Herr Nadermann, Ihre neue Serie „Springflut“ startet am Sonntag beim ZDF. Sie fällt einmal mehr ins Genre Scandi Noir. Ist der Begriff eigentlich noch ein Gütesiegel oder inzwischen schon ein abgenutzter Stempel?

Es ist immer noch ein Qualitätssiegel. Die skandinavische Produktion hat einen eigenen Stil entwickelt, der gefragt ist. Aber ich habe schon vor längerer Zeit gemahnt, dass man Scandi Noir weiterentwickeln muss. Man kann nicht immer nur durch die verregneten dunklen Straßen von Kopenhagen oder Stockholm laufen und Geschichten erzählen, in denen die perfekte skandinavische Gesellschaft von einem Soziopathen bedroht wird.

Bei „Springflut“ regnet es also nicht?

Doch, auch mal (lacht). Ich habe mich aber bemüht, neue Stoffe zu finden. Und „Springflut“ ist anders: Wir haben eine junge Ermittlerin, eine durchaus positive Figur ohne maßgebliches emotionales Gepäck oder Macken wie z.B. unser Ermittlerin in „The Bridge“. Wir sehen Stockholm auch mal im Sommer und nicht die oft so monochrom inszenierte Welt. Natürlich ist „Springflut“ eine Kriminalgeschichte und damit dem Genre treu, aber mit einer neuen Tonalität. Die Autoren, Cilla & Rolf Börjlind, hatten die unglaubliche Chance, ihr Buch zweimal zu schreiben – die Romanvorlage und die Drehbücher. Sie konnten mit etwas Abstand nochmal auf ihr Werk schauen und auch überlegen ob man gewisse Dinge vielleicht anders hätte erzählen sollen. Aus kreativer Sicht sehr spannend.

Sie sprachen von dem sehr eigenen Stil der Skandinavier. Können Sie den beschreiben?

Die Qualität entsteht im Vergleich zu deutschen Krimis zum Beispiel durch die sehr differenzierte Abbildung von Realität. Das fängt bei den Büchern an, geht über Inszenierung und Sprache.

Sind deutsche Produktionen da schlechter?

Das Deutsche ist oft etwas umständlich. Da wird gerne überprononciert gesprochen. Und dann die Einstellungen: In Deutschland ist das sehr strikt. Schuss und Gegenschuss. Die Kamera im Skandinavischen ist beweglicher, wirkt neugieriger. Das hat alles eine natürlichere Lässigkeit. Das merkt man auch dann daran, dass sich in Dänemark wiederum ältere Zuschauer schon mal beschweren, dass man den Serien manchmal so schwer folgen könne. Genau das Gegenteil dessen, was man deutschen Produktionen nachsagt. Dazu kommt bei skandinavischen Produktionen eine besondere Sorgfalt, weil die Märkte insgesamt viel weniger produzieren und damit alle Beteiligten mehr Zeit und Aufmerksamkeit reinstecken können. Es gibt einen Unterschied, ob man 22 oder 32 Drehtage hat. So entsteht Production Value.

Der aber nur durch Koproduktionen entstehen kann. Die Märkte im Norden wären doch allein gar nicht groß genug…

Richtig, die Skandinavier brauchen uns. Sie sind im Grunde zur Koproduktion verdammt. Sie können aus eigener Kraft heraus ihre Programme meist nicht stemmen. Der deutsche Markt ist groß genug, dass wir auch Auftragsproduktionen allein für den Heimatmarkt realisieren können. Aber das funktioniert in Skandinavien nicht. Die brauchen Koproduktionspartner um ihre Budgets realisieren zu können. Und so ist eine sehr gut funktionierende Koproduktionsgemeinschaft entstanden, bei der alle wissen, was sie aneinander haben.

Warum funktionieren ausgerechnet die Koproduktionen mit Skandinavien so gut?

Wir haben das gleiche schlechte Wetter (lacht). Und die schlagen Menschen sich oft mit denselben Neurosen herum. Unsere Gesellschaften sind relativ vergleichbar.

"Die Engländer freuen sich, wenn sie uns fertige Produkte verkaufen können oder wir einfach Geld geben."
Peter Nadermann

Der Serienboom hat längst ganz Europa erfasst. Kommen inzwischen auch andere Länder für Sie als Koproduktionspartner in Frage.

Das ist nicht so einfach. Spanien ist beispielsweise kein so ein einfaches Koproduktionsland für uns, weil die Mentalität der Gesellschaft eine andere ist. Dann hat man den permanenten strahlenden Sonnenschein, was dazu führt, dass sich das Leben viel draußen vor der Tür abspielt. Und die Sprache hat eine ganz andere Dynamik. Das ist weiter weg von uns als die nordischen Länder, aber die Produktionsqualität in Spanien hat enorm zugenommen. Italien war immer schon ein interessantes Koproduktionsland, aber ist auch dem Spanischen sehr nahe. Zwischen den beiden Märkten gibt es ohnehin eine enge Bindung. Frankreich ist auch immer interessant. Das einzige Land, mit dem man wirklich ganz schwierig koproduzieren kann, ist Großbritannien. Die Engländer freuen sich, wenn sie uns fertige Produkte verkaufen können oder wir einfach Geld geben. Aber da gibt es keine große Bereitschaft zum Dialog. Die brauchen niemanden und wenn, dann machen sie es mit den Amerikanern.

Eine Frage an jemanden, der die nordischen Märkte gut kennt: Wird eigentlich auch mal gelacht im skandinavischen Fernsehen? Man gewinnt mitunter den Eindruck alle wären depressiv oder kriminell angesichts von soviel Gewalt und Verbrechen.

Das liegt in der Natur der Sache: Kriminalgeschichten reisen sehr gut um die Welt, weil man überall das Prinzip versteht. Es gibt ein Verbrechen und das muss aufgeklärt werden. Familienserien oder Dramen dringen tiefer in gesellschaftliche Themen ein, die von Land zu Land anders wahrgenommen werden. Deswegen erscheint es uns so als würde es in Skandinavien nur Scandi Noir geben, weil sich die anderen Genres international nicht so gut verkaufen lassen. Aber es gibt sie. Und wir haben uns mit Nadcon ja auch an „Die Erbschaft“ beteiligt, was schon weitaus stärker in Richtung Familiendrama ging als die klassischen Scandi Noir-Geschichten.