Üben Sie auch Selbstkritik?

Das betrifft uns alle. Sowohl Politiker als auch Journalisten hielten immer wieder andere Themen für wichtiger. Landtagswahlen, Terroranschläge, Brexit, Koalitionstreit, Steuerdebatten – die Liste ließe sich endlos fortführen. Die abstrakte Gefahr einer Pandemie spielte bis zuletzt keine Rolle. Das ist aus heutiger Sicht in der Tat erstaunlich. 

Sie sagten, an Warnungen habe es nicht gemangelt.

Absolut! Wir hatten kürzlich eine Redepassage aus dem Jahr 2015 eingespielt, in der Bill Gates sagte, die größte Bedrohung für die Menschheit seien nicht die Nuklearwaffen, sondern hochansteckende Viren. 2015! Auch er blieb leider ungehört. 

Können Sie sich einen Verlauf der Krise vorstellen, der dazu führte, dass Sie sagten: Wir machen keine Sendung mehr, wir ziehen uns für eine Weile zurück?

Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. (Überlegt) Das, was Sie schildern, wäre ja ein Szenario wie zu Pestzeiten. Und selbst damals gab es, nachzulesen im Dekameron, das Bedürfnis der Menschen, anderen Menschen und deren Erzählungen zuzuhören. Das ist der Urgedanke der Talkshow. Insofern ist das Format in meinen Augen krisenfest. Die Zuschauerresonanz zeigt uns, dass gerade jetzt das Bedürfnis nach Information und Einordnung sehr hoch ist. 

Ich denke eher an Personalengpässe. Sie sprachen ja eingangs die veränderte und sehr schwierige Situation im Studio an.

Es gibt ja auch selbstfahrende Kameras und Studios, in denen kein Personal mehr gebraucht wird. Das wäre am Ende also auch kein unüberwindliches Hindernis. Aber ich hoffe, dass es diesen extremen Ernstfall nicht geben wird. Der Kern unserer Sendung ist das Gespräch, und das kann man auf viele Weisen führen.

Wie würden Sie reagieren, wenn Redaktionsmitglieder erkrankten? Gibt es da einen Notfallplan? 

Wir haben uns darauf eingestellt, dass wir auf lange Zeit mit Abstandsregeln und anderen Sicherheitsmaßnahmen arbeiten werden. Sollte es einen Krankheitsfall im Team geben, dann sind wir so aufgestellt, dass der Sendebetrieb nicht gefährdet ist. Sollte ich erkranken, würde die Redaktion aus häuslicher Quarantäne heraus weiter die Sendung vorbereiten und eine Vertretung meinen Part übernehmen. 

Frau Maischberger, Sie haben Ihr Sendekonzept im vergangenen Jahr geändert. Sind Sie in dieser Krisenzeit besonders froh darüber? 

Ja. Und zwar, weil es uns in der Sendung die Möglichkeit gibt, unterschiedliche Geschwindigkeiten zu fahren. Ein Einzelgespräch hat eine andere Tonalität als eine Debatte zwischen drei Publizisten. Informationen aus erster Hand haben eine andere Qualität als einzelne Meinungsäußerungen von Verantwortlichen. Das zu sortieren, ja zu kombinieren hilft uns jetzt.

"Wir sind ja keine Beratungsstelle."
Sandra Maischberger

Das heißt, sie planen kein neues Konzept speziell für die Corona-Zeit? 

„maischberger. die Woche“ ist ein gutes Gefäß, um auch eine Krise wie Corona darin zu fassen. Wir werden auf jeden Fall dabei bleiben. Und ich hoffe, dass wir – wenn die Dinge sich wieder etwas normalisiert haben - ab und an die Gelegenheit bekommen, unser Studio quasi zum Zuschauer zu bringen und ihm das Wort zu geben. Bürger trifft auf Politiker – davon verspreche ich mir eine Menge. 

Das Format ist im März gestartet.

Richtig, eine Vor-Ort-Diskussion mit Bürgern. Anlässlich der Landtagswahl waren wir in Erfurt. Eigentlich waren drei Sendungen dieser Art in loser Folge geplant. Das können wir im Moment nicht einhalten. 

Apropos Bürger, bekommen Sie in diesen Tagen mehr Rückmeldungen der Zuschauer als sonst?

Ja, wir erleben ein deutlich erhöhtes Zuschauerinteresse, selbst am späten Abend, wenn wir auf Sendung gehen. Es gibt extrem viele Reaktionen im Netz, zudem rufen uns vermehrt besorgte Zuschauer an, die um Rat bitten.

Wie gehen Ihre Kolleginnen damit um?

Wir sind ja keine Beratungsstelle. Wir können diesen Menschen nur den Hinweis geben, welche Ansprechpartner die bessere Wahl wären. Wir leiten sie also weiter an die Experten. Eines finde ich im Übrigen sehr interessant: Den Kurs, den die Bundesregierung und auch viele Landesregierungen gerade fahren, wird zwar nicht „alternativlos“ genannt, aber er wird von vielen Bürgern als das verstanden.

Alternativlos“, das Wort, das Angela Merkel 2010 im Zusammenhang mit den Griechenland-Hilfen verwendete... 

... musste die Bundeskanzlerin zuletzt gar nicht in den Mund nehmen. Weil ja die meisten Bürger das Gefühl haben, dass die Maßnahmen, die auf den Weg gebracht wurden, genau das sind: alternativlos. Zumindest bis zu einem gewissen Grad.

Wir sprachen vor wenigen Minuten über den enormen Rechercheaufwand in Zeiten von Corona. Frau Maischberger, Sie sind auch Produzentin, reizt es Sie, einen Film über die aktuelle Krise zu produzieren? 

Aber ja. Wir haben gerade eine Reportage für arte:re (täglich auf arte 19:40 Uhr) in Schweden gedreht. Sie geht der Frage auf den Grund, warum die Schweden einen anderen Weg gehen und ob dieser erfolgreich ist. Das Team ist zurück, schneidet den Film in häuslicher Quarantäne. Am 21. April ist er fertig und wird sicher schnell gesendet. Wir konferieren regelmäßig mit unseren Producern und Autoren. Leider auch über die Dreharbeiten, die wir wegen der Corona-Krise vorerst nicht beenden können. 

Um welche Projekte handelt es sich?

Einen Zehnteiler über das Mittelmeer, ebenfalls für arte. Es fehlen nur noch Spanien und Algerien. Aber wir wissen nicht, wann wir wieder dorthin reisen können. Glücklicherweise abgedreht und fertig ist unser Zehnteiler für das Nachmittagsprogramm im Ersten: „Sehnsucht Segeln“. Wir sind im Januar auf zwei großartigen Segelschiffen unterwegs gewesen – eine wundervolle und ökologische Alternative zu den großen Kreuzfahrtschiffen auf den Weltmeeren. Die Serie entführt das Publikum in die Karibik und nach Thailand. Echte Sehnsuchtsorte - gerade in Zeiten von Home Office, sozialer Distanz und Reiseverboten.

Frau Maischberger, vielen Dank für das Gespräch.