Frau Maischberger, wie hat sich Ihr Arbeitsalltag in den vergangenen Wochen verändert? 

Radikal. Wir machen - wie zurzeit wohl die meisten Journalisten – sehr viel von zu Hause aus. Telefonkonferenzen ersetzen persönliche Besprechungen. Nur ein kleines Team fährt die Sendung mittwochs im Studio. 

Ein Problem für Sie?

Es ist schon merkwürdig, wenn Menschen, die eine Sendung machen, in der es im Kern um Kommunikation geht, selbst eingeschränkt kommunizieren müssen. Es ist mühsam, aber lösbar. Im Gegensatz zu anderen Berufen sind wir allerdings in der glücklichen Lage, dass wir das meiste gut von zu Hause aus erledigen können. Recherchieren, Vorgespräche führen, Abläufe erstellen, Konferenzen abhalten – das geht schon irgendwie. 

Wo stoßen Sie an Grenzen?

Wenn wir Gäste besuchen wollen, um zu sehen, wie die Geschichte sich vor Ort tatsächlich darstellt. Das geht nun fast nicht mehr. Da müssen wir leider Abstriche machen. 

Fällt Ihnen noch etwas ein?

Unsere Gäste sollen nicht mehr quer durch die Republik fahren, um in unser Studio zu kommen. Folglich arbeiten wir vermehrt mit Schalten und Skype-Gesprächen. Insgesamt haben wir vieles auf das Nötigste heruntergeschraubt. Was uns sehr behindert, ist der Abstand, den wir halten müssen. Das klingt banal, aber fast zwei Meter zwischen Diskutanten ist für eine diskursive Sendung alles andere als ideal.

Recherchieren Sie nun anders oder gar intensiver?

Im Unterschied zu den Monaten und Jahren zuvor werden wir uns wohl ziemlich lange fast ausschließlich mit einem Thema beschäftigen. Ein Thema, das viele Facetten hat und äußerst komplex ist. Täglich gibt es neue Entwicklungen und somit neue Schwerpunkte. Der Informations- und Anschauungsbedarf ist immer noch immens groß. Niemand würde verstehen, wenn wir jetzt mit einem anderen Thema um die Ecke kämen. Die Mehrzahl der Menschen interessiert aktuell vor allem eines: das Virus und dessen Auswirkungen auf das gesamte Leben. 

Noch mal zurück zur Recherche: Entsteht bei Ihnen in diesen Tagen manchmal ein Gefühl der Überforderung angesichts der vielen Nachrichten, Expertenmeinungen, Entwicklungen und Fake News?

Nein, nicht wirklich. Wir haben uns ganz gut organisiert. Ein Beispiel: In den letzten 12 Stunden vor der Sendung schreibt eine wechselnde Besetzung in der Redaktion den sogenannten Corona-Ticker, in dem alle relevanten Ereignisse und Meldungen für das ganze Team zusammengefasst werden. Das ist für uns intern eine große Hilfe. 

Können Sie das genauer erklären? 

Ganz einfach: Die KollegInnen beobachten, sortieren und dokumentieren alles, aber wirklich alles, was in diesem Zeitraum an Meldungen reinkommt. Sie prüfen die Quellen, stellen Verknüpfungen zu früheren Meldungen her und heben hervor, was für die Gäste in der jeweiligen Sendung relevant ist. 

Und was machen Sie dann damit?

Wir verteilen zum Beispiel Rechercheaufträge: andere KollegInnen klopfen ab, ob die Meldung oder Geschichte, die uns besonders interessiert, auch belastbar ist. Gibt es mindestens zwei Quellen? Oder muss man schnell am Telefon checken, ob die Infos korrekt sind? In einem Satz: Wir kanalisieren und gewichten die Informationsströme.

Anders als bei Themen wie Grundrente, Maut, Bonpflicht oder Krise der SPD geht es bei der Corona-Pandemie, plakativ gesagt, um Leben und Tod. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus? 

Bei vielen unserer Themen geht es um Leben und Tod. Denken Sie beispielsweise an die Flüchtlingskrise. Aber ich weiß, was Sie meinen.

Stichwort Verantwortung.

Die tragen wir ja immer. Aber die Corona-Krise wirkt sich insofern auf unsere Arbeit aus, als dass wir, vor allem in der Anfangsphase, die Sendung weniger konfrontativ gestalten konnten. Dafür war das Bedürfnis nach Erklärung zu groß und auch das Maß an Unwissenheit zu hoch. Es lässt sich schwer über einen medizinischen Sachverhalt streiten, den man in seinem ganzen Ausmaß noch gar nicht überblicken kann. 

"Wir werden schon bald wieder stärker in die Auseinandersetzung gehen."
Sandra Maischberger

Sie sagten mal: „Wenn wir es schaffen, unterschiedliche Sichtweisen zu beleuchten, hat sich die Anstrengung gelohnt – also wenn Zuschauer erkennen, dass man eine Sache auch ganz anders sehen kann.“ Das unterscheide eine Talkshow von einer Blase im Netz. Frau Maischberger, ist das für Sie als Moderatorin zurzeit eine Gratwanderung?

Ich will es mal so sagen: Angesichts der unsicheren Lage, äußern sich selbst diejenigen, die Kritik an der Bundesregierung üben, eher vorsichtig. Das gilt sowohl für Politiker als auch für Kollegen. Fast alle sind sich dem Ernst der Lage bewusst. Keiner weiß, wie lange die Krise dauert und wie es ausgeht.

Was folgt daraus?

Dass man sich mit den üblichen Streitigkeiten vermutlich eine Zeit lang etwas zurückhalten wird. Das heißt aber nicht, dass man Fragen vermeidet wie: Welche Konsequenzen haben die politischen Entscheidungen, die jetzt getroffen werden? Gäbe es auch andere Möglichkeiten als der Weg, den die Regierung eingeschlagen hat? Wir haben schon früh kritische Stimmen eingeladen. Ich glaube, dieser Streit muss geführt werden. Im Moment vielleicht nur etwas anders als sonst.

Wie denn zum Beispiel?

Vorsichtiger, abwägender, weniger hitzig. 

Da drängt sich die Frage auf, ob Sie Ihre Gäste nun nach anderen Kriterien auswählen als zuvor.

Selbstverständlich ist auch die Gästeauswahl derzeit geprägt von dem benannten Informationsbedürfnis. Wir haben noch nie so viele wissenschaftliche und epidemiologische Experten in Talkshows gesehen, wie in den letzten Wochen. Und auch wir wollen wissen, wie jene Menschen denken, die bei der Bewältigung der Krise ganz vorne stehen. Was können sie aus ihrer medizinischen, sozialen oder politischen Situation heraus berichten? Wo hakt es gerade? Kurz: Die Gewichtung bei der Gästeauswahl hat sich zwar verschoben, aber das ist nur temporär. Wir werden schon bald wieder stärker in die Auseinandersetzung gehen.

Werden Sie also in den kommenden Wochen vermehrt Politiker, Wissenschaftler und Journalisten einladen, die die Maßnahmen der Regierung oder auch die Berichterstattung über die Corona-Krise für übertrieben halten? 

Worauf wollen Sie hinaus?

Der eine oder andere sprach zuletzt von „Panikmache“ und „Massenhysterie“.

Menschen, die Massenhysterie und Panik verbreiten, haben wir sowieso noch nie eingeladen. 

Der Journalist Gabor Steingart, den Sie ebenfalls schon zu Gast hatten...

...verbreitet keine Panik, da tun Sie ihm unrecht.

Ich wollte auf etwas anderes hinaus. Herr Steingart hat noch kürzlich die These vertreten, man habe es im Falle der Corona-Angst womöglich mit der größten „Massenhysterie der Moderne" zu tun. 

Ich wünschte, er hätte recht! Aber auch Gabor Steingart kann es, Stand heute, nicht wissen. Und deswegen hielte ich es für klug, da etwas Vorsicht walten zu lassen. Klar ist aber auch: wir müssen ganz sicher die Frage stellen, was an Warnungen nicht ernst genug genommen wurde und wie wir uns besser auf die Pandemie hätten vorbereiten können. Das haben wir im Übrigen bereits in der vorletzten Sendung gemacht. Wir hatten Gäste, die das eine oder andere Fragezeichen gesetzt haben.

Haben Sie ein Beispiel parat?

Ich denke da an Gabriel Felbermayr, den Präsidenten des Instituts für Weltwirtschaft. Es ging darum, wie lange man eine Volkswirtschaft runterfahren kann, ohne dass der Schaden des Stillstands größer wird als der, den das Virus anrichtet. Da fielen durchaus kontroverse Sätze. Arbeitsminister Hubertus Heil musste eine Antwort auf die Forderung des CDU-Politikers Carsten Linnemann geben, nach Ostern einen Teil der Wirtschaft wieder hochzufahren. Oder denken Sie an den Journalisten Georg Mascolo (Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, d. Red.), der in unserer Sendung über seine Recherche berichtete, wonach die Bundesregierung schon 2007 das Szenario einer Pandemie durch einen Erreger aus Asien durchgespielt hatte. Es ging um eine öffentlich zugängliche Bundesdrucksache, die nun allerlei Verschwörungstheoretikern als Beleg dafür dient, dass die Bundesregierung im Prinzip schon alles gewusst und nichts getan habe.