Worauf beziehen Sie das?

Der WDR hat ja eine lange Tradition in der Dokusoap. Die Älteren werden sich an „Die Fussbroichs“ erinnern. Wir haben eine Reihe neuer Dokusoaps angeschoben und mussten feststellen, dass nicht alle so geworden sind, wie wir es uns vorgestellt haben. Aber wir sind am Genre dran geblieben und sind so auf „Feuer & Flamme“ gestoßen, das gerade erst für den Deutschen Fernsehpreis nominiert war. Ein tolles Format mit viel Nähe und Menschlichkeit in einer so noch nicht gesehenen Form.



Kult lässt sich nicht wirklich planen, aber es ist eine Weile her, dass der WDR mal ein Kultprogramm in der Unterhaltung entwickelt hat, wie es z.B. dem NDR mit dem „Tatortreiniger“ gelungen ist. Oder gerade auch „Das Institut“ von BR und NDR. Die WDR-Unterhaltung 2018 ist „Geheimniskrämer“?

Wir haben zum Beispiel „Pussyterror TV“ von und mit Caroline Kebekus. Da ist es nur so: Kaum läuft es super bei uns, geht es ins Erste rüber. Das ist auch vollkommen okay. Es ist die Aufgabe der Dritten das Gemeinschaftsprogramm zu stärken. Aber klar, auch so etwas wie „Hart aber fair“ fehlt uns bis heute im WDR Fernsehen. Den Preis zahlen wir aber gerne, damit die ARD stark ist.

Ist das Konstrukt der ARD dann manchmal auch ein Fluch? Wenn bei Ihnen etwas erfolgreich oder gefragt ist, müssen Sie es abgeben ans Gemeinschaftsprogramm?

Nein Herr Lückerath. Wir alle sind doch die ARD. Und zur Unterhaltung im WDR nochmal: Die  „Geheimniskrämer“ ist jetzt die erste Idee für den „Zimmer frei“-Sendeplatz am Sonntagabend. Karin Kuhn, die die WDR-Unterhaltung im vergangenen Jahr übernommen hat, hat noch weitere Ideen für diesen Sendeplatz in petto, auf die wir uns freuen können..

Warum laufen eigentlich alle Talkshows im Dritten gleichzeitig am Freitagabend? Diese Frage soll ich Ihnen noch von meiner Oma weiterreichen, die sich darüber regelmäßig aufregt, weil man ja nicht alle gleichzeitig gucken kann.

Gute Frage. Weil das offenbar die beste Zeit ist für gepflegte Unterhaltung und eine Jahrzehnte alte Gewohnheit. Und die gute Nachricht für Ihre Oma, die wahrscheinlich selten die Mediathek nutzt: alle Talkshows aus den Dritten werden wiederholt, der "Kölner Treff" zum Beispiel am Sonntagmorgen.

Besteht das Problem für das WDR Fernsehen eigentlich darin, die richtigen Formate zu finden oder nicht oft auch darin, dass diese Formate ihre angepeilten jüngeren Zuschauer nicht erreichen, weil die gar nicht mehr beim WDR danach suchen?

Menschen für das WDR Fernsehen zurückzugewinnen, egal ob jung oder alt, funktioniert nicht mit der erstbesten Idee sondern ist harte Arbeit. Ich glaube wir Medienmacher insgesamt müssen uns klar machen, dass wir nicht Programm für uns selbst machen. Wir, die wir Fernsehen machen, gehören zu einer vielfältigen Minderheit: Zur Minderheit, die in der großen Stadt lebt. Zur Minderheit, die Abitur hat. Wir gehören zur Minderheit für die Bio im Supermarkt eher selbstverständlich als eine Frage des Preises ist. Worauf ich hinaus will: Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass unsere Lebens- und Arbeitswelt nicht repräsentativ ist.

Was bedeutet das konkret fürs Programm?

Ein Format wie „Wunderschön“, das wir immer noch gerne am Sonntagabend gegen den „Tatort“ platzieren, hatte sich aus unserer Sicht überlebt, weil es in erster Linie unterhaltenden Charakter hat und von schönen Bildern lebt. Aber in den Publikumsgesprächen der vergangenen Monate hat sich gezeigt, dass gerade die Jüngeren es gerne zur Entspannung gucken und durchaus auch zusammen mit den Kindern, weil es schöne Unterhaltung sei, bei der garantiert niemand ermordet wird. Das ist sinnbildlich für einen Lernprozess, den wir als Macher ernst nehmen müssen. Also arbeiten wir am Format, sorgen für eine neue Dramaturgie z.B. durch Wanderungen durchs Land. Meine Botschaft ist: Wir haben eine Weile gebraucht, um unser Publikum wirklich kennenzulernen und zu verstehen.

Wieso produziert die BBC eigentlich alle paar Jahre große Prestige-Dokumentationen, aber der öffentlich-Rechtliche Rundfunk in Deutschland nicht? Es mangelt natürlich nicht an Dokumentationen und Reportagen im Programm. Aber wo bleiben die großen Projekte, die man sich auch ins Regal stellt. „100 Tage“ oder „Die Deutschen“ gab es mal - vor vielen Jahren. Zu 70 Jahren NRW gab es im vergangenen Jahr mal wieder so ein Grundsatzwerk. Ich vermisse aber z.B. mal das Standardwerk zur Geschichte des Ruhrgebiets.

Wir bleiben an dem Ansatz von „70 Jahre NRW“ dran. Das hat uns inspiriert. Es war dem Anlass entsprechend passend, aber wir haben auch gemerkt: Die Geschichte des Landes ist mehr als Politik. Daraus entstanden ist zunächst mal im vergangenen Jahr schon „Unser Land: Die 70er“. 10 Jahre, 10 Filme. Diesen Herbst kommt dann „Unser Land: Die 80er“. Meine Wunschvorstellung ist, dass wir am Ende zu einem gut 70-jährigen Land auch 70 Filme haben. Vielleicht nicht mehr im Regal, aber dann in der Cloud. Und es freut mich, wenn ich bei den Publikumsgesprächen erzählt bekomme, wie Familien gemeinsam geschaut haben, weil Großeltern ihren Enkeln gesagt haben: „Schaut mal, so sind Oma und Opa groß geworden.“ Dieses Jahr kommen also die 80er Jahre. Danach müssen wir mal schauen, ob wir mit den 60ern oder 90ern weitermachen. Und ein weiteres aufmerksamkeitsstarkes Projekt, das im Netz schon für Aufsehen gesorgt hat, ist „Docupy“, bei dem wir uns zusammen mit der bildundtonfabrik dem Thema Ungleichheit nähern - und das in allen denkbaren Facetten. Es wird letztlich im Frühjahr in drei Dokumentationen im WDR Fernsehen und im Ersten münden. Wir haben hier experimentiert und im Netz angefangen - übrigens absichtlich mit der Marke „Docupy“ als Absender statt „Die Story“.

Warum eigentlich?

Wir schätzen unsere etablierten Programmmarken, dazu gehören ja auch Klassiker wie die Maus oder „Quarks & Co“. Manche Label sind allerdings nur in Teilen unserer Zuschauerschaft so verankert, wie wir es als Macher gerne glauben. Das ist das Thema, das wir eben angesprochen haben. Deshalb ist „Docupy“ als Absender der Versuch, die Neugier einer neuen jungen Gruppe von  Zuschauerinnen und Zuschauern zu wecken, die mit „Die Story“ vielleicht nicht so viel verbinden wie unser Stammpublikum im Linearen.

"NRW ist eine politische Definition. Aber der Westen ist Lebensgefühl."

Stichwort linear und Non-linear. Machen Sie eigentlich noch ein Programm oder eher einzelne Programme - wenn sie verstehen, welchen Unterschied ich meine.

Unser Auftrag ist nicht mehr, etwas für den Wohnzimmer-Fernseher und das Küchenradio zu produzieren. Ich will nicht leugnen, dass es dauert, bis sich Gewohnheiten ändern und das auch in einem großen Haus wie dem WDR verinnerlicht ist. Aber unser Auftrag ist es, Inhalte zu produzieren. Wie und wann die konsumiert werden, kann uns egal sein. Man muss als Programmmacher akzeptieren, dass man nicht mehr wie früher die Kontrolle darüber hat, wann das Publikum etwas sieht. Gerade die Jüngeren sind da viel flexibler in ihrem Medienkonsum und das ist toll. Aber es stellt uns natürlich aus der Rundfunk-Denke heraus vor die Herausforderung, wie wir diese Zielgruppen erreichen weil sie nicht wie früher selbstverständlich vom Sofa aus erstmal durch die einprogrammierten Programme auf ihrem Wohnzimmer-Fernseher schalten.

Da ist dann „Docupy“ ein Versuch?

Aber nicht der einzige. Die Doku-Kollegen haben im September einen YouTube-Kanal mit WDR Dokus gestartet. Da haben wir natürlich darauf geachtet, dass von YouTube die Werbefreiheit garantiert wird. Da gibt es Filme aus „Menschen hautnah“, „Die Story“, „Hier & Heute“ oder „WDR.DOK“ und wir freuen uns, dass es Filme gibt die jetzt schon mehr als eine Million Abrufe haben und viele weitere hunderttausende Abrufe. Das ist nur ein Puzzleteil einer großen Herausforderung, aber ich sehe uns auf dem richtigen Weg.

Wann wurde eigentlich im WDR entschieden, dass jetzt auffällig penetrant von „der Westen“ oder „dem Westen“ gesprochen wird - sowohl im Radio als auch Fernsehen?

Das habe ich für das WDR Fernsehen im Zusammenhang mit den Innovationswochen so entschieden. Ich bin selbst in Nordrhein-Westfalen groß geworden und ich glaube, dass die Menschen auch ein positives Verhältnis zu NRW haben, aber der Westen meint mehr. Landesgrenzen sind ja nicht mehr so klare Trennlinien, egal ob im Norden in Richtung Niedersachsen, im Süden Richtung Rheinland-Pfalz oder auch im Westen Richtung Niederlande. Dazu kommt, dass NRW eine politische Definition ist. Aber der Westen ist Lebensgefühl, und das ist ja mehr als Politik.

Herr Schönenborn, herzlichen Dank für das Gespräch.