeit die Kommerzialisierung des Sports in den vergangenen Jahren vorangeschritten, ja nahezu explodiert ist, und wie selbst Politiker den Fußball für sich nutzen, stellt sich schon die Frage, ob diese Blase nicht doch irgendwann platzen könnte.

Im Vorfeld der EM wurde viel über die Terrorgefahr gesprochen - hatten Sie während des Turniers manchmal ein mulmiges Gefühl?

Ja, zweimal. In Bordeaux, nach dem Spiel Belgien gegen Irland, bin ich an der Außenmauer hinter dem Kommentatoren-Block fünf Scharfschützen begegnet, die sehr intensiv die Gegend vor dem Stadion scannten – offensichtlich jederzeit einsatzbereit. Erst hinterher erfuhr ich, dass nach Erkenntnissen der belgischen Sicherheitskräfte ein terroristischer Anschlag geplant gewesen sein soll, der mit einer Polizeiaktion in Brüssel angeblich verhindert werden konnte. Da war mir schon mulmig zumute.

"Ich habe noch nie vor einem Spiel in so viele besorgte Gesichter der Organisatoren geschaut."

Und der zweite Moment?

Während der Partie Kroatien gegen Spanien. Ich hörte von einer Warnung kroatischer Sicherheitskräfte, wonach kroatische Hooligans geplant haben sollen, in der 30. Minute den Platz zu stürmen und den Schiedsrichter anzugreifen. Ob das eine Ente war, und ob es tatsächlich im Keim erstickt werden konnte, weiß ich nicht. Fest steht: Als Reporter schaut man in dieser 30. Minute eher weniger aufs Spielfeld, sondern mehr auf die Zuschauerränge. Ich habe noch nie vor einem Spiel in so viele besorgte Gesichter der Organisatoren geschaut wie an diesem Tag. Zudem habe ich noch nie einen derart martialischen Polizeiaufmarsch vor einem Fanblock erlebt; da stand hinter jedem Ordner ein schwerbewaffneter Polizist.

Es gibt keinen Sender, der darauf verzichtet, sogenannte TV-Experten einzubeziehen in die Übertragung. Meist sind es ehemalige Profifußballer, die versuchen, dem Zuschauer die Taktik der Mannschaften näher zu bringen. Herr Simon, wie intensiv beschäftigen Sie sich eigentlich mit Taktik?

Die öffentliche Wahrnehmung hat sich in der Tat verändert. Wir haben mittlerweile viele Leute im Team, die sich intensiv damit befassen. Ich schaue mir vor einer Übertragung so viele Fußballspiele an wie möglich. Am Spieltag versuche ich, besonders wach zu sein und überprüfe, ob die Mechanismen, die wir in der Vorbereitung bei den Mannschaften beobachtet haben, in dem Spiel auch tatsächlich umgesetzt werden. Es gibt überdies viele Quellen, aus denen man Informationen ziehen kann, ich nenne nur die Seite Spielverlagerung.de.

Abschlussfrage, Herr Simon: Sehen Sie Toni Kroos noch immer so kritisch wie vor der WM in Brasilien?

(lacht) Ich war schon immer ein großer Anhänger von Toni Kroos. Damals habe ich ihn gelegentlich kritisiert, richtig. Aber auch nur deshalb, weil ich das Gefühl hatte, da macht einer nicht alles aus seinen unglaublichen Möglichkeiten. Inzwischen ist Toni ein Weltklassespieler und die Seele des deutschen Spiels. Es ist kein Zufall, dass wir gegen die die Italiener im Viertelfinale Schwierigkeiten hatten; sie haben ihn gezielt bekämpft – Trainerfuchs Antonio Conte wollte Kroos unbedingt aus dem Spiel nehmen. Auch eine Form der Anerkennung.

Herr Simon, vielen Dank für das Gespräch.