Herr Bornemann, an diesem Dienstag wird ein neuer ORF-Chef oder Chefin gewählt. Sie sind Vorsitzender des Redakteursrats. Was wünschen Sie sich von der künftigen ORF-Führung?

Dieter Bornemann: Uns sind Unabhängigkeit, Objektivität und freier, kritischer Journalismus wichtig. Das versprechen jetzt auch alle relevanten Bewerberinnen und Bewerber im Vorfeld der Wahl. In der Praxis werden wir dann sehr genau schauen müssen, ob das auch umgesetzt wird. Denn Eines kann ich jetzt schon versprechen: Die ORF-Redaktionen werden in allen Bereichen sehr wehrhaft sein. Jeder Versuch der politischen Einflussnahme wird von uns bekämpft – egal ob der von innen oder von außen kommt.

Versuche der Einflussnahme gibt es immer wieder, mal sehr offensichtlich, mal subtil. Hat die ORF-Führung den Journalistinnen und Journalisten den Rücken in den letzten Jahren an dieser Front freigehalten?

Das ist ein schwieriges Kapitel. Auf der einen Seite ist die Zahl der Sendungen, die es zu füllen gilt, gestiegen. Gleichzeitig sind die Redaktionen deutlich geschrumpft. Das ist nicht nur bei uns so, auch die Print-Redaktionen sind davon betroffen. Und auch in anderen Ländern lässt sich dieser Trend beobachten. Das hat zur Folge, dass der Druck auf jeden einzelnen Journalisten und jede einzelne Journalistin steigt, weil in immer kürzerer Zeit immer mehr Beiträge produziert werden müssen. Auf lange Sicht droht das zu Lasten der journalistischen Qualität zu gehen. Vor allem im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist es wesentlich, dass wir genügend Zeit und Personal haben, um alles, was wir veröffentlichen, ganz genau zu recherchieren. Gleichzeitig macht uns das die Politik immer schwerer.  

Nämlich wie?

Es sind mit sehr viel Steuergeld große Teams in den Ministerien und den politischen Parteien aufgebaut worden. Die liefern Content "gratis" an alle Redaktionen im Land. Wenn 60 Leute im Bereich Social Media und Pressebetreuung im Bundeskanzleramt arbeiten, dann ist das sehr viel mehr, als die allermeisten innenpolitischen Redaktionen an Personal zur Verfügung haben. Das ist ein sehr spezieller Druck. Ein kluger Chef hat einmal gesagt: Im ORF funktioniert Zensur nicht durch Verbote, sondern durch Überforderung. Durch das Schrumpfen der Redaktionen ist der Druck mittlerweile so groß, dass immer weniger Zeit für Recherche bleibt. Bei vielen Themen wird dann vielleicht nicht mehr ganz so genau hingeschaut, wie es eigentlich notwendig wäre. Die Spin-Doktoren in den Parteien machen ihren Job sehr professionell, weil für sie auch genügend Steuergeld vorhanden ist. Aber Medien drohen so immer mehr zum Werkzeug der Politik zu werden und laufen Gefahr, ihre Rolle als unabhängige Informationsquellen zu verlieren. Und gerade der öffentlich-rechtliche Qualitätsjournalismus muss umfassend berichten und dort hinleuchten, wo die PR-Leute lieber das Licht abdrehen wollen. Wir brauchen grundsätzlich mehr Enthüllungs-Journalismus und keinen Erfüllungs-Journalismus.

Im ZDF ist gerade erst ein neuer Intendant gewählt worden. Was sind die größten Unterschiede bei der Wahl damals und der nun anstehenden Wahl bei Ihnen im ORF?

In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht 2014 entschieden, dass die Mitglieder im ZDF-Fernsehrat nur zu einem Anteil von maximal einem Drittel mit Politikern und Politikerinnen besetzt sein dürfen. In Österreich ist das anders. Bei uns steht zwar seit 50 Jahren die Unabhängigkeit der Personen und Organe für den Rundfunk in der Verfassung, diese Unabhängigkeit ist aber sehr schwer zu kontrollieren. Der ORF-Generaldirektor bzw. Generaldirektorin wird von 35 Stiftungsräten gewählt, 32 von ihnen sind politischen Parteien zuzuordnen. Die treffen einander in sogenannten "Freundeskreisen" und machen sich die diversen Dinge aus – sehr häufig in Absprache mit den politischen Parteien, denen sie nahestehen.

Über Dieter Bornemann

  • Dieter Bornemann arbeitet bereits seit 1992 für den ORF, zunächst in der Wirtschaftsredaktion des Radios, später unter anderem in der "Zeit im Bild"-Redaktion sowie als Korrespondent für Radio und Fernsehen in Brüssel. 1998 wechselte er in die Redaktion der "ZiB 2", wo er sich um Krisen-Berichterstattung im In- und Ausland kümmerte. Einige Jahre später war Bornemann auch verantwortlich für das Redesign der "ZiB 2" im damals neuen, digitalen Newsroom. Seit Juli 2002 präsentiert der langjährige Wirtschaftsredakteur die Börsen-Leiste in der "ZiB um 13 Uhr" und seit Juli 2017 das ORF-Wirtschaftsmagazin "Eco". Seit April 2009 ist er stellvertretender Leiter der "ZiB"-Wirtschaftsredaktion. Im November 2012 wurde Bornemann zudem Vorsitzender des ORF-Redakteursrats, als solcher ist er oberster Vertreter aller Journalistinnen und Journalisten der öffentlich-rechtlichen Anstalt.

Anders als im ZDF-Fernsehrat sitzen im Stiftungsrat des ORF aber keine aktiven Politiker.

Das ist richtig, es gibt dort keine Politiker, die noch aktiv sind. Das ist verboten. Es sitzen dort aber Personen, die oft in direkter oder indirekter politischer Abhängigkeit zu Parteien stehen, weil sie zum Beispiel in ihren Brotberufen darauf angewiesen sind, dass die jeweilige Partei ihre Verträge verlängert. Andere sind durch ihren Lebenslauf parteipolitisch zuordenbar. Die ÖVP hat derzeit mit 18 der 35 Stiftungsräten eine Mehrheit und kann im Alleingang bestimmen, wie die Führungscrew im ORF aussehen wird.

Sie sind vor wenigen Wochen mit dem Concordia-Preis für außerordentliche publizistische Leistungen geehrt worden. Sie haben bei der Verleihung eine Brandrede gehalten und gesagt, es gehe nur darum, wen Bundeskanzler Sebastian Kurz zum ORF-Chef haben wolle. Bitte erklären Sie, welches Schauspiel da stattfindet.

Auf offener Bühne sagen Politik und Stiftungsräte, die formal weisungsfrei und parteipolitisch unabhängig sind, dass es keine Einflussnahme gibt. Auch Sebastian Kurz hat zuletzt betont, die Bestellung der ORF-Generaldirektion sei ausschließlich Sache des Stiftungsrates. Formal hat die Regierung nichts zu sagen, in der Realität sieht es aber anders aus. Denn hinter den Kulissen wird im Vorfeld mit den Parteien ausgemacht, wer welche Führungsfunktion im ORF bekommen soll. Das ist kein neues Phänomen, das gibt es leider seit Jahrzehnten.

Warum ist der Einfluss der Politik gerade jetzt so problematisch?

Neu ist, dass erstmals die ÖVP im Alleingang bestimmen kann, wer die Generaldirektorin oder der Generaldirektor, und in weiterer Folge auch die Führungscrew im gesamten ORF, werden soll. Das halte ich für problematisch. Bislang war es so, dass sich die Parteien zumindest im Konsens finden mussten. Ich fürchte, das wird dieses Mal anders sein. Die Journalistinnen und Journalisten im ORF wehren sich gegen alle Versuche der Einflussnahme, egal ob von rechts oder von links. Allerdings ist auch die Struktur in dem neuen multimedialen Newsroom, den wir im nächsten Jahr beziehen sollen, möglicherweise gefährlich.

Der Newsroom wird derzeit noch gebaut und ist ein Prestige-Projekt von Amtsinhaber Alexander Wrabetz. Dort sollen künftig Mitarbeitende aus TV, Radio, Online und Social Media Platz finden. Inwiefern ist die Struktur gefährlich?

Es besteht in dem Multimedialen Newsroom eine Gefahr für Interessen, die andere sind als unabhängiger Journalismus. Zwar sagen alle Bewerberinnen und Bewerber, dass es keinen zentralen Chefredakteur für die ORF-Information geben wird. Aber wenn die Positionen dort parteipolitisch besetzt werden und nicht nach Qualifikation, ist das problematisch. Wäre der Stiftungsrat wirklich auf der Suche nach den besten Köpfen, die den ORF leiten sollen, dann hätte es schon vor Monaten eine Findungskommission geben müssen, die sich auf die Suche nach dem besten Mann oder die beste Frau macht, um den ORF in die digitale Zukunft zu führen. Eine Suche nicht nur innerhalb von Österreich, sondern auch in der Schweiz und in Deutschland – da gibt es sehr viele kompetente Medienmanagerinnen und -manager.

 

"Formal hat die Regierung nichts zu sagen, in der Realität sieht es aber anders aus."

 

Wieso hat in Österreich noch kein Gericht die tatsächliche Unabhängigkeit der Stiftungsratsmitglieder angeordnet?

Das ist ziemlich schwierig, weil es kein Lineal gibt, mit dem man die Unabhängigkeit von Personen messen kann. Unser aktueller Vorsitzender im Stiftungsrat – Norbert Steger – war früher Vizekanzler und Parteichef. Das ist aus meiner Sicht mit der geforderten parteipolitischen Unabhängigkeit dieser Funktion nur schwer unter einen Hut zu bringen. Führende Medienjuristen sagen jedoch, dass das durchaus geht, weil Unabhängigkeit eben nicht messbar ist. Norbert Steger hat mal gesagt, dass man wenigstens von denen gelobt werden will, die einen entsendet haben. In seinem Fall ist das die FPÖ. Diesen Zugang halte ich für bedenklich, rechtlich gibt es aber offenbar nur wenig Möglichkeiten.

Der ORF-Redakteursrat hat vor wenigen Wochen eine Gesetzesnovelle für mehr Unabhängigkeit gefordert. Heißt das im Umkehrschluss: Der ORF ist bislang nicht unabhängig? Oder nicht unabhängig genug?

Es geht auch da um den Stiftungsrat. Wer Generaldirektor werden möchte, muss dort die Mehrheit bekommen. Der Stiftungsrat ist jedoch nahezu vollständig parteipolitisch besetzt und so bleibt dem Generaldirektor oder der Generaldirektorin gar nichts anderes übrig, als mit der Politik zu verhandeln, um eine Mehrheit zu bekommen. Hinzu kommt, dass die Landeshauptleute (Ministerpräsidenten der Länder, Anm.) ein Anhörungsrecht bei der Auswahl der Direktoren in den verschiedenen Landesstudios haben, das ist de facto ein Bestimmungsrecht. Das alles sorgt dafür, dass gewährleistet ist, dass der Kandidat, der den ORF-Chefposten erklimmen will, mit der Politik handelseinig werden muss. Oder anders gesagt: Wenn man im ORF Karriere machen will, passiert es oft, dass sich Personen bei einer Partei anlehnen und ihnen Informationen geben. Es ist auch jetzt bezeichnend, dass alle relevanten Bewerber parteipolitisch zugeordnet werden. Es gibt keinen unabhängigen Experten, egal ob aus Österreich oder dem Ausland, der sich beworben hat und realistische Chancen auf den Posten hat. Weil im Vorfeld klar ist: Es geht hier nicht in erster Linie um die fachliche Qualifikation, sondern um den Willen von Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Ernsthafte Bestrebungen zur Entpolitisierung des Stiftungsrates gibt es nicht, oder?

Nein, leider nicht. Es gibt null Interesse der Politik an den Reformvorschlägen der Redakteursvertretung. Das interessante ist: Sobald eine Partei in der Regierung sitzt, ist sie hochzufrieden mit dem ORF-Gesetz. Die Regierungsparteien werden im ORF-Gesetz nämlich stark bevorzugt. Wenn Parteien allerdings in der Opposition sind, finden sie das ORF-Gesetz unerhört. Das haben wir mehrfach bei der SPÖ erlebt, die in der Opposition immer Änderungen des Gesetzes fordert. Und wenn sie dann in der Regierung waren, haben sie nichts geändert. Zuletzt hat FPÖ-Chef Herbert Kickl gesagt, man müsse die Abstimmungen im Stiftungsrat geheim machen. Das läuft derzeit per Handzeichen ab, damit nachvollziehbar ist, wer wie abgestimmt hat. Abweichler sollen so identifiziert werden. Diese geheime Abstimmung wurde allerdings abgeschafft unter einer ÖVP/FPÖ-Regierung.

In einer perfekten Welt: Was schlagen Sie vor, damit sich die Situation verbessert?

Es muss damit begonnen werden, den Stiftungsrat zu entpolitisieren. Natürlich soll die Politik eine Kontrollfunktion haben, sie darf aber nicht die Mehrheit stellen. Ähnlich ist es ja inzwischen auch beim ZDF. Der Beschickungsmodus muss geändert werden. Außerdem ist es nötig, dass Redakteursstatut deutlich zu verbessern. Wir haben Anhörungsrechte und angeblich auch Mitbestimmungsrechte, die sind in der Praxis allerdings völlig zahnlos. Es gibt Qualitätsmedien, in denen Redaktionen einen neuen Chefredakteur ablehnen können, weil sie ihn oder sie für fachlich nicht qualifiziert genug halten. Eine Alternative dazu wäre, dass ein neuer Chefredakteur ein halbes Jahr seinen Job macht. Und wenn die Redaktion dann der Meinung ist, dass die Person es nicht kann oder eine parteipolitische Schlagseite hat, was wir im ORF ja auch schon hatten, dann soll es die Möglichkeit zur Abwahl geben.

 

"Wenn man im ORF Karriere machen will, passiert es oft, dass sich Personen bei einer Partei anlehnen und ihnen Informationen geben." 

 

Horst Pirker, Chef der VGN Medien Holding und des Nachrichtenmagazins "News", hat zuletzt eine "Orbanisierung" in der österreichischen Medienlandschaft beklagt. Würden Sie ihm zustimmen?

Es gibt den Wunsch vor allem von der größeren Regierungspartei ÖVP, die Medien zu kontrollieren. Zum einen via Finanzierung über Inserate, hier bekommen vor allem Boulevardmedien viel Geld. Eine Orbanisierung sehe ich ehrlich gesagt aber noch nicht, weil ich finde, dass der kritische Journalismus in Österreich und speziell im ORF noch immer gut funktioniert. Es gibt zwar einen Rattenschwanz an Problemen, aber trotzdem gibt es noch immer Redaktionen, die sich dagegen wehren, politisch vereinnahmt zu werden.

Als die FPÖ noch in der Regierung saß, hat sie immer wieder an einer Abschaffung der ORF-Gebühren gearbeitet. Würde es den ORF in seiner heutigen Form noch geben, wäre die Koalition damals wegen Ibiza nicht geplatzt?

Wäre die Regierung nicht an Ibiza gescheiterte, bin ich davon überzeugt, hätte man den ORF in der heutigen Form nicht mehr. Der Plan war, die ORF-Gebühren abzuschaffen und den Sender aus Steuergeldern zu finanzieren. Das hätte zur Folge gehabt, dass der ORF-Generaldirektor jährlich zum Finanzminister pilgern und verhandeln hätte müssen. Die Idee war, damit ein politisches Druckmittel in die Hand zu bekommen. Die ORF-Gebühr ist in Österreich nach wie vor geräteabhängig. Immer mehr Leute steigen aber auf Streaming um und schauen sich ORF-Sendungen am Handy, Tablet oder Computer an. Das ist nicht nach der aktuellen Gesetzeslage nicht gebührenpflichtig und diese Gebührenlücke wird künftig immer weiter aufgehen. Daher braucht es für die Finanzierung des ORF mittelfristig ein neues Modell. Etwa so wie die Haushaltsabgabe in Deutschland.

Wie optimistisch sind Sie nun für die Zukunft des ORF, wenn Sie sehen, dass bei der anstehenden Wahl alles so abgelaufen ist wie in der Vergangenheit?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat trotz aller Probleme trotzdem eine große Zukunft, weil er wichtig ist für ein kleines Land wie Österreich. Es braucht unabhängigen Journalismus und eine Plattform, an die sich die Menschen wenden können, wenn sie Informationen suchen. Es braucht eine vertrauenswürdige Quelle und das ist der ORF.

Armin Wolf hat vor wenigen Wochen über Sie gesagt, dass Sie "harmoniebedürftig" seien. Haben Sie sich da als Vorsitzender des Redakteursrats den falschen Posten ausgesucht? Sie kritisieren immer wieder Missstände innerhalb des ORF, beliebt macht man sich da in der Unternehmensführung nicht.

(lacht) Armin hat das auf das Private bezogen. Beruflich sind mir Konflikte ziemlich wurscht. Ich gehe da keinem Streit aus dem Weg, das ist Teil der Funktion. Wenn es eine Diskussion gibt, ist es mir allerdings immer wichtig, dass es nicht auf eine persönliche Ebene rutscht. Man muss die Dinge auf Augenhöhe diskutieren und manchmal geht das eben nicht in Harmonie.

Herr Bornemann, vielen Dank für das Gespräch.

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