Frau de Mardt, Herr Bareiss, Sie mussten den strukturellen Aufbau von Gaumont Deutschland quasi nebenbei stemmen, weil Sie vom ersten Tag an operativ produziert haben. Wo steht die Firma denn heute?

Sabine de Mardt: Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass wir voriges Jahr fulminant in den Markt gestartet sind. Wir haben zwei 90-Minüter für Sat.1, einen Event-Film für ProSieben und eine sechsteilige Serie für Netflix produziert. Das war für uns als neue Firma gleich im ersten Jahr natürlich ein Knaller, auch wenn das mit einigen Herausforderungen einherging. Ende Januar haben wir dann auch neben unserem Kölner Hauptsitz unser Berliner Büro eröffnet. Mit den erfahrenen Produzenten Andreas Bareiss und Ivo-Alexander Beck, die wir hier an Bord haben, sowie mit Rainer Marquass und mir in Köln verfügen wir jetzt über ein starkes und sehr kreatives produzentisches Kernteam. 

Andere Neugründungen erbitten sich oft bis zu zwei Jahre, ehe man über konkrete Projekte sprechen kann.

de Mardt: Das wäre durchaus der übliche Gang. Wir haben uns aber dafür entschieden, direkt mit einem schlagkräftigen Team an den Start zu gehen. Ivo und Andreas sind gestandene Produzenten, die schon einige Ideen und Stoffe mitgebracht haben. Das hat es uns ermöglicht, sofort loszulegen, ebenso wie die große Erfahrung unseres Business- und Legal-Teams um Anwalt Dr. Andreas Friedrich Bareiss. Hätte ich allein mit einem Producer angefangen, dann hätte es sicher länger gedauert.

Bei aller Branchenerfahrung der versammelten Köpfe: Hat Gaumont auch etwas Spezifisches, das es woanders nicht gibt?

Andreas Bareiss: Ich habe als Produzent in der Vergangenheit immer selbstständig gearbeitet, habe mich jetzt aber in eine exklusive Bindung begeben, weil ich ein extrem inhaltlich und kreativ orientiertes Unternehmen vorgefunden habe. Gaumont ist einerseits ein Familienbetrieb mit flacher Hierarchie und langer Tradition, andererseits total modern und global aufgestellt. Ich wüsste nicht, wo man das sonst finden könnte.

de Mardt: Der Spirit zwischen unserem Mutterhaus in Frankreich, den Teams in Großbritannien, den USA und uns ist sehr kollegial und inspirierend. Trotz der internationalen Aufstellung spüre ich überhaupt kein Konzerngefühl. Für alle handelnden Personen steht die Freude und Leidenschaft beim Entwickeln und Produzieren im Vordergrund. Gepaart mit unserer reichhaltigen Erfahrung entsteht daraus eine angenehme Gelassenheit.

Besteht diese Gelassenheit auch noch, nachdem die Pariser Zentrale eine Gewinnwarnung für das Geschäftsjahr 2019 abgegeben und die TV-Vertriebsabteilung in Los Angeles aufgelöst hat?

de Mardt: Das ist vor allem eine Frage der strategischen Neuausrichtung. In Frankreich war 2019 für Gaumont noch ein Übergangsjahr, was mit der Trennung vom Betrieb der Kinotheater über die letzten zwei Jahre zu tun hat. Im US-Markt produzieren die Kollegen überwiegend für Streaming-Plattformen, und das sehr erfolgreich. Als Folge der sich wandelnden Geschäftsmodelle gibt es schlicht und ergreifend weniger Programm bzw. Rechte zu vertreiben. Beides hat auf den deutschen Markt keine Auswirkungen. Unsere Investitionspläne sind unverändert. Wir verfolgen eine langfristige Strategie, bei der relativ hohe Anschubkosten für die Entwicklung starker Stoffe einkalkuliert sind.

"Wir werden in diesem Jahr noch zwei öffentlich-rechtliche Miniserien produzieren"

Sabine de Mardt, Geschäftsführerin von Gaumont Deutschland

 

Wird die Konzentration auf Streaming-Plattformen auch in Deutschland zur Strategie?

de Mardt: Auf keinen Fall. Wir wollen weiterhin auch mit unseren Partnern in den öffentlich-rechtlichen und privaten Sendergruppen eng zusammenarbeiten. Das sind schließlich nach wie vor die Hauptsäulen unseres Programms. Wir werden in diesem Jahr beispielsweise noch zwei öffentlich-rechtliche Miniserien produzieren. Außerdem haben wir auch einige tolle Kinoprojekte in der Pipeline, von denen wir bald schon berichten können. Gaumont steht traditionell auch für großes, bewegendes Kino. An diese Tradition werden wir auch in Deutschland anknüpfen.

Wie ist der Stand bei den "Barbaren", die Sie Ende 2019 abgedreht hatten?

de Mardt: Alles läuft nach Plan. Wir sind aktuell in der Postproduktion und haben noch einen ziemlichen Aufwand an VFX vor uns, ehe wir die fertige Staffel im Sommer abliefern. Parallel machen wir uns schon mal Gedanken über eine mögliche zweite Staffel.

Bareiss: Netflix arbeitet dabei mit einer Transparenz, die ich so noch nicht gewohnt war, aber total erfrischend finde. Das ist ein Partner, von dem man sich sehr unterstützt fühlt.

Jetzt steht erstmal die Ausstrahlung Ihres Films "9 Tage wach" am 15. März auf ProSieben an. Der ist in jeglicher Hinsicht ungewöhnlich: deutsche Fiction bei ProSieben, dazu noch am umkämpften Sonntagabend, und das mit einem unglaublich intensiven, teils verstörenden Drogendrama, das sich vielen gängigen TV-Konventionen verweigert. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?

9 Tage wach© ProSieben/Stephanie Kulbach
Bareiss: Das Label Gaumont steht ja dafür, dass wir gute, wertvolle und relevante Filme machen wollen. Da hat sich der Roman von Eric Stehfest als Vorlage förmlich aufgedrängt, weil er in absoluter Schonungslosigkeit ein Thema aufgegriffen hat, das die Gesellschaft bewegt. Er hat sich damit im Prinzip vor seinem Publikum nackt gemacht. Mir erschien das so außergewöhnlich und so wichtig, dass ich es einfach machen musste. Ich habe frühzeitig meinen Hut für die Rechte in den Ring geworfen und Ideen für eine mögliche Umsetzung entwickelt, die ich dann zum Start von Gaumont mitbringen konnte. ProSieben als Partner stand ebenfalls ziemlich früh fest, weil Senderchef Daniel Rosemann nach ganz besonderen Leuchtturmstoffen gesucht hat und bewusst auf hohe Qualität setzen wollte, um diesen Sendeplatz, wo sonst cineastische Blockbuster laufen, neu zu bespielen.

Eric Stehfest ist zwar Schauspieler, aber spielt sich hier nicht selbst. Welche Rolle hat er hinter den Kulissen gespielt?

Bareiss: Eric war ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Entwicklung. Er war bei vielen Drehbuchgesprächen oder bei der Besprechung der Casting-Listen dabei. Er hat sich vielfach mit unserem Eric-Darsteller Jannik Schümann getroffen und mit ihm Drogenberatungsstellen besucht. Er war oft mit dem Regisseur Damian John Harper im Schneideraum und hat die Musik mit ausgewählt. Uns war es wichtig, dass der Film möglichst authentisch wird, und das heißt in diesem Fall, dass Eric seine Sicht darin wiederfindet. Als Produzenten sind wir die Geburtshelfer des Films, aber es bleibt seine Geschichte, sein Leben.

Besonders ist der Film auch insofern, als er rund 50 Prozent mehr Budget als ein klassisches TV-Movie hatte. Wie haben Sie die Finanzierung aufgestellt?

Bareiss: Es handelt sich um eine kofinanzierte Auftragsproduktion, in die wir einen Eigenanteil und 330.000 Euro Produktionsförderung vom Medienboard Berlin-Brandenburg eingebracht haben. Die TV-Rechte für den deutschsprachigen Raum gehören dem Sender, alles andere gehört uns. Am 27. März erscheint bei Leonine Distribution die DVD, den Weltvertrieb übernimmt Red Arrow Studios International.

Sie haben kürzlich angekündigt, dass Sie "Lass uns mit den Toten tanzen" verfilmen werden, den autofiktionalen Roman der Kapitänin Pia Klemp, deren Seenotrettungsschiff 2017 von den italienischen Behörden beschlagnahmt wurde.

Bareiss: Für uns ist das ein ähnlich wichtiges Projekt wie "9 Tage wach", gerade auch im Hinblick auf den gesellschaftlichen Stellenwert des Themas. Was Pia Klemp tut, ist ein so außergewöhnliches Engagement, dass es eine große Erzählung verdient hat. Auch wenn wir dafür bislang noch keinen Sender- oder Plattformpartner haben, sehen wir intern durchaus einen gedanklichen roten Faden zwischen den beiden Projekten, der da lauten könnte: außergewöhnliche Filme über junge Helden und Heldinnen unserer Zeit. Davon würden wir gern mehr machen.

Frau de Mardt, Herr Bareiss, herzlichen Dank für das Gespräch.

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