Herr Schütte, Sie drehen viele Improvisations-Filme, bei denen die Schauspieler ohne Drehbuch auskommen müssen. Was macht für Sie die Faszination Improvisation aus?

Jan Georg Schütte: Ich habe diese Faszination in mir, weil ich selbst Schauspieler bin. Das besondere an der Schauspielerei ist ja: Man kann sich vorstellen, jemand völlig anderer zu sein und sich innerhalb dieses Kosmos frei bewegen. Das ist in der Regel mit einem festen Drehbuch und der Tatsache, dass man viele Szenen mehrmals hintereinander dreht, nicht ganz so lustvoll, als wenn man sich das vorstellt und einfach los legt. Das ist wie ein Kind, das sich vorstellt Superman zu sein und dann eben Superman spielt. So ist das bei meinen Drehs auch. Schauspieler dürfen einfach durchspielen und das gibt ihnen eine besondere Lebendigkeit und Spaß am Spiel.

Sind Sie selbst als Schauspieler auch besser, wenn Sie improvisieren?

Das weiß ich gar nicht, weil ich leider in meinen Filmen meist nur marginal mitspiele. Da bin ich in erster Linie Regisseur. Selbst hat mich noch niemand engagiert, der auf meine Art arbeitet.

Finden Sie, dass im deutschen (Fernseh-)Film oder in Serien weniger strikt nach Drehbuch gearbeitet werden sollte?

Das kommt sehr drauf an. Als Schauspieler habe ich beim "Tatortreiniger" mitgespielt und dort gibt es sensationelle Drehbücher. Da muss man wirklich jedes Komma so sprechen, wie es von der genialen Autorin geschrieben worden ist. Meine Filme haben nicht so eine starke Stilistik und sind atmosphärischer, die Projekte leben von der Überraschung und da ist Improvisation das Gebot der Stunde und ich wundere mich schon, dass das nicht viel mehr Leute machen.

"Das war bislang der anstrengendste Dreh, weil ich währenddessen gemerkt habe, dass da allen ganz schön die Muffe ging."

Und was passiert nun, wenn einem Schauspieler während eines Impro-Drehs nichts einfällt?

Das sind für uns meist die besten Momente, weil man dort das erlebt, wie es im Leben nun mal so ist. Menschen kommen ins Schlittern und werden unsicher, sie bekommen einen trockenen Mund. Genau das sind die Momente, die ich suche.

Sie haben schon einige Impro-Filme gedreht, nun einen Impro-"Tatort", der an Neujahr ausgestrahlt wird. Inwiefern war das anders als in der Vergangenheit? Hatten Sie besonders viel Respekt vor der Marke?

Ja, das hatte ich schon. Das war bislang auch der anstrengendste Dreh, weil ich währenddessen gemerkt habe, dass da allen ganz schön die Muffe ging. Da stecken einfach große Erwartungen dahinter. Alle waren aufgeregter als sonst und wir wussten auch, dass wir hier eine Hausmarke der ARD bedienen. Krimi und Improvisation schließt sich ja eigentlich aus. Das war mir auch immer klar, beim Krimi muss man eben bestimmte Gesetze beachten. Also musste ich im Grunde genommen das Krimi-Format austricksen und gleichzeitig bedienen. Das war schon eine extrem hohe Hürde.

Krimi und Impro schließen sich aus. Sind Sie mit dem Ergebnis trotzdem zufrieden?

Das bin ich. Wir haben das ein bisschen ausgetrickst, indem wir eine Art Kammerspiel erzählen, in das wir den Krimi-Plot nach und nach reingegeben haben. Das ist aber anders als bei meinen anderen Filmen. Ich musste hier deutlich öfters eingreifen und mehr Vorgaben machen als ich es sonst zu machen gewöhnt bin.

Es gab ja unter Axel Ranisch schon zwei Impro-Experimente beim "Tatort". Die sind aber nicht unbedingt gut bei Kritikern angekommen. Haben Sie diese Filme gesehen und wenn ja, was konnten sie daraus ziehen?

Ja, ich habe beide gesehen und fand sie herzerwärmend. Aber da Axel ganz anders arbeitet als ich war von Anfang an klar, dass es unterschiedliche Filme werden. Und so ist es dann auch gekommen. Ich glaube, ich habe den Krimi ernster genommen als er. Ich will das gar nicht beurteilen, er hat halt eine Komödie gemacht. Aber das ist mein Film diesmal  eben nicht, sondern es geht bei mir stark um Angst und Panik.

Der "Tatort" ist an nur zwei Tagen entstanden. Das sind ja viel weniger Drehtage als bei einem klassischen Film.

Das stimmt, aber das ist nicht der Grund für meine Impro-Filme. Es gibt weniger Tage, weil ich das Ding einmal komplett durchspiele. Die Tage, die wir haben, sind aber immer sehr voll. Das muss auch drei Wochen vorher vorbereitet werden. Es ist jetzt nicht so, dass man da hinkommt und innerhalb von zwei Tagen alles runter nudelt. Da steckt unglaublich viel Vorbereitung drin. Bei einem normalen Dreh ist das etwas anderes, weil man dort immer wieder umbaut, um das perfekte Licht zu haben. Und wenn man dann Szenen wiederholen kann, macht man das auch, weil man die Sachen ja bestmöglich spielen will. In meiner Arbeitsweise kommt es immer viel auf den ersten Moment an, den brauche ich.

"Krimi und Improvisation schließt sich ja eigentlich aus."

Was wissen die Schauspieler bei Impro-Filmen jetzt wirklich? Was sprechen Sie vorher ab?

Normalerweise bekommen die Schauspieler nur ihre Rollenprofile und Aufgaben, die sie erledigen müssen. So war es beim "Tatort" im großen und ganzen auch, was aber dazu kam war natürlich, dass der oder die Täter/in vorher wissen musste, dass er oder sie jemanden umbringt. Und es war vorher auch klar, wer umgebracht wird. Sowas kann man ja nicht aus heiterem Himmel plötzlich ankündigen. Das habe ich ebenso wie den ungefähren Zeitrahmen, in dem das alles passiert, vorher festgelegt.

Wie schwer ist es, Schauspieler für Impro-Filme zu begeistern? Drehbücher geben ja auch Sicherheit.

Normalerweise ist das überhaupt nicht schwer, mir wird die Bude von den tollsten Schauspielern eingerannt. Beim "Tatort" habe ich aber auch einige Absagen kassiert, auch von gestandenen Kollegen, die sich das bei so einem Format nicht zugetraut haben. Grundsätzlich sind aber viele Schauspieler offen. Schon bei meinem ersten Fernsehfilm "Altersglühen" habe ich unter anderem mit Senta Berger und Mario Adorf gearbeitet, das hat mich damals überrascht. Zuvor hatte ich ja nur drei Arthouse-Filme gemacht.

Blicken wir in die Zukunft. Wie geht es weiter? Welche (Impro-)Projekte stehen als nächstes an?

Ich werde gerade tatsächlich bombardiert mit Angeboten. Im März drehe ich erst einmal eine sechsteilige Serie und auch einen Film, das wird so ähnlich sein wie bei "Klassentreffen", also sozusagen zwei in eins.  Und dann habe ich sogar ein eigenes Format als Serie für den NDR in der Mache. Das habe ich bisher als Hörspiel gemacht, da werde ich selbst auch als Schauspieler mitarbeiten. Das Impro-Format ist für mich definitiv noch nicht ausgereizt.

Herr Schütte, vielen Dank für das Gespräch!