Herr Strunz, was machen Sie bei der "Akte" besser als Ulrich Meyer?

Claus Strunz: Die Frage unterstellt ja eine Art Wettbewerb, den es nicht gibt. Wir treten nicht gegeneinander an. Für mich kam es nur in Frage zuzusagen, wenn Ulrich Meyer in der Nähe bleibt. Geografisch und inhaltlich. Ulrich wird mit der "Akte" immer etwas zu tun haben, weil er ein wesentlicher Bestandteil der Marke ist. Er ist und bleibt über den heutigen Tag hinaus so etwas wie der Hüter der DNA der Sendung. Was wir vorhaben ist eine Evolution, keine Revolution. Dafür ist der Schatz an Erfahrungen auch zu groß als dass wir damit brechen wollen würden.

Wie sieht denn diese DNA der "Akte" aus?

Claus Strunz: Sie ist journalistisch positioniert. Das ist ja längst nicht bei jedem Magazin so. Journalismus geht in der "Akte" vor Unterhaltung. Uns geht es nicht um den gerne benutzten Begriff "Unterhaltung mit Haltung". Dann würden wir hier überlegen, wie wir unterhalten können. Wir fangen stattdessen mit der Haltung an.

Das klingt jetzt etwas ehrenwerter als manche "Akte"-Sendung zuletzt aussah.

Claus Strunz: Die Lokomotive der "Akte" ist ein journalistischer Zugang zu Themen, vielleicht sogar investigativ. An dieser Lokomotive müssen - wenn dieser Zug viele Menschen mitnehmen will - dann aber auch Waggons mit breiteren Themen hängen. Das können Alltagsthemen mit Nutzwert für unsere Zuschauer sein. Wir werden also sicher auch kein rein politisches Magazin, eine Frage die Sie möglicherweise sonst auch noch gestellt hätten. Wir sind kein Politmagazin, aber haben einen gesellschaftspolitischen Anspruch und das hätte Ulrich Meyer sicher nie anders gesehen.

Herr Pfeffer, Sie arbeiten für Meta Productions und Claus Strunz nebenan für MAZ&More. Eigentlich sind Sie wirtschaftlich Konkurrenten…

Matthias Pfeffer: Ach, Wettbewerber. Also ich bin kein Frühaufsteher, daher will ich das "Frühstücksfernsehen" gar nicht haben. (lacht)

Claus Strunz: Oha, muss ich jetzt auch irgendwas ausschließen? (lacht)

Matthias Pfeffer: Also ich würde eher sagen, dass wir Kollegen sind. Claus und ich haben vor vielen Jahren schon gemeinsam "Eins gegen Eins" für Sat.1 aus der Taufe gehoben. Schon damals stand es einer guten Zusammenarbeit  nicht im Wege, dass ich für Burda und er für Springer tätig war. Wir kennen also die jetzige Arbeitsbeziehung - Claus Moderator, ich Produzent - schon sehr gut.

Claus Strunz: Wir wollen den Journalismus-Standort in Berlin stärken und den Kollegen aus Unterföhring miteinander noch besseren Journalismus liefern. MAZ&More mit dem Frühstücksfernsehen und die Meta Productions mit der „Akte“.

Sie sprachen eben schon von einer Evolution: Also ist es gefährlicher zu viel als zu wenig zu ändern?

Claus Strunz: Sie trauen mir das vielleicht gar nicht zu, aber ich nähere mich der Sendung mit großer Demut. Auf dem gewohnten Sendeplatz läuft die gewohnte Sendung - mit einem neuen Moderator. Das ist eine Änderung, die das Publikum erst mal annehmen muss. Das wird auch nicht jedem gefallen. Es würde mich wundern, wenn mich jeder mag. Aber bevor wir an dem Format arbeiten, sollten viele der treuen "Akte"-Zuschauer erst mal diesen Sprung mit uns machen. Vielleicht kommen auch schon neue Zuschauer dazu, einige davon, die vielleicht früher mal dabei waren; die neugierig sind.

Aber die "Akte" soll spürbar weiterentwickelt werden, entnehme ich Ihrer Antwort?

Claus Strunz: Wir haben uns verschiedene Phasen der Veränderung vorgenommen. Wir packen aber nicht alles jetzt in die erste Sendung am 10. Januar.

Matthias Pfeffer: Wir wollen wieder freilegen wofür die "Akte" immer stand: Wir sind durch und durch journalistisch getrieben.

Demnach ist da zwischendurch mal was verloren gegangen?

Matthias Pfeffer: Zwischenzeitlich war Factual Entertainment mal sehr angesagt. Aber bevor wir dann irgendwann zum Postfactual Entertainment kommen, wollen wir uns im Wochenmagazin "Akte" auf das konzentrieren, was derzeit mehr gefragt ist denn je: Information. Wir sind Arbeiter auf dem Feld der Realität und wollen nicht als Bergprediger auftreten so wie früher einige öffentlich-rechtliche Magazine, die dem Zuschauer gewisse Weltbilder aufgedrängt haben. Die "Akte" soll alltagsnah und authentisch und muss vor allem verständlich sein.

Claus Strunz: Wir müssen klar sein und nicht drum herum reden oder uns um ein Urteil oder Haltung drücken. Darum lautet unser neuer Claim: "Sagen, was Sache ist".

Kommen wir nochmal zu den Stufen der Weiterentwicklung der "Akte".

Matthias Pfeffer: Genau. Zunächst einmal jetzt mit Claus ein neuer Moderator. In Stufe 2 wird es ein neues Studio geben.

Claus Strunz: Und das wird deutlich einschneidender sein für die Sendung. Wir wollen an dieser Stelle noch nicht zu viel verraten. Ich kann aber versprechen: Es wird auffallen und deutlich machen, dass wir große Themen noch besser in Szene setzen wollen.

Wann soll das neue Studio dann in Betrieb gehen?

Claus Strunz: Das ist so eine Sache mit Berliner Bauwerken (lacht)

Matthias Pfeffer: Also sagen wir mal 1. Quartal.

Wozu ein neues Studio? Für Gäste und Talksituationen?

Matthias Pfeffer: Wenn es sich lohnt, werden wir auch Gäste einladen, aber wir wollen kein "Stern TV" machen.

Claus Strunz: Uns treibt übrigens auch die Frage um, ob die Wochenaktualität der "Akte" erhöht werden sollte. Ich formuliere das so zurückhaltend, weil wir nicht aus Effekthascherei längere Recherchen hintenanstellen wollen. Aber es ist sicherlich reizvoll, die "Akte" zu einer verlässlichen Anlaufstelle zu entwickeln, bei der man weiß: Wenn etwas Großes passiert ist in der Woche - die "Akte" wird sich damit, wenn auch auf ganz eigene Art, beschäftigen.

Wird Fernsehjournalismus in Deutschland eigentlich ernst genommen?

Claus Strunz: In Deutschland wird die öffentliche Debatte - anders als im englischsprachigen Raum - ja noch sehr stark durch die Presse geführt. Vielleicht ist man deshalb besonders kritisch, weil man sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen will. Vielleicht aber liegt es auch daran, dass ich auf Grund meiner Vita das nur besonders genau betrachte und sicher dadurch auch ein bisschen verzerrt wahrnehme. Es gibt im deutschen Journalismus insgesamt eine fast schon fetisch-artige Lust an der Geißelung der eigenen Branche. Es ist natürlich eine journalistische Tugend, selbstkritisch zu sein, aber es fällt auch auf, wenn man es damit übertreibt.

Matthias Pfeffer: Wir sehen uns bei der "Akte" auch als Testimonials für das Genre. Wir glauben, dass das deutsche Fernsehen mehr Fernsehjournalismus mit Relevanz vertragen könnte.

"Der Alltag geht fast unverändert weiter. Da gibt es eine Diskrepanz zwischen der Darstellung der Welt in den Nachrichten und dem Alltag, wie ihn die Menschen erleben. Und das treibt manche Zuschauer auch von den Nachrichtenmedien weg."

Matthias Pfeffer

Was ist denn Relevanz und wer entscheidet das?

Matthias Pfeffer: Eine sehr gute Frage. Relevant ist nicht, was wir Journalisten für relevant erklären. Das war auch so ein Denkfehler der vergangenen Jahre, der dazu geführt hat, dass der Journalismus als Ganzes von einigen Menschen zu den vermeintlichen Eliten des Landes gezählt wurde, die bestimmen würden, was zu tun sei. Relevant ist, was die Menschen als wichtig in ihrem Leben empfinden.

Claus Strunz: Ein Kollege ging neulich in die Bäckerei und will sein Frühstück arglos mit einem 50 Euro-Schein bezahlen. Es ist früh am Morgen und die Verkäuferin kann auf einen 50 Euro-Schein kein Wechselgeld rausgeben. Da sagt der Kollege ganz verduzt:: "Das muss doch möglich sein, ein 50 Euro-Schein kommt doch aus jedem Geldautomaten." Darauf entgegnet die Verkäuferin: "Bei mir nicht." Das sagt eine Frau die den ganzen Tag arbeitet und dennoch jeden Euro zweimal umdrehen muss. Das macht mich dann neugierig darauf, was diese Frau über so manche Themen von heute denkt, die mit etwas größerem Geldbeutel von uns vielleicht gelassener betrachtet werden.

Matthias Pfeffer: Journalismus ist selten so spannend gewesen wie in dieser Zeit. Als ich bei Sat.1 anfing, gab es das Magazin "Quadriga" mit Dieter Kronzucker - und damals erlebten wir den Mauerfall und die Folgen. Das war eine sehr aufregende Zeit für uns Journalisten, in der sehr viel auf dem Spiel stand. Seitdem hat es so etwas nicht mehr gegeben bei uns.

Den 11. September 2001 vielleicht?

Matthias Pfeffer: Ja richtig, aber erst heute spüren wir die Folgen des 11. Septembers durch den sich gegenseitig aufschaukelnden Hass, der inzwischen weite Teile der Welt erreicht hat und politisch und gesellschaftlich besorgniserregend wird. Es mangelt nicht an Erschütterungen und selbst westliche Partner gucken sorgenvoll Richtung USA. Es brechen bislang sicher gewusste Stützpfeiler weg. Wie gestaltet sich das Leben in Zeiten von Schlagzeilen, die immer wieder das Gefühl geben, die Welt ist verrückt geworden. Es ist doch spannend, wenn Populisten so erfolgreich Untergangsstimmungen verbreiten, obwohl es uns in Deutschland wirtschaftlich insgesamt sehr gut geht nach Finanzmarkt-Krise, Euro-Krise und allem, was passiert ist. Wenn man die Nachrichten schaut, könnte man mitunter den Eindruck bekommen, morgen geht die Welt unter. Und dann merkt man: Der Alltag geht fast unverändert weiter. Da gibt es eine Diskrepanz zwischen der Darstellung der Welt in den Nachrichten und dem Alltag, wie ihn die Menschen erleben. Und das treibt manche Zuschauer auch von den Nachrichtenmedien weg.