Herr Abdul Karim, nach acht Jahren beenden Sie Ihren in der arabischen Welt sehr erfolgreichen "Shababtalk" bei der Deutschen Welle. Stattdessen präsentieren Sie ab sofort "JaafarTalk". Wieso dieser umfassende Relaunch, obwohl die Sendung doch gut etabliert war?

Jaafar Abdul Karim: "Shababtalk" war eine feste Größe bei den jungen Leuten im arabischen Raum, die Sendung ist aber nur der Start einer großen Reise gewesen. Wir waren damals die ersten, die sich in einer sehr kritischen Zeit mit kritischen Themen auseinandergesetzt haben. Gestartet sind wir im Arabischen Frühling. In dieser Zeit haben wir auch Maßstäbe gesetzt, etwa dass man miteinander und nicht übereinander redet. Und wir haben die Beteiligung am Dialog in arabisch-sprachigen Medien eingeführt. Unsere Zielgruppe waren junge Menschen, im Verlauf der Zeit ist aber das Altersspektrum unseres Publikums immer größer geworden. Das wollen wir künftig besser abbilden.

 

"JaafarTalk" will sich also einer breiten Zielgruppe öffnen und nicht nur junge Menschen ansprechen?

Genau. Wir haben acht Jahre lang eine Generation begleitet und jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, sich an ein größeres Publikum zu wenden. Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren stark verändert, ebenso die Medienlandschaft. Da muss man immer einen Schritt voraus denken, damit man seinen Erfolg behalten kann. Das Verlangen nach Dialog ist größer geworden und beschränkt sich nicht mehr nur auf junge Menschen

Inhaltlich soll es aber auch künftig um kontroverse Themen gehen. Da ändert sich also nicht so viel, oder?

Wir werden uns weiterhin um kontroverse und auch Tabuthemen kümmern. Das können wir machen, weil wir als Deutsche Welle Freiheiten haben, die andere Medien in der Region nicht haben. Darüber hinaus wollen wir aber generationsübergreifend werden. Wir haben also weiterhin junge Gäste im Studio, aber auch ältere Menschen. Wir streben ein Verhältnis von 50:50 an. Außerdem ist die neue Sendung pan-arabisch angelegt, wir werden also immer Gäste aus verschiedenen Ländern haben.

In der neuen Sendung sollen Studiopublikum und Zuschauer auch über die Argumente der Gäste abstimmen können. Wieso?

Unsere Zuschauer sind durch das Voting noch aktiver beteiligt an der Diskussion. Wir wollen, dass die Leute durch ihre Teilnahme nicht nur Zuschauer sind. Sie haben auch Einfluss auf den Verlauf der Sendung. Der Wunsch nach mehr Teilhabe war groß. Der neue Claim der Sendung lautet "Diversity Sparks Dialogue". Das heißt: Gegner müssen nicht miteinander streiten, im Gegenteil. Wenn man sich nicht einig ist, ist das ein Anlass für Dialog. Das ist eine neue Art der Diskussionskultur, die wir mit "Shababtalk" schon eingeführt und jetzt weiterentwickelt haben.

JaafarTalk
Auch das Studio ist neu.

Dennoch hat "Shababtalk" in der arabischen Welt immer viel Kritik hervorgerufen. Nach einer Sendung haben Sie Morddrohungen erhalten, manchmal wurden der Deutschen Welle bürokratische Hürden in den Weg gelegt. Dialog hin oder her: Das wird sich vermutlich nicht ändern, weil Sie ja bei den Tabuthemen bleiben wollen. Bekommen Sie es da nicht auch manchmal mit der Angst zu tun wenn Sie sehen, wie hoch die Wellen schlagen?

Aber wir können deshalb ja nicht sagen, dass wir die Sendung nicht mehr machen. Wir stehen gegenüber einer gesamten Generation in der Pflicht. Das sind Millionen Menschen, für die wir eine Plattform sind, auf der sie frei sprechen und sich informieren können. Es ist schlicht unsere Pflicht, den Menschen eine Bühne für den Austausch zu bieten. Natürlich ist das manchmal mit Herausforderungen verbunden und sorgt für ein unangenehmes Gefühl. Aber wir haben es bislang immer geschafft und wir werden es auch künftig schaffen. Wir müssen natürlich auf die Sicherheit unserer Gäste achten, aber die Leute brauchen uns und so lange es keine Alternativen für offene Diskussionen gibt, ist es unsere Pflicht, dort zu sein. Auch wenn das manchmal schwer für uns ist. Das hört sich viel nach Idealismus an, für uns und für mich ist das aber Realismus.

Wo wird die Sendung künftig produziert, gibt es wie bei "Shababtalk" wechselnde Orte?

Genau, wir machen die Sendung immer von verschiedenen Orten aus. In Berlin haben wir weiterhin ein Studio und wir werden auch weiterhin über die arabisch sprechende Community in Deutschland und Europa berichten. Aber natürlich gibt es auch weiterhin unsere Tour, in diesem Jahr sind wir unter anderem noch in Ägypten, Sudan, Tunesien und Jordanien. Das ist unsere Stärke: Wir reden nicht nur von Berlin aus über die Themen der arabischen Welt, wir sind direkt vor Ort. Das macht uns glaubwürdiger.

Können Sie sich in allen Ländern frei bewegen und theoretisch überall Sendungen produzieren? Oder sind sie in einigen Ländern inzwischen eine unerwünschte Person?

Es gibt Länder, in denen wir unerwünscht sind. Aber das Verlangen der Menschen gewinnt diesen Zweikampf oft, das merken eben auch die Regierungen vor Ort und die Leute, die über die Drehgenehmigungen entscheiden. Wir gehen keine Kompromisse ein, suchen aber immer wieder den Dialog. Letztendlich konnten wir bislang überall drehen. Vor Ort ist es oft nicht einfach, vor allem wenn es um die Sicherheit geht. Der Aufwand für eine solche Sendung mit Publikum ist entsprechend groß, mittlerweile ist das aber ein ganz normaler Teil der Produktion geworden. Und selbst wenn wir mal nicht in einem bestimmten Land drehen könnten, gibt uns das neue Format ganz andere Möglichkeiten als bislang. Durch die Ausrichtung als pan-arabische Sendung können wir Betroffene aus einem bestimmten Land auch an andere Orte kommen lassen.

Welche Themen bewegen die arabische Welt und welche werden Sie in den kommenden Monaten in der Sendung sichtbar machen?

Wir fokussieren uns bei den Themen auf einen Leitsatz: "Wieso kann ich nicht so sein wie ich will?". Das bewegt viele Menschen in der Region. Das fängt beim Studium an, geht über die sexuelle Orientierung, Gesetze, Traditionen, Religion und Minderheiten. Das und noch viel mehr wollen wir ansprechen. In der ersten Sendung beschäftigen wir uns mit Polygamie, da geht auch um das große Thema der Gleichberechtigung der Frauen. In einer weiteren Sendung beschäftigen wir uns damit, inwiefern man selbst über den eigenen Körper bestimmen kann.

"Wir gehen keine Kompromisse ein, suchen aber immer wieder den Dialog."

Wir würden Sie die Berichterstattung deutscher Medien über die arabische Welt beschreiben?

Im Gegensatz zur DW, deren Sendegebiet das ist, müssen inländische Medien in Deutschland andere Schwerpunkte setzen. Grundsätzlich würde ich aber sagen, dass wir eine noch differenzierte Berichterstattung über die arabischen Länder brauchen. Seit 2015 ist das schon spürbar besser geworden, aber man kann eben noch viel mehr tun. Es gibt nicht DIE arabischen Länder. Die Staaten sind sehr vielfältig und unterschiedlich.

Sie haben am Anfang erwähnt, dass sich die Medienlandschaft in den arabischen Ländern verändert hat. Inwiefern?

Die Bilanz von Reporter ohne Grenzen ist eindeutig: Die Pressefreiheit wird zunehmend eingeschränkt und es wird immer schwieriger Themen anzusprechen, wie wir es tun. In vielen Ländern gibt es keine freien und unabhängige Medien, sondern eher Medien, die wie Pressesprecher der Regierungen daherkommen. Dementsprechend kommen nicht alle Seiten zu Wort. Die Menschen sind aber viel reflektierter und differenzierter als früher. Ihnen ist klar, dass sie von vielen Medien instrumentalisiert werden. Und natürlich sind sie besser informiert als früher, das hat auch mit den sozialen Medien zu tun. Deshalb ist das Verlangen nach Medien groß, die die Intelligenz der Menschen respektieren.

Die Deutsche Welle hat angekündigt, dass die neue Sendung das "Flaggschiff" des Senders im arabischen Raum werden soll. Sind Sie selbst dann auch so etwas wie ein Flaggschiff der Deutschen Welle?

In den letzten Jahren ist die Deutsche Welle in der Region sehr viel bekannter geworden und steht für Meinungs- und Pressefreiheit. Ich denke, unsere Zuschauer- und Abrufzahlen sprechen da für sich. Da ich ein Gesicht der Deutschen Welle bin, gehöre ich zu den bekannteren, jüngeren Personen.

Herr Abdul Karim, vielen Dank für das Gespräch!