Herr Schönenborn, vor zweieinhalb Jahren wollten Sie ran an die jungen Zuschauer. #WDRmachtan war das Motto. Was ist geblieben von der Jugendoffensive?

Es ging damals ja nicht darum, ein paar neue Formate zu entwickeln, sondern das WDR Fernsehen neu zu positionieren für die Zukunft.

Wie sieht diese Positionierung aus?

Das WDR Fernsehen ist ein modernes, weltoffenes Programm, geprägt von Information und ganz klar aus dem Westen für den Westen. Die Innovationswochen waren ein Paukenschlag. Ein Signal nach außen, mal genauer hinzuschauen weil sich in den nächsten Jahren einiges tun wird, und ein Signal nach innen, dass wir uns verändern werden. Beides war gleichermaßen von Bedeutung. Das Problem des WDR Fernsehens war, dass zwar unser Marktanteil stieg, aber das immer getragen war von älteren Zuschauerinnen und Zuschauern, die mehr Zeit haben um fernzusehen. Das ist auf Strecke gut für den Marktanteil, aber die tägliche Berührung in der Breite des Publikums ließ nach.



Also viele treue Zuschauer, aber zu wenig insgesamt.

Wir haben weniger Menschen, besonders jüngere erreicht. Und da sind wir stolz, dass uns im vergangenen Jahr in der Gruppe der 35- bis 55-Jährigen die Trendwende gelungen ist. Wir haben in dieser Gruppe von 3,8 Prozent auf 4,2 Prozent zulegen können. In einer neuen Imagestudie machen uns die Modernitätswerte richtig Freude. Da wird das WDR Fernsehen als modernster Sender in Nordrhein-Westfalen wahrgenommen.

Aber welchen Impuls hat denn #WDRmachtan dafür geben können? Viel ist davon im Programm nicht übrig geblieben.

Es ist noch ein langer Weg, auf dem wir vielleicht die Hälfte geschafft haben, aber die sichtbaren Erfolge sind unsere Motivation, den Weg fortzusetzen. Es ist schön, dass es junge Menschen gibt, die uns wieder oder länger gucken als noch vor ein paar Jahren. Das ist auch der Erfolg einzelner, konkret benennbarer Programme.

Welche wären das konkret?

Wir haben unsere Informationssendungen ausgebaut, etwa „WDR aktuell“ um 21.45 Uhr auf 25 Minuten verlängert, weil wir ja auch sehen, dass sich die Fernsehnutzung in den späteren Abend verlagert und wir unsere Kernkompetenz auch bei denen ausspielen wollen, die am frühen Abend noch nicht fernsehen können. Auch dort haben wir aber ausgebaut und sind von 18 bis 20 Uhr Marktführer in Nordrhein-Westfalen. Die „Aktuelle Stunde“ hat im letzten Jahr im Schnitt 1,7 Millionen Menschen täglich erreicht. Das ist der Höchststand in der 30-jährigen Geschichte des Formats und sie leistet etwas, was keine andere Nachrichtensendung in den Dritten leistet: Sie schaut mit dem Blick des Westens auf die Themen der Welt. Wir ordnen beispielsweise die Bundespolitik in Berlin mit der Realität im Westen ein. Und das schätzen unsere Zuschauer.

Ich wiederum würde beklagen: Die „Aktuelle Stunde“ widmet sich oft zunächst Themen, für die ich später auch die „Tagesschau“ schauen kann. Müssten nicht NRW-eigene Themen im Vordergrund stehen?

Es gibt viele Sendungen, die von vornherein im Land beginnen, aber wenn zum Beispiel über Monate hinweg in Berlin über eine künftige Regierung verhandelt wird, dann blicken wir mit den Erwartungen und Sorgen der Menschen im Westen auf diese wichtigen Themen in Berlin oder auch  in Brüssel. Ich mache im Moment eine Tour von Publikumsgesprächen, mit der wir im November angefangen haben. Da sind wir im Land unterwegs, in Emmerich, Siegen oder Bielefeld und diskutieren mit etwa 50 Leuten über den WDR und das WDR Fernsehen. Die freuen sich zunächst einmal, sagen zu können, was sie über ihren WDR denken. Die „Aktuelle Stunde“ ist dabei immer ein Thema und einer sagt immer: „Ein bisschen von dem, was ihr dort zeigt, kann ich doch auch später in der ‚Tagesschau‘ sehen.“ Bevor ich antworten kann, sagen meistens andere schon, dass sie es schätzen, mit der „Aktuellen Stunde“ in einer Sendung über das Wichtigste in NRW und darüber hinaus informiert zu sein.

Welche Erkenntnisse hat die Tour darüber hinaus gebracht?

Ja, natürlich viele, aber wenn man den wichtigsten Hinweis herausfiltern müsste, dann sicherlich die Mahnung, dass das Leben nicht nur in der Großstadt stattfindet. Die meisten Menschen in NRW leben nicht in einer großen Stadt. Wenn der Rhein Hochwasser hat, dann darf das Thema nicht in Duisburg enden. Es ist weniger also der Blick auf nationale, aber für NRW relevante Themen, der kritisch beäugt wird. Es ist eher die Erinnerung für uns Fernsehmacher, dass unsere Lebenswelt der Großstädte nicht die der Mehrheit unserer Zuschauerinnen und Zuschauer entspricht und NRW mehr ist als Köln, Düsseldorf und Dortmund.

Sie sagen, der WDR hat die Informationsangebote ausgebaut. Nur am Wochenende müssen Sie hoffen, dass im Land nichts Wichtiges passiert. Die „Lokalzeiten“ am Samstagabend wurden durch ein landesweites BestOf ersetzt. Sonntag gab es sie nie. Da haben sie die Fläche für Lokales erst wieder am Montag.

Wenn es wichtig ist, sind wir immer in der Lage zu informieren wie etwa beim Schneechaos Mitte Dezember, wo wir auch am Wochenende im WDR Fernsehen immer wieder berichtet haben. Die „Aktuelle Stunde“ ist auch am Wochenende zur Stelle, aber ich würde mir auch wünschen, dass wir uns am Wochenende abends regelmäßige und längere Informationssendungen leisten könnten. Aber das ist gerade wirtschaftlich an der Stelle nicht realisierbar, und da der Samstag der Wochentag mit den in der Regel wenigsten Ereignissen ist, lässt es sich an dieser Stelle am ehesten verschmerzen.

Die Öffentlich-Rechtlichen müssen sparen, keine Frage. Aber es ist schwer vermittelbar, dass der WDR dann ausgerechnet an der regionalen bzw. lokalen Information sparen muss. Stichwort „Lokalzeit“ am Wochenende.

Meine Erfahrung ist, dass das Publikum sehr wohl versteht, dass unser Budget begrenzt ist. Wir hatten 2016 im Programmhaushalt ungefähr so viel Geld wie 2008. In diesen Jahren sind aber die Kosten für uns - wie für alle anderen - inflationsbedingt gestiegen.

Das ist ja unstrittig. Die Frage ist nur, ob vermittelbar ist, dass ausgerechnet bei der lokalen Information gespart werden muss.

Wir setzen mit unseren elf Studios im Land und ihren jeweiligen „Lokalzeiten“ auch wirtschaftlich ein klares Statement, was für uns wichtig ist. Das ist ein Kostenblock von deutlich über 50 Millionen Euro, der aber genau da ausgegeben wird, wo er hingehört: In der lokalen Information. Dazu kommt, dass wir als WDR im Ersten einen Großteil der Informationslast leisten. Wir haben mehr Auslandsstudios als alle anderen ARD-Anstalten, wir steuern mehr Dokumentationen zu als die anderen. Natürlich gibt es immer etwas, was man auf den Wunschzettel schreiben würde. Aber wir sind das Informationsprogramm für den Westen. Dieser Eindruck wird uns aus den Gesprächen mit unseren Zuschauerinnen und Zuschauern sowie der Imagestudie gespiegelt. Und die Modernisierungsmaßnahme durch das so genannte „House of WDR“ wird positiv aufgenommen. Zwei große Studios, eines für die Nachrichten, eines für die Magazine. Das hatte den Vorteil, dass wir für die beiden Sets mehr Geld in die Hand nehmen konnten als sonst für die Einzelsets jeder Sendung. Diese Modernisierung kommt gut an und ermöglicht uns zudem, noch wirtschaftlicher zu produzieren.

"Wir haben auch gelernt, dass es nicht immer der erste Schuss ist, der klappt"

Beim Durchschnittsalter ihres Publikums hat sich allerdings noch nichts geändert: 2014 war der WDR-Zuschauer im Durchschnitt 63 Jahre alt. 2017 ebenso.

Aber das ist ja nicht das wichtige Kriterium. Mich interessiert: Erreichen wir mehr jüngere Menschen? Wenn unsere treuen älteren Zuschauer gleichzeitig noch häufiger und länger schauen, lässt das Durchschnittsalter keinen Schluss auf die Entwicklung zu. Im Übrigen sind wir aber im Vergleich zu anderen Dritten beim Durchschnitt nicht älter geworden.

Was ist denn abseits der Information in der Unterhaltung hängen geblieben von der Innovationsoffensive 2015 mit der Sie das Publikum der 35- bis 55-Jährigen erreichen wollten?

Es ist richtig, dass wir noch kein neues „Zimmer frei“ - also das große neue Ding wie einst auch „Klim Bim“ - gefunden haben, aber es ist intern sehr viel mehr hängen geblieben als es vielleicht scheint. Wir haben an einigen Ideen auch nochmal gearbeitet. Ein Beispiel: Unsere Serie „Meuchelbeck“ war skurril und lustig, aber wollte gleichzeitig auf mehreren Ebenen horizontal erzählen. Die zweite Staffel, die gerade produziert wird, wird nun stärker episodisch erzählen. Schöne Ideen, die wir bis heute machen, sind z.B. „Mann TV“ oder auch „Das Lachen der Anderen“, das gerade mit einer kleinen dritten Staffel lief. Da sind nur irgendwann die Themen endlich. Aber ich sag mal so: Wie viele Dritte Programme gewinnen schon mit der Unterhaltung einen Deutschen Fernsehpreis? Micky Beisenherz ist uns so ans Herz gewachsen, dass wir ihn zusammen mit Susan Link im vergangenen Jahr beim „Kölner Sommertreff“ eingesetzt haben und die Beiden werden in diesem Sommer noch häufiger am Freitagabend zu sehen sein. Aber wir haben auch gelernt, dass es nicht immer der erste Schuss ist, der klappt.