Herr Pleitgen, Herr Fuhst, der "Internationale Frühschoppen" feiert 65. Geburtstag. Was ist das Geheimrezept, dass es die Sendung so lange gab und auch seit der Neuauflage schon seit immerhin 15 Jahren wieder gibt?

Helge Fuhst: Geprägt wurde die Sendung in besonderer Weise durch Werner Höfer. Heute sticht die Sendung vor allem durch ihre Besetzung heraus: Während wir sonst in vielen Talkshows vorwiegend durch die deutsche Brille diskutieren, bekommen wir durch die Journalisten aus dem Ausland ganz andere Sichtweisen ermöglicht. Dadurch stärkt die Sendung die Gesellschaft und gibt den Menschen einen breiteren Blick auf die immer komplexer werdenden Themen dieser Zeit.

Fritz Pleitgen: Wir haben von der BBC den Slogan für unseren Auftrag übernommen, zu informieren und aufzuklären. Zur Aufklärung tragen gerade auch Sichtweisen aus anderen Ländern bei.

Hilft es den Diskussionen womöglich auch, dass keine Politiker zu Gast sind?

Pleitgen: Ganz bestimmt. Wir haben das beim "Presseclub" einmal probiert, als wir den Eindruck hatten, dass das Interesse nachlässt. Das war vom Publikum allerdings nicht gewünscht. Viele Zuschauer sagten uns, sie wollten nur Journalisten sehen, weil sie bei Politikern stets das Gefühl haben, interessengeleitet zu sein. Eine reine Journalisten-Runde wirkt auf die Zuschauer dagegen objektiver und differenzierter. Man sollte dieses Experiment daher nicht wiederholen.

Halten Sie es für bedauernswert, dass internationale Gäste heute so selten in Talkshows eingeladen werden?

Pleitgen: Ich habe gewissermaßen an dieser Entwicklung mitgewirkt. Zu meiner Zeit beim "Presseclub" waren es vor allem die innenpolitischen Themen, die das Publikum besonders interessiert haben. Ich kann mich an Sendungen zum ersten Golfkrieg oder den Zusammenbruch der Sowjetunion erinnern, aber die Zuschauerzahlen waren ziemlich enttäuschend. Aus diesem Grund wurden die internationalen Gäste mit der Zeit spärlicher. Allerdings war mir immer wichtig, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht zu einer Nabelschau des eigenen Volkes verkommt, sondern auch Themen außerhalb Deutschlands anspricht.

Wie erklären Sie sich diese Verschiebung?

Pleitgen: Der "Internationale Frühschoppen" ist zu einer Zeit entwickelt worden, als Deutschland in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg noch kein souveräner Staat gewesen ist. Deshalb waren wir sehr abhängig von den damaligen Siegermächten. Das hat sich spätestens durch die Wiedervereinigung geändert, die Deutschland sehr groß und stark gemacht hat. Von diesem Moment an richtete sich der Blick mehr auf das eigene Land, so wie ich das zuvor schon in Amerika, aber auch in Frankreich oder England erlebt habe.

Fuhst: Glücklicherweise ist der Zuspruch bei internationalen Themen wieder größer geworden. Zuletzt hatten wir mit einer Ausgabe, in der wir über die in großen Teilen von Donald Trump ausgelösten Veränderungen der Weltpolitik diskutierten, einen Rekord-Marktanteil von 4,9 Prozent erzielt. Das hat über eine halbe Million Zuschauer angezogen.

Pleitgen: Ich bin Phoenix sehr dankbar, hier gegen den Trend anzugehen, schließlich hat sich unsere Welt sehr globalisiert. Wir haben mehr als je zuvor mit anderen Ländern zu tun. Manchen bekommt das, manchen bekommt das nicht. Der Blick über den Tellerrand ist gerade in dieser Zeit nötiger denn je.

Besorgt es Sie, wenn der Gedanke der globalisierten Welt zurückgedrängt wird?

Pleitgen: Alles, was nationalistisch ist, ist besorgniserregend. Wir haben da schließlich unsere Erfahrungen gemacht. Der Schritt von Nationalismus zu Chauvinismus und weiter zu Faschismus ist manchmal sehr kurz. Solchen nationalistischen Tendenzen gilt es, entschieden entgegenzutreten. Wer in einer aufgeklärten Gesellschaft lebt, der muss auch international auftreten.

Fuhst: Leider stellen wir aber fest, dass die Zahl der politischen Journalisten, die aus anderen Ländern kommen, um über Deutschland zu berichten, kleiner geworden ist. Ich kann keine genaue Zahl nennen, aber wir spüren das sehr deutlich bei unserer Suche nach Gästen. Während Medienhäuser aus aller Welt früher ganz selbstverständlich einen Korrespondenten in Berlin hatten, gibt es heute nicht selten nur noch einen Journalisten, der von London oder Paris aus über ganz Europa berichtet.

Pleitgen: Das ist eine interessante Entwicklung, die ich mir nur durch Sparmaßnahmen erklären kann. Eigentlich müsste es genau umgekehrt sein, denn die Bedeutung Deutschlands in der Welt hat im Vergleich zu früheren Jahrzehnten deutlich zugenommen.

"Dass ich mit 80 Jahren nicht mehr moderiere, ist völlig in Ordnung."
Fritz Pleitgen

Zur Wahrheit gehört auch, dass viele Menschen Journalisten immer kritischer begegnen. Da begegnet man häufig Begriffen wie "Lügenpresse". Macht sich das auch beim "Frühschoppen" bemerkbar?

Fuhst: Als ich die Moderation übernommen habe, habe ich eigentlich erwartet, dass solche Meinungen insbesondere bei der anschließenden "Nachgefragt"-Sendung viel häufiger geäußert werden. Zu meiner positiven Überraschung ist das überhaupt nicht der Fall. Wir haben fast durchweg Fragen und Aussagen, die die Diskussion positiv bereichern.

Pleitgen: Generell ist "Lügenpresse" zum politischen Kampfbegriff der Rechten geworden, denen die kritische Presse nicht geheuer ist. Auf diese Weise erhoffen sie sich Unterstützung für ihre nationalistischen Parolen. Glücklicherweise haben wir gegenüber 90 Prozent aller anderen Länder den Vorteil, mit dem Bundesverfassungsgericht eine Einrichtung zu haben, die wie keine andere die Pressefreiheit schützt. Darum werden wir von den Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern sehr beneidet. Wie wichtig eine starke Presse ist, zeigt der Blick in die USA. Niemand hätte doch geglaubt, dass dieses wunderbare System des Checks and Balances von einem einzigen Menschen derart aus den Angeln gehoben werden kann. Die einzigen, die ihm kritisch auf die Finger schauen, sind die Medien. Möglich ist das nur durch die von der Verfassung garantierte Pressefreiheit, die wir tunlichst verteidigen müssen.

Herr Pleitgen, kribbelt es Ihnen hin und wieder in den Fingern, wenn Sie politische Talkshows im Fernsehen schauen?

Pleitgen: Talkshows macht man ja nicht mit den Fingern. (lacht) Ich werde noch immer hin und wieder in diese Sendungen eingeladen und damit kann ich sehr zufrieden sein. Dass ich mit 80 Jahren nicht mehr moderiere, ist völlig in Ordnung. Jetzt sind nun mal andere dran.

Wissen Sie, was ich schön finde? Wir haben nun lange über den "Internationalen Frühschoppen" gesprochen und es ging kein einziges Mal um Alkohol und Zigaretten.

Pleitgen: Bei Höfer war das alles deutlich munterer. Heute handelte man sich zu Recht starke Rüffel ein, würde man in der Sendung mächtig picheln oder rauchen. Das hat ja nicht gerade einen positiven Vorbildcharakter.

Fuhst: Das wäre heute vor der Kamera tatsächlich nicht mehr denkbar. Wir pflegen das Ritual aber zumindest insoweit, dass wir unmittelbar nach der Sendung mit unseren Gästen mit einem Glas Wein anstoßen.

Herr Pleitgen, Herr Fuhst, vielen Dank für das Gespräch.