Frau Thier, Sie haben bis 2014 fast zehn Jahre lang die "RTL II News" moderiert und waren das Gesicht der Sendung. Als Sie Abschied genommen haben, sprachen Sie von "neuen Herausforderungen". Wie sahen die konkret aus?

Sandra Thier: Die Herausforderungen waren in den vergangenen vier Jahren wirklich sehr groß, das wusste ich beim Ausstieg aber noch nicht (lacht). Ich war damals fest angestellt bei RTL II, hatte einen tollen Job mit den besten Kollegen, die man sich vorstellen kann. Dennoch habe ich insgesamt zwölf Jahre lang jeden Tag Nachrichten gemacht, zehn davon in Deutschland, zwei in Österreich. Hinzu kamen Sendungen am Wochenende, ich habe während dieser Zeit durchgearbeitet. Ich war also auch ein bisschen müde, die Ruhephasen haben mir gefehlt. Hinzu kam, dass die Nachrichten an sich immer grausamer geworden sind. Wir hatten am Ende Redaktionssitzungen, bei denen wir nicht wussten, was wir raus lassen sollen. Terror, Amokläufe, Krisen im In- und Ausland, Flugzeugabstürze, da war wirklich alles dabei.

 

Und dann?

Einer der Hauptgründe, an denen ich erkannt habe, dass sich die gesamte Medienbranche im Umbruch befindet, hat mit zwei Youtuberinnen zu tun. Die haben vor vielen Jahren auf der Kölner Domplatte eine unangekündigte Autogrammstunde veranstaltet. Am Ende musste die Polizei kommen, weil viele hundert Kinder dort waren und auch teilweise in Ohnmacht gefallen sind. Sowas passiert heute vielleicht öfters, damals war es aber neu. Sogar die "Tagesschau" hat darüber berichtet. Bei den "RTL II News" haben wir es als Aufmacher gebracht. Und für mich ganz persönlich war es ein Aha-Moment. Diese Parallelwelt, die da im Internet und speziell bei Youtube entstanden ist, hat die ganze Medienwelt verändert und wird das weiter tun.

Was machen Sie heute?

Nach meinem Ausstieg habe ich viele Gespräche geführt, auch mit klassischen Medienhäusern. Da hat mich aber nichts überzeugt. Durch Zufall habe ich dann den österreichischen Werber Rudi Kobza getroffen, der in seiner Branche seit 30 Jahren extrem erfolgreich ist. Wir haben uns zusammengesetzt und uns in einer Art Goldgräberstimmung beratschlagt, wohin die ganze Reise in der neuen Online-Welt geht und was wir daraus machen könnten. Wir haben dann gemeinsam diego5 gegründet, das war die größte Herausforderung meines Lebens.

Was macht diego5?

Wir haben mit diego5 einen Bewegtbild-Experten aufgebaut, der auf vier Säulen steht: Branded Entertainment, Influencer Marketing, TV-Produktion und 360 Grad Events wie die Influencer Video Con und der Austrian Video Award, den wir gemeinsam mit der "Kronen Zeitung" produzieren. Unsere Firma hat vom ersten Tag an schwarze Zahlen geschrieben und wir wachsen stetig weiter.

Welcher dieser Bereiche ist der wichtigste und welcher wächst am stärksten?

Am stärksten wächst der Bereich Branded Entertainment. Das ist auch der Teil, in dem wir am meisten reinstecken, sowohl Manpower als auch Innovation und Kreation. Branded Entertainment wird in den kommenden Jahren immer wichtiger, jedes Unternehmen wird sich zu einem Medienhaus entwickeln. Wir sind die Partner, mit denen sich die Unternehmen digital transformieren können. Wir nehmen dabei oft auch eine strategische Rolle ein. Je nachdem, was gewünscht ist.

Was steht auf Ihrer Visitenkarten? TV-Produzentin? Influencer-Mama? Digital-Expertin?

Auf meiner Visitenkarte steht Managing Partner. Aber in der Tat: Ich fühle mich ein bisschen wie ein Mädchen für Alles. Ich mache von der Budget-Planung bis hin zur Influencer-Betreuung alles, wir haben in den vergangenen vier Jahren mehr als 500 Filme für Kunden produziert und 300 Influencer Kampagnen erfolgreich umgesetzt. Neben der Herausforderung eine Firma aufzubauen und Regie zu führen, macht mir am meisten Spaß, neue Kommunikationskanäle innovativ zu bespielen. Das ist uns bislang gut gelungen, die Kunden ziehen mit. Zum Beispiel haben wir für das österreichische Bundesheer das Web-Format "Tagwache mit Kratky" entwickelt und umgesetzt. Die Serie im Netz verzeichnet über 4,5 Millionen Views und wurde mit zwei Content Awards prämiert.

"Am stärksten wächst der Bereich Branded Entertainment. Das ist auch der Teil, in dem wir am meisten reinstecken, sowohl Manpower als auch Innovation und Kreation."
Sandra Thier

Sie sagten doch, Sie seien 2014 müde gewesen. Das hört sich jetzt aber nicht so an, als würden Sie weniger arbeiten als früher.

Das stimmt (lacht). Ich wollte nach meinem Ausstieg bei RTL II eigentlich weniger arbeiten, aber es ist genau das Gegenteil passiert. Zum Glück hatte ich keine Ahnung, was mich als Geschäftsführerin und Unternehmerin erwartet. Wir haben jetzt zwei Firmen mit 25 Angestellten in Österreich, da hat man schon sehr viel Verantwortung und Druck. Da war ich nicht wirklich vorbereitet. Aber es läuft wirklich gut und wir sind stolz auf das Team.

Wie sehen die weiteren Pläne aus? Soll diego5 expandieren?

Seit der Gründung 2015 hat diego5 auch Kunden aus Deutschland und der Schweiz erfolgreich betreut wie etwa das Modelabel RIANI. Nun freuen wir uns aber auf den Start auch in Deutschland, im Sommer haben wir die diego5 Germany gegründet. In den ersten Monaten haben wir vor allem mit möglichen Kunden und potenziellen Mitarbeitern gesprochen. Jetzt legen wir so richtig los: Wir werden mit allen vier Geschäftsfeldern auch in Deutschland aktiv sein. Gegründet haben wir die Firma in Berlin, Hauptsitz wird aber München sein.

Ist die Konkurrenz-Situation in Deutschland heute nicht eine ganz andere als in Österreich 2015? Die meisten Influencer sind ja zum Beispiel schon bei Mediakraft, Studio71 und anderen Unternehmen unter Vertrag. Hinzu kommen viele andere Agenturen, die sich als Digital-Spezialist verstehen.

Absolut, Konkurrenz gibt es aber überall. Das hat mich noch nie abgeschreckt, etwas zu tun. Auch in diesem Fall glauben wir an die Kraft von diego5 und an die Erfahrung, die wir in den vergangenen vier Jahren sammeln konnten. Damit werden wir bei den Kunden punkten. Ziel ist es, innovative Kommunikationskanäle anders darzustellen und neu zu denken. Wir wollen die erste Adresse für Digital-Video werden.

Wie viele Mitarbeiter hat diego5 derzeit in Österreich und Deutschland und wie viele sollen es mittelfristig werden?

In Österreich haben wir derzeit 25 fest angestellte Mitarbeiter, hinzu kommen Freiberufler und Praktikanten. In Deutschland sind wir noch ganz klein und starten mit einem kompakten Team. Wir wollen organisch wachsen, so wie wir das auch in Österreich geschafft haben. Das kommt dann auch auf die Auftragslage an: Wenn wir Pitches gewinnen, können wir sehr schnell aufstocken.

Und Ihren Kunden empfehlen Sie dann, vor allem ins Digitale zu investieren und nicht mehr ins TV? Noch hat das Fernsehen ja die hohen Reichweiten, die Werbekunden brauchen, um die große Masse anzusprechen.

Das kommt immer auf den Kunden an, was sind seine Zielgruppen und was will er erreichen? Viele Firmen haben ausschließlich Produkte für junge Leute und da macht es Sinn, überwiegend auf neue Kommunikationskanäle zu setzen. Wenn ich aber Hörgeräte verkaufe, muss ich nicht unbedingt ins Netz gehen. Meist ist die goldene Mitte ein guter Marketing-Mix.

Sie sind gebürtige Österreicherin, ist das der Grund, weshalb Sie mit diego5 zunächst in Österreich gestartet sind und nicht in Deutschland? Der deutsche Markt war ja auch schon damals deutlich größer als der österreichische.

Das hat mit meinem Geschäftspartner Rudi Kobza zu tun, der eben in Österreich sitzt. Deshalb war es eine logische Konsequenz, zunächst in Österreich zu starten. Österreich ist eine Art Testmarkt: Auch hier ist die Agenturlandschaft grundsätzlich besetzt. Im digitalen Video-Bereich waren wir aber First Mover und konnten den Markt recht schnell besetzen.

Wieso eigentlich der Name diego5?

Wir wollten mit dem Namen eine Geschichte erzählen, und zwar die des User-generated Video-Contents. Dieser Bereich ist zwischen 2005 und 2015 explodiert. Hintergrund ist der: Wir haben uns 2015 gegründet, zehn Jahre davor ist Youtube online gegangen. Damals hat einer der Youtube-Gründer das erste Video auf die Plattform gestellt. Das war ein kurzer Clip aus dem Zoo von San Diego. Das war damals der Startschuss für eine große Geschichte, 2005 war ja noch nicht klar, wie sehr Youtube die Bewegtbild-Welt verändern wird.

Auf der zweiten Seite lesen Sie, welche Rolle Influencer bei diego5 spielen und was Sandra Thier zum Aus der "RTL II News" in der bisherigen Form sagt.