Herr Schmitter, die Corona-Situation verschärft sich, die Politik berät über härtere Maßnahmen. Das sorgt für ein gesteigertes Info-Bedürfnis bei den Menschen. Wie merken Sie das bei ntv?

Stephan Schmitter: Wir merken das an steigenden Quoten. In der vergangenen Woche waren wir schon wieder in der Nähe von Tagesmarktanteilen von 2,0 Prozent. Das zeigt deutlich, dass das Interesse zunimmt. Allerdings sehen wir das nicht nur bei ntv. Am Freitagabend hat RTL ein "RTL Aktuell"-Spezial um 20:15 Uhr gezeigt. Da heißt es ja normalerweise, die Menschen würden am Ende der Woche nach Ablenkung suchen. Wenn man sich dann anschaut, wie diese Viertelstunde gestaltet wurde und wie gut die Marktanteile waren, ist klar, was die Menschen gerade bewegt. Alle wollen wissen, wie es in der Coronakrise weitergeht.

Die Pandemie wird uns wahrscheinlich auch 2022 noch beschäftigen. Für das kommende Jahr planen Sie aber auch eine Neuausrichtung der ntv-Primetime. Wieso?

Da kommen zwei Sachen zusammen. Wir haben starke Nachrichten-Ausgaben um 20 und 23 Uhr und sehen dazwischen eine intensive ntv-Nutzung über die digitalen Second Screens. Darüber hinaus wollten wir die Primetime stringenter für unser Publikum programmieren. Daher haben wir einen Weg gesucht, diese verschiedenen Prämissen optimal miteinander zu verbinden.

Was ändert sich konkret?

Ab 2022 steht jeder Abend bei ntv für ein bestimmtes Genre, ab 20:15 Uhr liefern wir unseren Zuschauerinnen und Zuschauern ein hochwertiges Dokumentationsprogramm. Montags geht es um Zeitgeschehen, dienstags und sonntags um Verbrechen und Strafverfolgung und mittwochs setzen wir auf die Themen Wissen und Technik. Am Donnerstag zeigen wir in der Primetime Zeitgeschichte und am Freitag Geschichte. Der Samstag steht bei uns für Wildnis und Natur, dort werden wir auch gemeinsam mit unseren neuen Kolleginnen und Kollegen von "Geo" neue Formate entwickeln. Eingerahmt wird das Ganze um 20 und 23 Uhr von unseren starken Nachrichten-Ankern, dazwischen machen wir um 21 und 22 Uhr online und in der App ausführliche Live-Nachrichten.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Zeitgeschichte und Geschichte?

(lacht) Gute Frage! Die Zeitgeschichte deckt ein etwas aktuelleres Zeitfenster ab bis etwa zum Ersten Weltkrieg, liegt also noch nicht so weit zurück. Bei Geschichte reden wir von einer Zeit, die sehr weit zurückliegt, da kann es auch mal um die Pyramiden und die Zeit vor Christus gehen.

 

"Wir wollen qualitativ eine Schippe drauflegen und noch besser werden."

 

Das heißt aber auch, die Nachrichten werden im linearen Programm weniger wichtig. Bislang hatten Sie News-Blöcke um 20, 22 und 23 Uhr sowie kurz nach Mitternacht. Künftig nur noch um 20 und 23 Uhr. Zwei Blöcke entfallen.

Die entfallen nicht, die machen wir - nur eben auf den starken digitalen ntv Plattformen. Die ganze Crew ist nach wie vor im Studio, auch weil wir in einer Breaking-News-Situation weiterhin sofort das Programm unterbrechen und umfassend informieren, das ändert sich nicht. Nachrichten sind und bleiben immer unser Kern und unsere Hauptprämisse. Wenn etwas passiert, ist ntv live dabei.

Aber wieso fallen die zwei News-Schienen im Linearen weg?

Wie gesagt: Wir sehen und messen nach 20:15 Uhr sehr viel digitale Nutzung in unserer App und auf ntv.de. Auf der anderen Seite hat der bisherige Wechsel von Dokumentationen hin zu Nachrichten oftmals zu einem Austausch des Publikums geführt. Das war vom Audience Flow her nicht optimal und durchgängig genug. Die Alternative wäre gewesen zwischen 20:00 Uhr und 23:00 Uhr eine reine Nachrichtenstrecke zu senden. Das wäre allerdings an normalen Tagen komplett am Zuschauer vorbei programmiert. So macht die starke Marke ntv jetzt den nächsten Schritt in die Zukunft und sendet dort ausführliche Nachrichten, wo sich viele nachrichteninteressierte Menschen während des Abends aufhalten – auf unseren digitalen Angeboten. Wir sind überzeugt, dass wir mit der jetzt gefundenen Lösung sowohl Nachrichten-Junkies als auch Zuschauer, die gerne gute Dokumentationen schauen, glücklich machen.

Bislang heißt es in der ntv-Primetime oft: Rätselhafte Phänomene, Mega-Projekte, Mega-Bauten, Giganten der Geschichten und andere Giganten. Bleiben diese Sendungen?

Wir wollen qualitativ eine Schippe drauflegen und noch besser werden. Das schaffen wir, weil wir die Programmflächen jetzt gemeinsam mit unserem zentralen Programmeinkauf gestalten. Auch im Zusammenspiel mit unserem neuen Angebot RTL+ ergeben sich da ganz viele Möglichkeiten. Wir werden zukünftig deutlich mehr Content produzieren, der dann RTL+ und den Programmen zur Verfügung steht. Durch die neuen Marken, die wir durch die Zusammenführung mit Gruner + Jahr dazugewinnen, werden wir qualitativ und quantitativ noch besser. Und da werden dann sicher auch spannendere Titel herauskommen als die, die Sie gerade genannt haben. Wir wollen die Nummer Eins bei Dokumentationen am Abend werden. Also genau das, was wir bei Nachrichten schon sind.

 

"Der bisherige Wechsel von Dokumentationen hin zu Nachrichten hat oftmals zu einem Austausch des Publikums geführt. Das war vom Audience Flow her nicht optimal und durchgängig genug."

 

Die meisten Programme werden aber auch künftig zugekauft sein, oder?

Anders ist es bei der Masse gar nicht zu machen. Einiges von dem, was derzeit für RTL+ entsteht, wird aber sicherlich auch in der Primetime von ntv zu sehen sein.

Talks um 20:15 Uhr, wie im vergangenen Jahr mit Micky Beisenherz und Louis Klamroth, wird es aber wohl eher nicht mehr geben.

Genau, 20:15 Uhr ist für einen klassischen Talk eine schwierige Uhrzeit. Das hat etwas mit der Sehsituation und der abendlichen Hektik, zwischen Abendessen und Familienprogramm zu tun. Da können und wollen sich viele Menschen nicht auf eine intensive Gesprächssendung einlassen. Das bestätigt auch der Markt, wo Talks zumeist zu einer späteren Uhrzeit gesendet werden. "#beisenherz" mit Micky Beisenherz läuft bei uns nun schon seit einiger Zeit montags nach 23 Uhr und das funktioniert so gut, dass wir es vor Kurzem zu einer wöchentlichen Sendung ausgeweitet haben. Auch die Umbenennung, also die Sendung mit Micky direkt in Verbindung zu bringen, hat sich gelohnt und war ein guter Schachzug.

Wie sehr hat Ihnen der Abgang von Louis Klamroth weh getan? Den hatte ntv ja lange aufgebaut, nun ist er bei der Konkurrenz in Unterföhring und beim ZDF zu sehen.

Klar war das ein Verlust. Aber Louis wollte sich breiter aufstellen, vor allem mit seiner eigenen Produktionsfirma. Aber wir sind auch weiter in gutem Kontakt und ich will nicht ausschließen, dass Louis in der Zukunft bei einem unserer Formate auftauchen wird.

Angesichts der steigenden Infektionszahlen in ganz Deutschland: Welche Regelungen gelten aktuell im RTL-Newsroom? 3G? 2G? 2G+?

Wir lassen maximale Sicherheit für den Sendebetrieb walten. Wir können es uns aufgrund der Situation in den Studios nicht leisten, dass eine gesamte Regie-Crew oder Redaktion in Quarantäne geht. Von daher sind wir extrem vorsichtig. Nur die, die unbedingt da sein müssen, sind aktuell bei uns im Haus vor Ort. Für die Redaktionen gilt überwiegend eine Home-Office-Pflicht, wobei da jeder von sich aus mitmacht, weil alle wissen, wie wichtig das Thema für unsere Sendesicherheit ist. Und für die, die im Haus sind, gilt nun 3G.

 

"RTL Direkt" hat sich stark entwickelt und liefert bereits selbst einen gewissen Einschaltimpuls.

 

RTL Deutschland will seine News-Sendungen bekanntlich umstellen auf reale Studiosets. Geben Sie uns doch bitte einen kurzen Einblick: Wie ist der aktuelle Stand und wann erfolgt die Umstellung?

Wir sind technisch gesehen auf der Zielgeraden. Wenn man in die Studiobaustelle kommt, gibt es schon viel zu sehen und der neue Look wird schon richtig greifbar. Anfang Januar beginnen wir mit den Proben und dann rechne ich damit, dass wir im Frühjahr die erste Sendung live aus dem neuen Studio senden können. Danach geht es dann hoffentlich Schlag auf Schlag. Es werden dann ja gleich mehrere wichtige Erfolgsformate aus einem Studio gesendet und wir werden sehen, mit welchem wir tatsächlich starten. Durch die LED-Wände haben wir ganz andere Möglichkeiten. Optisch werden dadurch komplett neue Reize geschaffen. 

TV-Nachrichten sind ja immer ein Marathonlauf, bei dem man nie ins Ziel kommt. Bei welchem Kilometer steht "RTL Direkt" aktuell?

Wir haben einen kurzen Zwischensprint eingelegt. Wenn Sie auf die Reichweiten im November blicken, sehen Sie, dass wir bei den Marktanteilen der 14- bis 49-Jährigen deutlich vor den "Tagesthemen" und auch dem "heute journal" liegen. Auch bei den 14- bis 59-Jährigen liegen wir vor dem "Tagesthemen" und fast gleichauf mit dem "heute journal". Das haben uns die wenigsten nach drei Monaten zugetraut. Die Sendung hat sich gut entwickelt. Das heißt aber nicht, dass wir schon das Ziel sehen können. Nachrichten sind ein Daily Business, in dem man sich immer wieder neu beweisen muss. Der Wettbewerb in diesem Zeitfenster ist gut und hart, aber mit dem, wie sich die Sendung entwickelt hat und wo sie im November steht, sind wir sehr zufrieden. Um in ihrem Bild zu bleiben: Wir haben beim Marathon zur Spitzengruppe aufgeschlossen und wissen gleichzeitig, dass wir noch sehr viele Kilometer vor uns haben. Deswegen tun wir gut daran mit unserer Kraft hauszuhalten und weiter hart und selbstkritisch zu arbeiten.

Sind die guten Werte im November auf die Stärke der Sendung zurückzuführen oder in erster Linie auf das oft sehr gute Vorprogramm? Oder anders gefragt: Liefert "RTL Direkt" einen Einschaltimpuls?

"RTL Direkt" hat sich stark entwickelt und liefert bereits selbst einen gewissen Einschaltimpuls. Ohne die entsprechende Qualität würden die Zuschauerinnen und Zuschauer abschalten, die sind da gnadenlos. Natürlich ist "Bauer sucht Frau" ein tolles Lead In, aber die Sendung findet ihr eigenes Publikum und die Menschen gewöhnen sich langsam an den neuen Zeitslot. Wir hatten ja bisher um 22:15 Uhr keine Nachrichten, da entsteht aktuell Verlässlichkeit. Das Publikum beginnt Vertrauen aufzubauen, dass bei uns in der späteren Primetime sehr gut gemachte Nachrichten, nah an den Menschen und ihren Themen zu sehen sind. Übrigens Nachrichten, die durch den Talk-Anteil ihren ganz eigenen USP haben.

Herr Schmitter, vielen Dank für das Gespräch!