Herr Herres, die Ausstrahlung von "Babylon Berlin" liegt inzwischen fast ein Jahr zurück. Da liegt die Frage nahe: Was kommt eigentlich danach?

Wir machen die nächste Staffel "Babylon Berlin" und zeigen sie nach bewährtem Muster wieder nach der Sky-Ausstrahlung als Free-TV-Premiere. Nur durch diese Konstellation ist es möglich, eine derart hohe Qualität zu gewährleisten. So wie sich der Markt entwickelt und unsere Finanzen gelagert sind, werden wir perspektivisch immer häufiger über neue Formen der Zusammenarbeit nachdenken. Durch den Quoten-Erfolg sind solch ungewöhnliche Wege inzwischen glücklicherweise nicht mehr umstritten.

Ganz zu schweigen von der Erkenntnis, dass man dem Publikum inhaltlich durchaus mehr zumuten kann als "Um Himmels Willen".

Ich finde nicht, dass "Babylon Berlin" eine Zumutung war. (lacht) Aber im Ernst: Es gibt nur gutes oder schlechtes Fernsehen. Es müssen relevante Stoffe sein, qualitativ auf höchstem Niveau. Das haben wir auch in der Vergangenheit schon mit Einzelstücken wie "Terror – Ihr Urteil" oder "Katharina Luther" unter Beweis gestellt. Wir wissen also schon, wie's geht. Über "Babylon Berlin" hinaus arbeiten wir zum Beispiel derzeit an einem internationalen Projekt, "Das Netz", über die dunklen Hintergründe der Fußball-Welt. Das Besondere ist, dass in fünf verschiedenen Ländern einzelne Teile entstehen, die später unter einem thematischen Dach als Reihe gezeigt werden. Außerdem freue ich mich sehr auf "Kaufhaus des Westens", für das Constantin und die UFA erstmals zusammenarbeiten werden. All das entsteht jenseits verlässlicher Formate wie "Um Himmels Willen" und "In aller Freundschaft", die sich beim Publikum höchster Beliebtheit erfreuen. Außerdem wird es bekanntlich eine weitere "Charité"-Staffel geben.

Und was ist mit "Weissensee"?

Von "Weissensee" ist derzeit keine Fortsetzung mehr geplant. Die Serie lebte von den letzten Stunden und Wochen der DDR. Dieser große Bogen ist so weit nach der Wende auserzählt.

"Weissensee", aber auch "Babylon Berlin" und "Charité" sind allesamt Serien, die auch non-linear funktioniert haben. Müssten Sie so gesehen nicht noch viel mehr Stoffe dieser Art entwickeln?

Die lineare Nutzung stellt noch immer die große Masse dar, aber Sie haben recht, das ist ein zusätzlicher Verbreitungsweg, der mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Innerhalb der ARD diskutieren wir deshalb derzeit sehr grundsätzlich, wie sich die lineare und die non-lineare Welt miteinander verschränken lassen. Wir müssen jetzt die Weichen so stellen, dass wir bei der Entstehung von Projekten stets beide Ausspielwege bedenken. Das beginnt schon beim Rechteerwerb, wodurch Produktionen im Zweifel aber teurer werden. Schon heute sehen wir, dass Produzenten unsere Serien auf anderen Plattformen anbieten. Für mich hat die eigene Plattform allerdings immer Priorität.

Ich selbst habe die letzte "Weissensee"-Staffel – vermutlich zu Ihrem Ärger – bei Netflix gesehen.

Lieber wär's mir, Sie würden sie bei uns sehen. Theoretisch könnte es mir egal sein, weil das Produkt den Weg zum Kunden gefunden hat. Das Problem ist allerdings, dass es nicht auf uns einzahlt. Selbst wenn sie gekennzeichnet ist, verbinden die Nutzer eine Produktion nicht mit ARD oder ZDF, sondern mit der Plattform. Wir machen also konkurrierende Plattformen mit unseren Inhalten sexy. Natürlich haben wir einen finanziellen Vorteil, weil wir diese Rechte nicht selbst erwerben. Eine solche Strategie kann man auf Marktdruck verfolgen, aber was hilft es uns, wenn wir dadurch am Ende möglicherweise unsere Beitragslegitimation gefährden?

"Natürlich kann ich mir eine Serie vorstellen, die gezielt für das Mediatheken-Publikum produziert wird."
Volker Herres

Dann hält sich Ihre Euphorie auch mit Blick auf die Joyn-Plattform von ProSiebenSat.1 und Discovery in Grenzen?

Die Formel lautet: Verbreitung geht vor Verwertung. Wenn wir es selbst schaffen können, ist es sinnvoller, unsere Produktionen auf eigenen Plattformen anzubieten. Es ist allerdings keineswegs ein Tabu, auf Drittplattformen zu gehen. Momentan besitzt die ARD-Mediathek aus sich heraus allein noch nicht die Kraft, von einem Massenpublikum in den Alltag integriert zu werden. Da müssen wir aber hinkommen.

Wie kann das gelingen?

Wir arbeiten daran, die Mediathek in der Nutzerfreundlichkeit noch attraktiver zu machen, beispielsweise durch eine gute Suchfunktion. Ich selbst würde mir wünschen, dass man etwa bei der "Tagesschau" bequem um 20:05 Uhr zum Anfang zurückspringen kann, wenn man den Anfang verpasst hat. Da ist das eine oder andere technisch noch nicht up to date. Und wir werden das inhaltliche Angebot noch besser aufbereiten und attraktiver gestalten.

US-Anbieter wie Netflix beschäftigen unzählige Mitarbeiter, die sich einzig um die Technik kümmern. Haben die deutschen Sender diesen technischen Aspekt womöglich unterschätzt oder gar verpasst?

Verpasst würde ich nicht sagen, wir haben es ja auf dem Schirm.

Sie haben es auf dem Schirm, aber Netflix hat es eben schon gemacht.

Wir müssen da nachlegen, das ist gar keine Frage. An erster Stelle stehen die Inhalte, aber die Nutzerfreundlichkeit kommt direkt danach. Aktuell sehen wir, dass der Sprachsteuerung eine wachsende Bedeutung zukommt. Dafür müssen wir gewappnet sein. Letztlich ist es eine technische, aber auch kreative Herausforderung, denn mit der veränderten Mediennutzung geht auch eine andere Konzeption der Inhalte einher – und damit im Übrigen auch eine andere Erzählweise.

Wäre eine Online-Only-Produktion denkbar?

Natürlich kann ich mir eine Serie vorstellen, die gezielt für das Mediatheken-Publikum produziert wird. Es gibt noch keine inhaltlichen Projekte, aber Pläne, dafür Mittel umzuschichten. Das bedeutet auch, dass wir sowohl im Fiktionalen als auch im Dokumentarischen mehr Reihen und weniger Einzelstücke machen müssen, weil das in der non-linearen Welt eine bessere Bindung schafft. Den Abgesang auf das Einzelstück würde ich dennoch nicht anstimmen.

Würde es Sie unter den neuen Voraussetzungen reizen, selbst noch einmal Reportagen und Dokumentationen zu machen?

Ja, aber es wird nicht dazu kommen. Ich bin leidenschaftlicher Journalist und Programmmacher, habe mich allerdings in die Hierarchie verirrt. (lacht)