Herr Boning, Sie sind bekennender Ausdauersportler und laufen teilweise auch über die  Marathondistanz hinaus. Nun machen Sie kurz vor der Weltmeisterschaft eine Fußball-Doku für History. Welchen Bezug haben Sie zum Fußball?

Wigald Boning: Ich habe einen Großteil meiner Kindheit damit verbracht, auf die Garagentore in unserer Straße zu spielen. Das gab immer viel Ärger mit der Nachbarin, denn wenn der Ball über die Garage geschossen wurde, landete er in ihrem Garten und wurde vom Pudel zerfleischt. Außerdem habe ich zwei 20-jährige Söhne, die in ihrer gesamten Kindheit Fußball gespielt haben. Und natürlich gucke ich auch Fußball und gehe regelmäßig ins Stadion. 

Sie sind Fan von Werder Bremen, da mussten Sie in den vergangenen Jahren ziemlich leiden, oder? 

Absolut. Das letzte schöne Erlebnis war die Qualifikation zur Champions League und das… wie lange ist das jetzt überhaupt schon her? (lacht) Seitdem bin ich sehr abgehärtet, sowas ist ja auch immer eine Charakterschule. Mich kann in diesem Leben nichts mehr schocken. Wechseln kann ich meinen Verein nicht, das sind alles frühkindliche Prägungen, die man nicht mehr los wird. Selbst wenn ich mich jetzt dazu entschließen sollte, mich nicht mehr für Fußball zu interessieren, gäbe es eine Persönlichkeits-Instanz in mir, die stärker wäre als meine Entschlussfähigkeit. 


Sie waren für die Doku beim Nord-Derby zwischen Bremen und Hamburg. Freuen Sie sich als Werder-Anhänger, dass der ewige Rivale nun abgestiegen ist?

Es gibt derzeit viele Werder-Fans, die sich über den Abstieg des HSV freuen. Ich habe das immer etwas anders gesehen. Ich bin ja als Kind Werder-Fan geworden, weil meine Cousins damals HSV-Anhänger waren. Da wollte ich wahrscheinlich etwas dagegenhalten, ich weiß es nicht mehr genau. Aber nach wie vor sind meine Cousins HSV-Fans, mein Freund Olli Dittrich ist sogar Ehrenmitglied dort. Ich gönne denen also überhaupt nicht den Abstieg, im Gegenteil. Ich hoffe, dass der HSV schnell wieder aufsteigt, damit es auch schnell wieder zum Nord-Derby kommt. Diese destruktive Werder-Folklore kann ich nicht nachvollziehen.  

Sie machen viel Sport, gelten aber nicht als Fußball-Experte. Wie sind Sie zur Doku gekommen? Ich nehmen an, der Kontakt zum Sender war durch die frühere Doku "Wigald & Fritz – Die Geschichtsjäger" schon da? 

Richtig. History hat mich gefragt und da ich mit dem Sender nur allerbeste Erfahrungen gemacht habe, musste ich gar nicht lange überlegen. 

Was hat Sie am meisten fasziniert bei den Dreharbeiten?

Wir hatten ja eine klare Aufgabenstellung, wir sollten die Seele des Fußballs ergründen. Gleich am ersten Tag habe ich den Präsidenten von Werder Bremen getroffen, der sagte, die Seele sei das Gemeinschaftserlebnis. Am Ende kam bei mir dann der Gedanke auf, dass es sich bei der Seele um Liebe handelt. Davon bin ich mittlerweile auch felsenfest überzeugt: Beim Fußball geht es um Liebe. Das steht über allem. Grundsätzlich fand ich es toll, weil die Dreharbeiten so vielfältig waren. Jeder Drehtag war spannend: Ich saß auf der Bank eines Regionalligisten und habe gesehen, mit welcher Leidenschaft, aber auch mit welcher Professionalität dort gearbeitet wird. Dann habe ich mit einem Team aus Flüchtlingen gespielt und den Trainer von SV Babelsberg 03 getroffen, der Verein setzt sich auch politisch sehr ein. Das alles waren unterschiedliche Szenen, mit denen ich sonst nicht so viele Berührungspunkte habe. Deshalb war es auch so erfrischend. 

Von der großen Samstagabendshow habe ich mich inzwischen ganz verabschiedet.

Und was ist Ihre Erkenntnis? Gibt es die Seele des Fußballs noch? 

Ja, selbstverständlich. Die Seele des Fußballs ist unkaputtbar, weil es sich um wahre, ewige Liebe handelt. Ich habe so viele leidenschaftliche Fans kennengelernt und festgestellt, dass das eine Liebe ist, die man bei Männern sonst nur selten findet. Wenn man sieht, wie da die Verbindung zwischen einem Mann und seinem Verein über Jahrzehnte wächst, dann kann keine Ehe damit konkurrieren. Die Ehe zwischen Mann und Frau ist naturgemäß fast nie so stark wie die Ehe zwischen Fan und Fußballverein. Das ist mir bei den Dreharbeiten so richtig klar geworden.  

Was bedeutet das konkret? Es wird ja derzeit viel diskutiert über unterschiedliche Anstoßzeiten und welche Auswirkungen die Montagsspiele auf die Fanszene haben. Inzwischen braucht man mehrere Abos, um alle Bundesliga-Spiele zu sehen. Und dann wäre da ja auch noch die Fifa mit ihren vielen Skandalen.

Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die aktuellen Diskussionen, wie weit die Fifa die Kommerzialisierung, Skandale und Korruption noch treiben kann, bevor das Interesse der Fans erlahmt. Echte, wahre Liebe ist durch solche Kleinigkeiten nicht zu beschädigen. Das ist natürlich eine furchtbare Einsicht, weil das heißt, dass sich die Fifa gar nicht reformieren muss. Andererseits ist das die Realität. 

Stört Sie der Kommerz im Fußball? Geht es überhaupt ohne?

Ich finde das alles sehr unschön und bin ein Anhänger des Amateur-Gedankens. Ich betreibe selbst wacker meinen Amateursport und kann Transfersumme, die inzwischen schon bei mehr als 200 Millionen Euro angekommen sind, überhaupt nicht nachvollziehen. Das kann man alles beklagen, aber bei vielen Menschen wird das die Liebe zum Fußball nicht beschädigen. 

Profi-Spieler haben heute weniger Ecken und Kanten, das wird durch die Doku deutlich. Sie erhalten auch ein intensives Medientraining, ich habe dann immer das Gefühl, dass die Spieler in TV-Interviews zwar viel reden, aber nicht wirklich etwas sagen. Wie bewerten Sie das? 

Die Spieler werden heute viel professioneller geschult und äußern sich entsprechend. Aber es gibt auch Ausnahmen, ich erinnere nur an Per Mertesacker, der bei der letzten WM einen kleinen Ausbruch hatte. Der Typus des kantigen Spielers, wie ihn damals zum Beispiel Mario Basler verkörpert hat, ist auch heute noch eine Nische, die in der Mediengesellschaft ihren Platz hat. Gerade ist diese Nische unbesetzt, aber da wird mit Sicherheit wieder etwas kommen.  

Der Trainer von SV Babelsberg 03 sagte in der Doku, Özil & Co. haben einen großen Einfluss auf Jugend und Jugendkultur. Zuletzt sind Fotos aufgetaucht, die Özil und Gündogan neben Recep Tayyip Erdogan zeigen. Die Spieler wurden dafür massiv kritisiert und sind bereits zurückgerudert. Was sagt uns dieser ganze Fall?

Das Foto hat die Strategie des DFB konterkariert. Es herrscht eben nicht eine Friede-Freude-Eierkuchen-Kultur, es ist viel komplizierter. Integration ist ein Zickzackkurs, das wurde durch dieses Bild dokumentiert. 

Deutschland - Deine Fußballseele© History
In "Deutschland - Deine Fußballseele" musste Wigald Boning auch selbst auf den Platz und spielen.

Bald startet die WM, wie groß ist Ihre Vorfreude? 

Ich habe wenig Vorfreude auf die WM, bin inzwischen aber alt genug um zu wissen, dass das im Verlauf des Turniers noch kommt. Da lasse ich mich immer mitreißen, auch unabhängig vom deutschen Abschneiden. Das einzige Mal, dass ich Vorfreude hatte, war 1978. Ich war 11 Jahre alt und hatte mein erstes Panini-Heft zusammen gesammelt und dann kam es zur Schande von Cordoba. Das Panini-Heft habe ich für zehn Mark auf dem Flohmarkt verkauft. Noch ist die WM für mich aber in weiter Ferne. Und dann schüttele ich über manche Dinge auch den Kopf, etwa wenn einem deutschen Journalisten die Einreise verweigert werden soll. Das sind alles krude Geschichten. Aber wie ich bereits angedeutet habe: Fußball macht blind. 

Sie haben die History-Doku gedreht und sind durch "Genial daneben" inzwischen auch wieder sehr regelmäßig im Fernsehen zu sehen. Was steht dieses Jahr noch an? 

Zwischendurch toure ich ja immer mit Bernhard Hoecker durch Deutschland, da haben wir jetzt gerade die erste Hälfte hinter uns. Im Herbst geht es weiter. Und ansonsten bin ich mit "Genial daneben" auch sehr gut ausgelastet, das ist viel Arbeit. 

Gibt es eigentlich noch etwas, das Sie noch einmal im Fernsehen machen wollen?  Etwas, zu dem es bislang noch keine Gelegenheit gab? 

Das ist schwer zu sagen. Ich hoffe, dass mir immer wieder schöne Nischenprodukte angeboten werden, die sowohl mich als auch möglichst viele Zuschauer interessieren. Von der großen Samstagabendshow habe ich mich inzwischen ganz verabschiedet, aber so etwas wie diese Fußball-Doku, bei der ich durch das ganze Land reise und interessante Menschen kennenlerne, möchte ich schon mein Leben lang weiter machen. Welche Art Doku die nächste sein wird, kann ich aber noch nicht sagen. Das muss ich mir erst ausdenken, oder jemand anders (lacht). 

Herr Boning, vielen Dank für das Gespräch!

History zeigt "Deutschland - Deine Fußballseele" am 28. Mai um 20:15 Uhr.