Herr Kalkofe, Ihre "Mattscheibe" feiert 25. Geburtstag. Ist die Sendung für Sie inzwischen eigentlich business as usual geworden?

Überhaupt nicht, vor allem wenn ich an den "Kalk-Freitag" denke, an dem wir bei Tele 5 ganze 25 Stunden lang senden dürfen. Das verlangt in der Vorbereitung einiges von uns ab, weil wir Tag und Nacht damit beschäftigt sind, tausende Clips zu sichten und die Jubiläumsshow vorbereiten. Als die Idee entstand, das Jubiläum auf diese Weise zu feiern, haben wir alle den Aufwand völlig unterschätzt, weil wir eben nicht nur alte Sachen aufwärmen – aber Tele 5 hat einfach Ja gesagt. Jeder andere Sender hätte uns wahrscheinlich für verrückt erklärt.

Können Sie sich überhaupt an alles erinnern, was Sie in den 25 "Mattscheibe"-Jahren gespielt haben?

Nein, überhaupt nicht. Ich kann ich mich an ganz große Teile nicht mehr erinnern und wundere mich, was ich alles einmal geschrieben oder gespielt habe. Früher war das noch anders. Beim "Frühstyxradio" und in den ersten Premiere-Jahren glich mein Kopf einem lebenden Archiv. Da musste man mir nur einen Satz zuwerfen und ich wusste sofort, um welchen Beitrag es sich handelt. Ohne es zu merken, hat der Kopf inzwischen aber aus Selbstschutz Blockaden eingebaut. Wäre das nicht der Fall, wäre ich heute wahrscheinlich komplett irre und würde sabbernd in der Ecke sitzen, weil die Schädel-Festplatte überfüllt ist.

Aber weshalb ist Ihnen nach all den Jahren die Lust am Fernsehen nicht vergangen, wenn Sie doch so viel Schlechtes gesehen haben?

Das frage ich mich auch oft. Ich habe allerdings eine grundsätzlich positive Lebenseinstellung und versuche stets, aus dem Schlimmsten das Beste zu machen. Das zieht sich durch meine gesamte Arbeit durch: Als Satiriker und Humorist versucht man das sowieso, weil man erst mal anfängt, seine seltsamen oder schlimmen Lebenserfahrungen lustig aufzuarbeiten. Später habe ich das auf die "Mattscheibe" übertragen und bei "SchleFaZ" ist es ganz ähnlich. Bei beiden Formaten handelt es sich um Recycling-Produkte. Wir nehmen etwas ganz Beschissenes und versuchen, etwas Schönes daraus zu machen, über das man sich freuen kann. Quasi die Veredelung von Müll.

Wie hat sich der Müll, wie Sie sagen, seit 1994 verändert?

In den 90ern hatte das Privatfernsehen seine Hochphase, weil alle Beteiligten Bock darauf hatten, etwas Kreatives zu schaffen, und es viel Geld gab, das ausgegeben werden durfte. Da hatten Menschen das Sagen, die bis dato unter dem strengen Unterhaltungsreglement der Öffentlich-Rechtlichen gelebt hatten. Selbst die großen Shows hatten dort immer einen Bildungsauftrag. Bei den Privaten kam plötzlich eine neue Freude am Fernsehen auf, man wollte das Publikum einfach unterhalten und die Programme dominierte ein übermütig-naiver Irrsinn, bis nach dem Jahrtausendwechsel das Business-Modell auf dem Vormarsch war und plötzlich alles günstiger produziert und vor allem Gewinn erwirtschaftet werden musste. Als dann auch noch die Finanzkrise kam, brach das Fiction-Segment ein und die Scripted Realitys übernahmen das Feld. Das führte dazu, dass Menschen, die eigentlich Fernsehen lieben, heute kaum noch Fernsehen schauen oder zu den Streamingdiensten gewandert sind. Geblieben sind die Allesgucker, die entweder keine andere Wahl haben oder denen alles egal ist.

Aber auch Netflix macht ja letztlich nichts anderes als Fernsehen – nur eben in einer anderen Darreichungsform.

Das stimmt, und glücklicherweise hat der Erfolg der Streamingdienste ein Stück weit dazu geführt, dass die Sender mittlerweile merken, dass ihre Zuschauer vielleicht doch nicht so blöd sind wie man all die Jahre behauptet hat. Auch bei den Öffentlich-Rechtlichen, die jahrelang in ihrer Bräsigkeit verharrt sind, tut sich etwas, wenn auch viel zu wenig.

Zu welcher Zeit hat Ihnen das Parodieren am meisten Spaß gemacht?

Am Anfang habe ich noch gar nicht parodiert. Mir war auch gar nicht klar, ob ich das überhaupt kann, denn ich bin kein Parodist, sondern mache immer nur eine Kalkofe-Version von Figuren, der Rest kam alles erst nach und nach. Am meisten Spaß hat das Parodieren aber um den Jahrtausend-Wechsel gemacht, weil das die Zeit war, in der noch schräge, bunte Vögel und seltsame kleine Sender auftauchten. Heute ist das meiste gleichförmig und im Look und Inhalt nur schwer unterscheidbar, das Unterhaltungsfernsehen wirkt zum größten Teil rein maschinell gefertigt und die Moderatoren lassen sich kaum noch voneinander unterscheiden.

"Scripted Reality hat zum Untergang des Fernsehens beigetragen."
Oliver Kalkofe

Weil viele Sender und Produzenten der Meinung sind, ein Format müsse größer sein als der Moderator.

Das halte ich für eine ganz schlechte Entwicklung. Eine Sendung lebt von einer guten Idee, aber auch von der Person, die sie rüberbringt. Das Format kann noch so gut sein, wenn man einen grinsenden Moderationsroboter ohne eigene Persönlichkeit vor die Kamera stellt, wird es am Ende doch stinklangweilig. Das lässt sich bei den Privaten sehr gut beobachten, wo häufig nur brave Sprechpuppen moderieren, die zwar hübsch aussehen und nett lächeln, aber nichts Eigenes rüberbringen. Die sind sauber und können sprechen, ohne hinzufallen – das war's dann aber meist auch schon.

Bei den Scripted Realitys gab's dann allerdings plötzlich gar keine Gesichter mehr. Dennoch haben Sie diese Formate desöfteren parodiert und dadurch ja auch von ihnen profitiert. Sind Sie deshalb etwas betrübt, dass das Genre heute auf dem absteigenden Ast ist?

Davon habe ich nicht gerne profitiert. Scripted Reality gehörte nie zu meinen Favoriten – schon alleine, weil die Sender plötzlich die schlechtesten Ideen aus den Mülleimern der Comedy-Redaktionen geklaut haben. Als ich noch Radio gemacht habe und es die ersten Soaps oder zaghaften Dokusoap-Versuche gab, haben wir exakt solche Sketche geschrieben. Dass ein Mann seine Frau schlägt, weil die falschen Buchstaben in der Buchstabensuppe waren, oder über einen Richter, der seinen Lümmel in Hot-Dog-Brötchen legt und als Pimmel-Model arbeitet. Das alles habe ich später ernst gemeint bei den Scripted Realitys gesehen, wo ein nicht zu unterschätzender Teil der Menschen wirklich glaubte, das sei real.

Die Sender haben es allerdings auch gemacht, weil die Quote plötzlich durch die Decke ging.

Dennoch hat Scripted Reality zum Untergang des Fernsehens beigetragen, weil da auf einmal gar nichts mehr stimmte. Keine Schauspieler, keine professionellen Kameraleute, kein Licht, keine Maske – und dann auch noch mit den abartigsten Geschichten, für die man sich die ärmsten Schweine der Gesellschaft suchte, um diese vor der Kamera komplett lächerlich zu machen. Das istwiderwärtig und zum Parodieren verdammt schwer, weil man ja die Figuren nicht ein zweites Mal vorführen wollte , sondern die Kritik eigentlich diejenigen treffen soll, die das alles zu verantworten haben. Es wird höchste Zeit, dass das jetzt endlich aufhört.