Herr Polle, innerhalb von vier Tagen starten drei Ihrer TV-Produktionen: die dritte Staffel von "Babylon Berlin", der neue Münchner "Tatort: Unklare Lage" und die ZDF-Miniserie "Die verlorene Tochter". Freuen Sie sich, der Branche zeigen zu können, dass aus dem einstigen Kinoproduzenten X Filme ein starkes Fernsehhaus geworden ist?

So haben wir das Ziel nie definiert und es ist auch nicht die Realität, denn X Filme ist weiterhin auch ein Produktionshaus von nationalen und internationalen Kinofilmen. Wir wollten mit meinem Eintritt in das Unternehmen zusätzlich zum Kino besondere Inhalte fürs Fernsehen und für Plattformen herstellen. Die drei aktuellen Produktionen sind Ausdruck einer Bandbreite, die verschiedenste Formate, Genres und Partner umfasst. Hinzu kommt noch der von Uwe Schott produzierte Netflix-Film "Isi & Ossi" von Oliver Kienle, der am 14. Februar startet. Alle Produzenten bei X haben es gemeinsam mit unseren kreativen Partnern geschafft, das Unternehmen deutlich breiter aufzustellen, auch wenn die Massierung der Ausstrahlungstermine natürlich Zufall ist. 

Ihre Mission, das Unternehmen unabhängiger vom schwierigen deutschen Kinomarkt zu machen, dürfte gelungen sein, auch in wirtschaftlicher Hinsicht.

Als ich 2010 zu X Filme kam, um die TV-Abteilung aufzubauen, war noch nicht absehbar, dass Streaming-Plattformen einmal so relevante Partner für Spielfilme werden könnten. Damals hat man noch ziemlich binär in Kino oder TV gedacht. Und weil die Geschäftsentwicklung im Kino perspektivisch nicht von Wachstum geprägt war, wollten wir das zusätzliche Standbein TV mit dem gleichen kreativen Anspruch aufbauen und darin sukzessive wachsen. Der Fokus des Unternehmens hat sich also nicht unbedingt verlagert, sondern vor allem erweitert.

Mit der Folge, dass Sie heute viel mehr Umsatz im TV als im Kino erwirtschaften.

Derzeit ist es so, dass unser Programmvolumen im Fernsehbereich höher liegt als im Kino, was aber auch an einem Mammutprojekt wie "Babylon Berlin" liegt, das ich gemeinsam mit den X-Geschäftsführern Stefan Arndt und Uwe Schott verantworte. Natürlich können und wollen wir uns als Unternehmen der allgemeinen Marktentwicklung nicht entziehen. Ich würde unser Geschäft allerdings nicht so kurzfristig betrachten. Sobald wir größere internationale Koproduktionen wie "Das weiße Band", "Frantz" oder an der Spitze "Cloud Atlas" produzieren und ins Kino bringen, kann die Relation schnell wieder anders aussehen.

"Cloud Atlas" ist lange her. Voriges Jahr kam nur eine einzige Produktion von X Filme ins Kino – der Kinderfilm "Alfons Zitterbacke". Die Wahrnehmung Ihrer TV-Produktionen, allen voran "Babylon Berlin", ist inzwischen weitaus größer.

Das ist etwas übertrieben und aus meiner Sicht ebenfalls nur eine Momentaufnahme. Mit den "Känguru-Chroniken" von Dani Levy nach den Büchern von Marc-Uwe Kling bringen X Filme und X Verleih beispielsweise im März eine große Bestseller-Verfilmung ins Kino, außerdem ist mit "Der große Andere" von Jan Schomburg ein internationaler Kinofilm in Postproduktion. Viel wesentlicher ist aus meiner Sicht aber, dass wir bei jedem Stoff aufs Neue entscheiden, welcher Weg der beste für unsere kreative Vision und die unserer Partner ist. Wir denken immer von der jeweiligen Geschichte her, nicht vom Vertriebskanal. Ein Projekt wie "Babylon Berlin" ist übergreifendes Teamwork. Die Zeiten der dogmatischen Trennung sind definitiv vorbei. Wir haben die Firmenphilosophie des 'Creative Pools', die X Filme ja im Namen trägt, über alle Ausspielwege hinweg geschärft. Die meisten unserer Partner und Kreativen sind langjährige Weggefährten dieses Hauses, unabhängig von der Frage, ob das Ergebnis der Zusammenarbeit nun ein Film oder eine Serie ist. Solche langfristigen, vertrauensvollen Partnerschaften sind uns sehr wichtig.

"Autoren bekommen bei unseren Projekten frühzeitig Muster und Rohschnitte zu sehen – und das nicht erst seit 'Kontrakt 18'"

Michael Polle, Head of TV, X Filme Creative Pool

 

Wie verhindern Sie, dass der 'Creative Pool' zum 'Closed Shop' wird?

Indem wir uns in keinster Weise verschließen. Jedes Projekt ist neu und anders und jede Begegnung mit Autoren oder Regisseuren kann ein Ausgangspunkt für eine gemeinsame Reise sein. Da, wo langfristige Partnerschaften etabliert sind, muss man nicht immer bei Null anfangen. Gleichzeitig ist es natürlich spannend, diesen Kreis immer wieder durch neue Kreative zu erweitern. Das ist ein fortlaufender Prozess. Wir entwickeln gleichermaßen Projekte mit Erstlingsautoren und mit langjährigen Partnern und wollen sie dabei unterstützen, das Projekt zu realisieren.

Bei "Babylon Berlin" sind Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten Autoren, Regisseure und Showrunner in Personalunion. Wie verfahren Sie bei anderen Projekten mit dem Management der verschiedenen kreativen Stimmen?

Babylon Berlin S3© Frédéric Batier/X Filme
Auch in dieser Hinsicht gibt es heute viel weniger Schranken als noch vor einigen Jahren. Wir sprechen bei jedem einzelnen Projekt darüber, wie eine gemeinsame konstruktive Zusammenarbeit aussehen könnte. Das resultiert dann in unterschiedlichen Strukturen. Bei "Babylon Berlin" oder unserer neuen internationalen Koproduktion "Furia" sind starke Showrunner die Köpfe der Projekte. In anderen Fällen ist es anders. Man sollte ernst nehmen, welchen Background die jeweiligen Kreativen haben, inwieweit sie eine echte Showrunner-Funktion erfüllen können und erfüllen wollen. Grundsätzlich tauschen wir uns im Team beispielsweise immer über die Besetzung aus, vor allem bei Serienprojekten besonders mit den Autoren, und sie bekommen bei unseren Projekten frühzeitig Muster und Rohschnitte zu sehen. Das ist uns schon seit langem sehr wichtig, nicht erst seit "Kontrakt 18". Und meine Erfahrung ist, dass es die Projekte immer besser macht.