Frau Töpperwien, Sie haben aus gesundheitlichen Gründen Ihr Karriereende angekündigt - und das nur wenige Monate vor der geplanten Fußball-EM und den Olympischen Spielen. Wie sehr schmerzt es Sie, diese beiden Großereignisse nicht mehr auf professioneller Ebene mitzuerleben?

Sabine Töpperwien: Ehrlich gesagt schmerzt mich das gar nicht, weil ich mich davon schon vorher verabschiedet habe, und das unabhängig von meinem vorzeitigen Ruhestand. Die Organisation für die Fußball-EM hatte ich an einen Mitarbeiter abgetreten und als Kommentatorin von Länderspielen hatte ich mich schon zuvor zurückgezogen. Bei den Olympischen Spielen habe ich sowohl im Sommer als auch im Winter meinen Abschied bekanntgegeben. Beruflich tangiert mich das also nicht, privat werde ich beides natürlich intensiv verfolgen und habe dann sogar mehr Zeit als früher.

Sie hatten Ihren letzten Einsatz im Februar 2020. Dann kam erst Corona und danach waren Sie aus den genannten gesundheitlichen Gründen lange krankgeschrieben. Wollen Sie nicht wenigstens noch einmal ins Stadion, um ein letztes Mal ein Spiel zu kommentieren?

Das fragen mich sehr viele Menschen und auch meine Redaktion hat gesagt, dass ich nicht gehen kann, ohne mich von den Hörerinnen und Hörern zu verabschieden. Sie haben mir vorgeschlagen, an einem der letzten beiden Wochenende noch einmal ins Stadion zu gehen. Das habe ich aber abgelehnt. Ich bin eine Reporterin, die lebendig und voller Leidenschaft ist. Ich brauche Stimmung im Stadion, also vor allem die Zuschauer. Unter den Corona-Bedingungen ist es im Stadion aktuell sehr trist und trostlos. Das ist nicht meine Welt und auch nicht meine Art des Kommentierens.

Also kein Abschied von Sabine Töpperwien on Air?

Wir sind jetzt so verblieben: Wenn Corona mal vorbei ist und die Zuschauer wieder in die Stadien dürfen, und wenn dann der 1. FC Köln, sofern er nicht abgestiegen ist, gegen Bayern München spielt, dann würde ich das Spiel gerne kommentieren und mich von den Hörerinnen und Hörern verabschieden, sofern man mich dann fragt. Wir gehen aber davon aus, dass das frühestens in der nächsten Saison der Fall sein wird.

On Air ist es also (vorerst) ein leiser Abschied für Sie. Andererseits: Sie sind derzeit sehr gefragt und geben viele Interviews.

Ich bin ganz überrascht und überwältigt. Mit einem solchen öffentlichen Interesse hätte ich niemals gerechnet. Sowohl von den Medien, als auch von den Hörerinnen und Hörern habe ich einen Flut an positiven Rückmeldungen bekommen. Das ist mir sehr nah gegangen und hat mich sehr glücklich gemacht.

Tom Buhrow hat Sie zum Abschied als “lebende Legende” bezeichnet. Wie lebt es sich mit dieser Bezeichnung?

(lacht) Von meinen Freunden musste ich mir deshalb auch schon was anhören. Die haben mich gefragt, ob sie jetzt anders mit mir umgehen müssen. Ich sag mal so: Es ist schon eine Art Ritterschlag. Ich habe ja wirklich viele Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommen und musste einen steinigen Weg gehen als erste Frau im Fußball. Wenn es sich für mich selbst gelohnt hat, und das hat es definitiv, aber auch für die Hörerinnen und Hörer oder auch für junge Kolleginnen, die mir jetzt schreiben, dass ich ihnen Türen geöffnet hätte, dann ist das wie ein Lebenswerk, das jetzt vollbracht ist. Das macht mich auch ein bisschen stolz.

Sie waren die erste Frau in Deutschland, die ein Fußballspiel kommentiert hat und gelten als Pionierin für Frauen im Sport bzw. Fußball. Ist Ihnen das so bewusst oder war das für Sie immer auch ein Stück weit Normalität?

1985 habe ich nach meinem Diplom als freie Mitarbeiterin beim NDR angefangen. Bis dahin war es für mich ganz normal, dass ich mich als Frau für Fußball interessiere. In einer Redaktionskonferenz wurde ich dann gefragt, was die Sportart sei, in der ich mich am besten auskennen würde. Und da sagte ich natürlich “Fußball”. Daraufhin haben mich zwölf Augenpaare angeschaut, als ob ich vom Mond käme. Und der Chef entgegnete dann: “Aber Sie sind doch eine Frau.” Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich offenbar etwas Besonderes bin. Und seitdem bin ich mir auch meiner Ausnahmestellung bewusst und weiß, dass ich für viele andere Frauen eine Menge tun kann.

Ich habe viele Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommen und musste einen steinigen Weg gehen als erste Frau im Fußball.

Was hat sich seit Ihren Anfängen in Bezug auf Frauen im Sport und speziell im Fußball getan?

Wenig. Es hat sich zu wenig getan. Natürlich ist alles offener geworden und viele Frauen haben den Eintritt in Redaktionen erhalten. Aber wenn man mal auf das Fachliche achtet, stellt man fest, dass Frauen im Fernsehen vor allem zur Präsentation von Sport-Nachrichten oder für die Moderation einer Sendung gewünscht sind. Insgesamt ist es aber so, dass es noch immer keine zehn Live-Kommentatorinnen gibt. Das finde ich erschreckend. Vor allem wenn ich mir überlege, dass ich 1989 mein erstes Bundesligaspiel kommentiert habe und 1997 Schalke zum Uefa-Cup-Sieg reportiert habe. 1998 habe ich die Spiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft begleitet.  Das ist ja alles eine ganze Weile her und seitdem hat sich einfach zu wenig getan. Das ist ein Zeichen, dass noch immer viel im Argen liegt. Von Gleichberechtigung im Sportjournalismus und speziell im Fußball-Journalismus kann nach wie vor keine Rede sein.

Sie haben mal in einem Interview gesagt, dass es ein steiniger Weg gewesen sei, die Situation für Frauen im Reportergeschäft zu ändern. Es ist aber noch nicht genug verändert worden?

Genau. Es hat sich was verändert, es gibt nicht nur mich, sondern auch viele andere. Aber alleine schon dass wir von allen Frauen im Fußball-Journalismus die Namen aufzählen können, zeigt, dass es noch immer nicht ganz normal ist. Der Weg der Veränderung muss unbedingt weitergehen.

Zuletzt erklärten Sie, nicht davon auszugehen, dass in den nächsten 20 Jahren eine Frau ein WM-Finale kommentieren würde. Jetzt hat die ARD genau das in Reaktion auf Ihre Aussagen angekündigt. Und auch bei der kommenden EM wird eine Frau das Endspiel begleiten. Wie zufrieden sind Sie damit? 

Ich bin damit sehr zufrieden. Ich konnte es erst gar nicht glauben. Mittlerweile habe ich realisiert, dass ich tatsächlich viele Türen für Frauen in den drei Jahrzehnten aufgestoßen habe. Und die Krönung ist natürlich jetzt, dass jetzt auch bei der WM eine Frau das Finale in den ARD Radiowellen reportieren darf – und das als Geschenk quasi für mein Lebenswerk.

Gefühlt sind die Bemühungen in den letzten Jahren gestiegen, Frauen sichtbarer zu machen. Gerade im Fernsehen. Hatten Sie auch Angebote, vor die Kamera zu wechseln?

Ja, die Momente und Gespräche gab es. Aber ich liebe eben das Medium Radio. Das ist so leibhaftig, unprätentiös und nah dran an den Menschen. Das liegt mir alles sehr. Beim Fußballspielen im Fernsehen sollte man im besten Fall das Bild nur ergänzen, das ist eine völlig andere Rolle, die die Kommentatoren da spielen. Das hat mich nie gereizt.

Vor einiger Zeit hat es Schlagzeilen rund um Claudia Neumann gegeben, die im ZDF Spiele kommentierte und daraufhin viel negatives und vor allem unsachliches Feedback erhalten hatte. Wie war das bei Ihnen?

Mir ist immer schon Skepsis, Polemik und Kritik entgegenschlagen. Das hat 1989 mit meinem ersten Bundesliga-Spiel angefangen. Da gab es noch keine Mails oder Einträge in sozialen Netzwerken, sondern Briefe. Das war aber Gott sei Dank immer nur polemisch, deshalb konnte ich damit gut umgehen. Es ging nie um meine Expertise.

Sabine Töpperwien © dpa/Federico Gambarini, Sabine Töpperwien bei der Arbeit in der BayArena (noch vor der Corona-Pandemie)

Otto Rehhagel hatte Ihnen mal ein Interview abgelehnt mit der Begründung, Sie hätten noch nie den Schweiß einer Kabine gerochen. Wie hat sich die Fußball-Branche gewandelt?

Das hat sich total gewandelt. Da merke ich, dass ich eine Eisbrecherin war, die als allererste und ganz alleine mit den Protagonisten klarkommen musste. Auch das mit Otto Rehhagel hat sich irgendwann gewandelt und er hat mich dann anerkannt, das hat nur eine gewisse Zeit gedauert. Christoph Daum hat mir ein paar Jahre später noch gesagt, ich solle doch lieber meinen Bruder schicken, mit dem würde er sich über Fußball unterhalten. Das haben wir hinterher auch ausgeräumt. Aber daran merkt man: Das war damals völlig ungewohnt und es entsprach nicht den Rollenklischees. Der Fußball war und ist zumindest auch heute noch in Teilen von Machos geprägt. Da musste ich sehr viel Aufklärungsarbeit leisten.

Haben Sie Kontakt zu jungen Journalistinnen und was raten Sie denen, die Ihren Weg in den Fußball gehen wollen?

Ja, das habe ich. Wir haben vor ein paar Jahren bei uns in der ARD hinter den Kulissen eine Nachwuchsförderung aufgebaut, speziell für junge Kolleginnen. Da habe ich immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Jetzt ist es gerade sehr schön, weil sich viele Frauen bei mir gemeldet und bedankt haben. In dem Moment, wo man “Leidensgenossinnen” hat, mit denen man auch mal über Probleme reden kann, merkt man zumindest, dass die ganze Kritik nicht persönlich zu nehmen ist. Die Menschen haben nichts gegen mich persönlich oder gegen Claudia Neumann. Die haben was dagegen, dass eine Frau in ihrem “heiligen Männerbereich” Fußball wildert. Das macht es ein wenig leichter.

Mir ist immer schon Skepsis, Polemik und Kritik entgegenschlagen.

Gab es einen Moment in ihrer Karriere, an dem Sie gedacht haben, dass es das alles nicht wert ist? Oder zumindest einen Moment, in dem Sie gezweifelt haben?

Wert war es mir immer. Ich hatte Momente, in denen ich niedergeschlagen war. Ich musste Rückschläge hinnehmen. Aber ich habe nie so gehadert, dass ich alles hinschmeißen wollte. Für diese mentale Stärke ist einer verantwortlich und das ist mein Bruder Rolf (Sportreporter im ZDF, Anm.). Der ist zehn Jahre älter als ich und dem habe ich schon früh beim ZDF über die Schulter schauen dürfen. Als klar war, dass es auch mein Berufswunsch sein würde, hat er mir ganz klar die Augen geöffnet. Er hat gesagt, dass niemand auf mich wartet und sich auch niemand auf mich freut. Er hat mir einen steinigen Weg mit vielen Vorurteilen prognostiziert. Wenn ich das mental nicht aushalte, sollte ich lieber etwas anderes machen, sagte er. Das hat mir in vielen kritischen Situationen sehr geholfen. Ich weiß nicht, ob ich ohne meinen Bruder das alle gepackt hätte.

Wie ist Ihre Liebe zum Fußball entstanden? Kam das auch über Ihren Bruder?

Durch meine gesamte Familie. Meine Eltern haben den Grundstock gelegt, in dem sie uns gleichberechtigt erzogen haben. Wir kommen aus Osterode am Harz, der VfR spielte damals in der Verbandsliga. Da sind wir zu viert alle 14 Tage auf den Platz gegangen, da war es auch ganz egal, wie das Wetter war. So bin ich da als Kind reingewachsen.

Haben Sie es irgendwann verflucht, einen so bekannten Bruder zu haben, der auch als Sportreporter arbeitet?

Nein, überhaupt nicht. Wir haben ein fantastisches Verhältnis und er war für mich immer ein Vorbild. Er war für mich als mein engster Vertrauter und Berater immer da. Gleichzeitig hat er mir immer gesagt, dass er mir keine Türen aufstoßen wird. Weil dann wahrscheinlich alle gesagt hätten, dass ich ja nur den Job wegen meines Bruders bekommen hätte. Da hat er mich zum harten Arbeiten getriezt.

Hatten Sie neben ihrem Bruder noch andere Vorbilder? Frauen gab es damals ja keine in dem Bereich.

Im Radio war Gerd Rubenbauer noch eines meiner Vorbilder. Der war beim Bayerischen Rundfunk und hat immer die Heimspiele der Bayern begleitet, erst im Radio, dann im Fernsehen. Der Rubi, so wie ihn alle nannten, hatte immer seine ganz eigene Art und ich fand es toll, dass er sich abgesetzt hat von den anderen. Ich konnte bei ihm die Augen schließen und war gefühlt im Stadion, weil er mich emotional so sehr an die Hand genommen hat. So wollte ich es im Radio auch immer machen.

Sie haben schon angekündigt, dass Sie samstags um 15:30 Uhr auch weiterhin WDR 2 und damit die Bundesliga hören werden. Oder gibt es doch eine Chance, dass Sie zumindest zeitweise auch mal das bewegte Bild ausprobieren?

Ein Samstagnachmittag ohne mein Radio und die Konferenz kann ich mir nicht vorstellen. Inzwischen sind wir aber ja alle des Multitaskings fähig. Und weil ich von meinen Reporterinnen und Reportern gebeten wurde, ihnen auch weiterhin Feedback zu geben, kann ich mir vorstellen, die Fernseh-Konferenz nebenbei ohne Ton laufen zu lassen. So könnte ich mir auch gleich selbst einen Eindruck der Spiele verschaffen. Die Spannung und den Nervenkitzel hole ich mir aber weiterhin im Radio, für mich ist der Ton das Entscheidende.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft, Frau Töpperwien!