Frau Geißendörfer, Sie drehen gerade in Berlin Ihre neue Sky-Serie "Souls". Wie viel Verzögerung hat die Corona-Pandemie Sie bisher gekostet?

Wir hatten eigentlich vor, ab August 2020 zu drehen. Als wir kurz vor Beginn der Produktionsvorbereitung standen, kam der erste Lockdown. Glücklicherweise konnten wir noch großräumig verschieben. Natürlich hätten wir uns alle gewünscht, früher loslegen zu können, und sind entsprechend froh, dass es jetzt endlich läuft.

Der Aufwand dürfte nun größer sein, als Sie ursprünglich geplant hatten.

Definitiv. Jetzt zu drehen, ist eine schwierige Aufgabe. Seit Ausbruch der Pandemie haben wir als Firma, wie ja die ganze Produktionswirtschaft, viel dazugelernt, aber man spürt die Extrabelastung in jeder Hinsicht. Auch psychologisch. Das ist nicht zu ändern und wir klagen nicht, aber wegdiskutieren lässt sich die Belastung nicht. Wir drehen komplett on location, und einer unserer Motivgeber ist wegen Corona abgesprungen. Da muss man dann kurzfristig Ersatz finden. Zudem ist die Anschaffung von Requisiten und Kostümen im Lockdown stark erschwert und dauert länger. Aber ich bin froh, dass wir überhaupt drehen können, und dankbar, dass wir weiterarbeiten können, was in Teilen unserer eigenen und anderen Branchen nicht der Fall ist. Und ich bin voller Respekt für das gesamte Team, das die Hygienemaßnahmen sehr verantwortungsvoll umsetzt.

"Souls" ist Ihre erste Serienproduktion nach der "Lindenstraße". Wie gehen Sie strategisch vor, um ein neues Portfolio für die Geißendörfer Pictures aufzubauen?

Ich hatte schon vor gut vier Jahren angefangen, mehrere neue Projekte zu entwickeln, um neben der "Lindenstraße" weitere Projekte auf die Beine zu stellen. Dass wir jetzt die ersten Früchte ernten, freut mich sehr – auch wenn es nun nicht mehr neben, sondern nach der "Lindenstraße" ist. Die Wege, auf denen unsere Projekte zustande kommen, sind vielfältig. Wir gehen gern mit konkreten Anfangsideen auf Autoren zu, sind aber genauso offen für deren Ideen. Im Fall von "Souls" hatte unser Produzent Malte Can einen Dokumentarfilm über Seelenwanderung gesehen und war fasziniert von dem Gedanken, dass manche Menschen sich an ein früheres Leben erinnern können. Basierend auf seiner ersten Idee dazu hat Alex Eslam mit seinem Autorenteam die Serie entwickelt.

Hana Geißendörfer und ihre Firmen

  • Die 36-jährige Unternehmerin führt die Geschäfte der Geißendörfer Pictures (GP) mit Sitz in München und der Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion (GFF) in Köln.

  • Während die GFF KG nach wie vor ihrem Vater Wilhelm Max (genannt "Hans W.") Geißendörfer gehört, wurde die frühere GFF-Tochter GFF Süd im Dezember 2019 in Geißendörfer Pictures umbenannt. Alleingesellschafterin ist seither Hana Geißendörfer.

  • Alle neuen Projekte realisiert die Produzentin mit der Geißendörfer Pictures. Die GFF hat seit Ende der "Lindenstraße" keine operative Geschäftstätigkeit mehr.

Serienentwicklung kann aufwendig und teuer sein. Wie stark gehen Sie dabei ins unternehmerische Risiko?

In der Regel versuchen wir, die strukturelle Relevanz hinter einem Stoff erstmal kurz und knapp auf Papier zu bringen und damit potenzielle Partner zu begeistern, die dann die weitere Buchentwicklung beauftragen. Wenn wir merken, dass das nicht klappt oder der Stoff mehr Raum braucht, um sein Potenzial zu offenbaren, finanzieren wir auch mal ein Drehbuch auf eigene Rechnung. Bei "Souls" hatte Sky recht schnell starkes Interesse an dem Konzept bekundet. Dennoch haben wir mit Alex Eslam und Lisa van Brakel zunächst ein Pilotdrehbuch erstellt, weil es uns wichtig war, die komplexe Erzählstruktur und auch die Visualität der Serie darzulegen. Für beides gab es von Anfang an eine klare Vision. Danach sind wir gemeinsam mit Sky in die weitere Entwicklung gegangen.

Dürfen wir künftig weitere High-Concept-Serien von Ihnen erwarten?

Auf jeden Fall, aber es muss nicht alles groß und High Concept sein. Für mich kommt es zunächst auf die Geschichte an und dann auf die passende Erzählform. Mich reizt durchaus auch das kleinere, realitätsnahe 'kitchen sink drama' in britischer Tradition. Wir haben etwa eine Handvoll serielle Projekte in Entwicklung – manche größer, andere kleiner. Ich habe lange gedacht, Genre wäre nichts für mich, aber auch SciFi oder Horror können sich mit interessanten Konflikten und Fragen beschäftigen. Es geht mir immer um die Figuren. Wenn die mich berühren und ich in ihre emotionale Reise eintauchen kann, dann ist es für mich ein starker Stoff. 

Ein Beispiel für die etwas kleinere Form ist wohl die Serie "Im Tod steckt jede Menge Leben", die Sie für Ihren langjährigen Hauptkunden WDR in Arbeit haben.

Da geht es um zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber beide jeweils einen geliebten Menschen verloren haben und nun ihr Leben neu aufstellen müssen. Wir wollen den mit vielen Tabus belegten Blick auf den Tod auf menschliche und authentische Weise aufgreifen, sowohl mit berührenden als auch heiteren Momenten. Das entwickeln wir momentan zusammen mit dem WDR, es gibt aber noch keine Zusage für eine Produktion.

"Ich fürchte, die 'Lindenstraße' ist weder inhaltlich noch wirtschaftlich ersetzbar"
Hana Geißendörfer 

Ist die "Lindenstraße" als Referenz eigentlich eher hilfreich oder hinderlich, wenn man moderne Miniserien an den Mann bringen will?

Ich kenn's ja nur so, daher lässt sich das schwer beantworten. Dass ich von Senderverantwortlichen wegen der "Lindenstraße" in eine bestimmte Schublade gepackt werde, ist mir jedenfalls bislang nicht aufgefallen. Ich denke, diese produzentische Erfahrung ist auf jeden Fall ein Beleg dafür, dass man Produktionsabläufe und -strukturen beherrscht und ein größeres Format zuverlässig stemmen kann. 

Betriebswirtschaftlich ersetzen lässt sich die "Lindenstraße" vermutlich nicht, oder?

Nein, ich fürchte, die "Lindenstraße" ist weder inhaltlich noch wirtschaftlich ersetzbar.

Bleibt denn vom Geist der "Lindenstraße" auch etwas in der neuen Geißendörfer Pictures erhalten?

Ich bin nun mal die Tochter meines Vaters, deshalb steckt hier sicher sein Spirit drin. In der GP hoffe ich, die Freiheiten weitergeben zu können, die ich bei ihm erfahren habe. Dazu gehört, wie wichtig es ist, mutig zu sein und besser ab und an mal Fehler zu machen, als nie was zu wagen. Die Art und Ästhetik unserer Projekte hat sich jedoch schon deutlich verändert, dennoch sind wir weiterhin geprägt von heutigen, ehrlich-direkten und menschlich berührenden Geschichten. 

"Das Kino ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Branche und unserer Kultur. Ich werde dafür kämpfen"
Hana Geißendörfer 

Neben Serien setzen Sie auch auf Einzelstücke.

Genau. Mit dem Münchner "Polizeiruf 110 – Frau Schrödingers Katze" für den BR ist unser erstes neues Projekt unter der Regie von Oliver Haffner abgedreht und derzeit in Postproduktion. Ich finde es spannend, sich in den Rahmen von bestehenden Formaten wie dem "Polizeiruf" hineinzubegeben und die Grenzen auszutesten. Außerdem wollte ich unbedingt mit der großartigen Verena Altenberger arbeiten. Fürs ZDF entwickeln wir den 90-Minüter "Unbestechlich" über einen internen Ermittler bei der Polizei. Und fürs Kino bereiten wir die deutsch-österreichische Koproduktion "Der Fuchs" vor – mit Drehbeginn im April. Adrian Goiginger, der Macher von "Die beste aller Welten", inszeniert nach eigenem Buch, und Alamode bringt den Film heraus.

Glauben Sie als Unternehmerin an die Zukunft des Kinos?

Definitiv. Ich liebe das Kino und vermisse es gegenwärtig sehr. Nichts kann das gemeinsame Lachen oder Weinen im Kino ersetzen.

Aber macht es wirtschaftlich noch Sinn für eine Produktionsfirma?

Ich werde dafür kämpfen. Das Kino ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Branche und unserer Kultur. Wir haben einige Kinofilme in der Pipeline, und auch wenn es gerade schwierig ist abzusehen, wie und wann sich die Branche nach Corona erholen wird, glaube ich fest dran. Auch finde ich es spannend zu beobachten, wie sich neue Optionen auftun. Zum Beispiel entstehen in der Finanzierung Möglichkeiten dadurch, dass sich immer mehr Streaming-Anbieter als Koproduzenten von Kinofilmen engagieren.

Da geht es dann meist um eine Alibi-Auswertung auf ein paar Leinwänden, während das Gros der Reichweite via Streaming gemacht wird. Davor hätten Sie bei aller Liebe zum Kino also keine Berührungsängste?

Als Produzenten müssen wir eine gewisse Flexibilität mitbringen und für Veränderungen offen sein. Ich versuche immer, komplett ergebnisoffen zu überlegen, was für jedes einzelne Projekt die beste Lösung ist, und keine Berührungsängste zu haben.

Frau Geißendörfer, herzlichen Dank für das Gespräch.

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