Herr Gutzeit, Herr Obländer, Story House dreht gerade die erste Highend-Serie in Chile. Wie kam es zur Entscheidung, in das Genre vorzurücken?

Andreas Gutzeit: Wir sind die einzige deutsche Produktionsfirma, die auch maßgeblich in den USA als Produzent auftritt. Daher haben wir bei unserer fiktionalen Strategie gesagt: Wenn wir schon so international aufgestellt sind, dann wollen wir die Stärke auch nutzen. Im linearen deutschen Fernsehen sind die Sendeplätze für Fiktion ja im Wesentlichen schon definiert und an langjährige Partner vergeben. Deswegen war klar: Eine internationale Koproduktion ist vielversprechender und für uns naheliegend, weil wir damit bereits in anderen Genres Erfahrungen gesammelt haben. Das Arbeiten in anderen Ländern mit anderer Arbeitsethik eoder Produktionsweise ist nicht ganz einfach, da hilft Erfahrung. Auch bei "Dignity" trifft deutsche Organisation auf lateinamerikanische impulsive Spontanität.

Wie kam aber jetzt ausgerechnet dieses Projekt, eine achtteilige Serie über die Colonia Dignidad zustande?

Andreas Gutzeit: Ich bin bei uns für Sales & Acquisitions verantwortlich und sowieso auf all den internationalen Märkten unterwegs. Im Zuge dessen kam ich in Kontakt mit unseren jetzigen chilenischen Koproduzenten, die in Lateinamerika auch schon zwei Serien gemacht haben. Wir waren uns sofort sympathisch.

Jetzt sind die Hauptrollen mit deutschen Schauspielerinnen und Schauspielern besetzt, Sie sind Head-Autor. Der deutsche Anteil scheint recht groß zu sein bei dieser Koproduktion. Haben Sie so gut verhandelt oder zahlt die deutsche Seite einfach den Großteil?

Andreas Gutzeit: Es ist eine außergewöhnlich kooperative Koproduktion, in der zwei Produzenten zusammen eine kompromisslos gute, spannende Thriller-Serie produzieren wollen. Es hat dem Projekt geholfen, dass sich zu Beginn kein Sender um Ecken und Kanten gesorgt hat.

Andreas Gutzeit

Andreas Gutzeit, Chief Creative Officer und General Manager Story House Productions

Es gab vor wenigen Jahren erst eine Hollywood-Verfilmung zum Thema Colonia Dignidad. Was erzählt die Serie anders?

Andreas Gutzeit: Zunächst einmal scheint der Film wie eine Hürde, klar. Was will man machen, wenn sich Hollywood dem Thema schon einmal mit Daniel Brühl und Emma Watson gewidmet hat. Aber wir wollen eine weitaus authentischere Geschichte erzählen, die den politischen Aspekt auch stärker berücksichtigt. Der Film wurde so international gedacht, dass Details, die nur dem deutschen Publikum auffallen würden, eingespart wurden. Wir betonen diese Details. Es ist eine ganz andere Story, weil wir zu einer anderen Zeit ansetzen. Die Grundidee ist die Geschichte von zwei Brüdern, die ehemals in der Colonia gelebt haben. Der eine stirbt unter mysteriösen Umständen, der andere geht dann nach Deutschland um zu studieren, kehrt zurück nach Chile und wird der Staatsanwalt, der die Colonia ausheben soll - und dabei auf einen Mann trifft, der behauptet sein eigentlich totgeglaubter Bruder zu sein.

Sie selbst sind Headautor. Wie schafft man es, als Geschäftsführer eine wachsende Firma zu führen, aber sich noch die Zeit nehmen zu können, selber Headautor einer Serie zu sein?

Andreas Gutzeit: Wir drei - also Carsten, Jens Afflerbach und ich - sind ja mal angetreten, um Geschichten zu erzählen. Das ist auch heute noch ein persönliches Verlangen auch wenn schon lange weitere Aufgaben dazu gekommen sind.

Carsten Obländer: So etwas gelingt nur, wenn man in Kauf nimmt, mehr Zeit zu investieren. Mit der Freizeit ist das dann so eine Sache. Unser Vorteil ist natürlich, dass nicht eine Person an der Spitze steht sondern wir allein drei Gesellschafter sind, die sich um das Geschäft kümmern. Zudem haben wir eine Geschäftsleitung, die uns unterstützt und die wir jetzt erweitern: wir haben mit Sigrun Laste, die auch unser Kölner Büro leitet, und Arnd Piechottka, der vor allen Dingen gerade unsere Projekte für RTL II verantwortet, sehr erfolgreiche Executive Producer sowie den Kollegen Mirko Mikelskis aus der Produktion in die Geschäftsleitung geholt. Auch neu dabei ist unser US CFO Bhavika Maniar. Außerdem fördern wir systematisch jüngere Kolleginnen und Kollegen, um Story House damit auch für die nächsten 20 Jahre aufzustellen.

Vielleicht müssen wir kurz mal grundsätzlich über Story House sprechen. Ihre Produktionsfirma wird 20 Jahre alt. Wofür steht Story House denn im Jubiläumsjahr?

Andreas Gutzeit: Story House ist längst ein Allrounder. Wir kamen aus der klassischen Dokumentation, aber haben uns in den vergangenen fünf Jahren weiterentwickelt. Wir haben Doku-Produktionen für "Terra X" und "ZDFzeit", sind aber auch im Factual Entertainment mit den "Trucker Babes" für kabel eins sehr erfolgreich, machen "Reeperbahn" oder "Die Gruppe: Schrei nach Leben" für RTL II und drehen jetzt unsere erste achtteilige Serie "Dignity". Fiction haben wir schon in Spielfilm-Länge gemacht, aber serielles Erzählen ist natürlich nochmal die nächste Stufe. Und in Zusammenarbeit mit den Walt Disney Studios kommt im nächsten Jahr der Kinofilm "Vier zauberhaften Schwestern". Auch dort sind wir also unterwegs. Story House steht für Premium-Content mit besonderer visueller Kraft, aber dem Namen entsprechend wollen wir natürlich auch große Geschichten erzählen.

Carsten Obländer: Storytelling ist der Kern unserer Firma und Factual Entertainment ist - entsprechend der Nachfrage im Markt - für uns ein Schwerpunkt geworden. So haben wir z.B. für das ZDF Programme entwickelt, um den Doku-Sendeplatz am Dienstagabend mit Factual Entertainment zu stärken. Mit Nelson Müller produzieren wir das, würde ich mal so sagen, derzeit in der Dienstags-Primetime erfolgreichste Factual-Entertainment-Programm des ZDF.

Und trotz der Produktionen gehört Story House, würde ich mal so sagen, zu den leiseren Produzenten im Markt - mit wenig Schlagzeilen.

Carsten Obländer: Man kann nah am Leben dran sein und gute Geschichten erzählen, ohne laut zu sein. Ich glaube Lautstärke eines Programms ist Effekthascherei, die man braucht, wenn die Geschichte dahinter nicht so gut ist. Wir sind stolz darauf, dass wir unsere Arbeit für sich sprechen lassen können und müssen nicht laut für uns trommeln, obwohl es sicher Dinge gibt, die viele nicht über Story House wissen.

Was zum Beispiel?

Carsten Obländer: Wir sind eines der wenigen aus Deutschland kommenden Produktionshäuser, das über die Jahre einen eigenen Rechtekatalog generiert hat. Wir haben 150 Stunden Programm, die uns gehören. Das ist Programm, das wir produziert haben und international vertreiben.