Herr Tetzlaff, Ihre Eltern waren Musiker. Wie groß waren die Diskussionen, als Sie ihnen offenbart haben, dass Sie zum Fernsehen gehen?

Juri Tetzlaff: Da gab es gar keine Diskussionen. Ich hatte Gesellschaft- und Wirtschaftskommunikation studiert und wollte eigentlich in die Werbung gehen. Ich habe dann hier und da auch Praktika gemacht und auf dem Langnese-Etat und dem Etat von Bauer Joghurt gearbeitet. Irgendwann kam ich nach Hause mit einer großen Mappe von neuen Eissorten, die ich mir ausgedacht hatte. Und als ich das meinen Eltern gezeigt hatte, sind sie aus allen Wolken gefallen. Ich war wochenlang nicht zu erreichen und das alles wegen Eis. Das fanden sie nicht so toll. Als ich dann mit Fernsehen angefangen habe, hatten sie damit gar kein Problem. Sie sind beide Bühnen-Menschen und wissen, dass ich das Rampensau-Gen habe. 

Wie ist es zum Wechsel gekommen? Von der Werbung zum Kinderfernsehen?

Ich habe mich händeringend umgeschaut und wollte was anderes machen. Ich war dann zuerst im Radio in der Marketingabteilung. Und wie das Leben so spielt: Über Umwege habe ich 1994 ein Praktikum bei einer Sendung "X Base - der Computer Future Club" gemacht, produziert von MME. Erst war ich nur Kaffeekocher und Kopierer, später habe ich mich um die Zuschauerbetreuung gekümmert und schließlich war ich Assistent des Chef vom Diensts. Da war ich zuständig für das Warm-Up vor den Sendungen. Dabei bin ich vermutlich positiv aufgefallen (lacht). Als sich der Moderator, damals Niels Ruf, verändern wollte, bin ich in das Casting gegangen und habe es geschafft. So hat es begonnen.

Sie gehörten 1997 zum Team der ersten Stunde des Kika. Jetzt feiern Sie ihr 25-jähriges Jubiläum beim Sender. Muss man für einen solchen Job im Kinderfernsehen ewig jung bleiben?

Das frage ich mich auch (lacht). Und diese Frage begleitet mich tatsächlich schon von Beginn an.

Und haben Sie eine Antwort?

Ich weiß es nicht. Natürlich ändert sich meine Rolle. Früher war ich der große Bruder, dann der verrückte Onkel und jetzt vielleicht der coole Papa. Und in Zukunft möglicherweise der liebenswerte Opa. Tatsache ist, dass ich den Job immer noch wahnsinnig gerne mache. Ich fühle mich in der Zielgruppe sehr zu Hause und ich sehe keinen Anlass, daran etwas zu ändern. Nur, weil man Kinder unterhält und informiert, muss man dafür nicht selbst ein Kind sein. Natürlich wäre es komisch, wenn nur alte Leute Kinderfernsehen machen. Aber so zwei oder drei?

 

"Ich hab das Gefühl, dass es im Programm für die Erwachsenen einen großen Quotendruck gibt."

 

Vorbilder gibt es ja.

Das Beispiel, das da natürlich immer kommt, ist Peter Lustig. Der hat es bis ins hohe Alter gemacht. Aber auch bei der "Maus" gibt es Armin Maiwald und Christoph Biemann. Es gibt also offensichtlich gute Vorbilder, die im Kinderfernsehen präsent sind (lacht).

Es geht im Zweifel ja nicht nur um das Alter, sondern auch um das Mindset. Man muss nah an den Kindern und den Themen, die sie interessieren, sein.

Ich habe schon immer mit Kindern zusammengearbeitet. Schon zu Schulzeiten, als ich bei den Pfadfindern war. Jetzt habe ich selbst zwei Töchter und bin dadurch nah dran. Ich bin schon immer so eine Art Peter-Pan-Typ gewesen. Ich wollte nie erwachsen werden. Dieses kindlich-jugendliche Mindset habe ich im Blut, hoffe ich zumindest. Meine kindliche Neugierde habe ich mir immer beibehalten.

Kindermoderatoren sind oft so gut gelaunt. Ist das nicht auch anstrengend?

Ich glaube, das gehört bei vielen Menschen dazu, die auf der Bühne stehen. Man muss das professionelle Ich von seinem persönlichen teilweise abkoppeln. Was den Kindermoderatoren oft vorgeworfen wird, ist, dass sie manchmal ein wenig "drüber" wirken. Erwachsene empfinden das oft als aufgesetzt. Aber im täglichen Umgang mit Kindern merkt man, dass die diese Art sehr wohl verstehen und goutieren. Wir passen uns ein Stück weit der Sprache der Kinder an, um besser verstanden zu werden. Kinder sind unglaublich aufnahmefähig und schnell, in ihrer Sprache aber oft auch noch limitiert. Das ist immer auch ein Spagat, ich will mich natürlich nicht anbiedern. Die Ansprache ist ein Thema, das mich immer wieder beschäftigt und über das ich nachdenke. Ich will so authentisch sein wie möglich. Grundsätzlich hat sich das Moderieren im Verlauf der Zeit geändert.

Wie genau?

Früher gab es Dieter Thomas Heck. Der war ein Rammbock, der durch die Mattscheibe kam. Heute geht es darum, sich so unverstellt wie möglich zu zeigen. Aber ich hatte natürlich auch Tage, an denen meine Freundin mit mir Schluss gemacht hat, an denen meine Oma gestorben ist oder an denen es sonst ein anderes Problem gab. Und ich stand am nächsten Tag trotzdem freudestrahlend vor der Kamera und habe erzählt, wie schön die Welt ist. Das gehört zu meinem Job dazu. Das fällt mir aber auch gar nicht schwer. Ich bin grundsätzlich eher optimistisch und fröhlich. Das hilft mir dabei, mich in schwierigen Phasen auf dieses Gefühl zurückzubesinnen und glaubwürdig rüberzubringen.

 

"Ich finde nicht, dass Fernsehen für Erwachsene wertiger ist als das für Kinder."

 

Am Ende geht es für Sie ja nicht nur darum, den Kindern zu gefallen. Sie müssen auch die Eltern für sich gewinnen, weil die es im Zweifel sind, die darüber entscheiden, was die Kinder sehen und was nicht, oder?

Genau, es geht auch um die Eltern. Oft sagen mir Eltern, die mich im echten Leben kennenlernen, dass ich genauso sei wie im Fernsehen. Da habe ich aber auch schon ganz andere Meinungen gehört. Auch da muss man einen Spagat schaffen. Ich habe das Gefühl, dass mir das auf der Bühne noch ein bisschen besser gelingt. Weil ich da die Leute vor mir sehe. In einem künstlichen Setting wie das "KiKA-Baumhaus" kann das schon mal abdriften. Die Produktionsbedingungen vom "Baumhaus" sind auch ganz andere. Von der Sendung machen wir 15 Ausgaben am Tag, das ist herausfordernd. Anfangs war ich weniger routiniert, stand deshalb mehr unter Druck und das hat man sicherlich gesehen. Die Sendung selbst steht für Tradition, da machen wir nicht jeden Trend mit. Aber auch wir verändern uns und passen uns an.

Und schauen sich Ihre Töchter Ihre Sendungen an?

Das ist bei meinen Kindern kein Thema. Sie verfolgen eher das, was ich neben Kika so mache. Wenn ich auf Tour bin, sind sie oft mit dabei. Dass ich im Fernsehen zu sehen bin, ist für sie ganz unspektakulär. "Ach, der Papa", war die einzige Reaktion meiner großen Tochter, als sie mich zum ersten Mal gesehen hat. Sie ist inzwischen schon 11 Jahre alt, gehört also nicht mehr zur Zielgruppe des "Baumhaus". Meine kleinere Tochter ist 5, aber auch für sie ist das nichts Besonderes.

Aber wenn Sie Ihre Kinder in die Schule oder den Kindergarten bringen, kommt es doch sicherlich manchmal zu Situationen, in denen Sie erkannt werden. Sei es von den Kindern oder auch den Erwachsenen.

Es gab mal eine Phase, da hat mich meine große Tochter gefragt, warum die Leute immer so gucken. Ich habe dann einfach erklärt, dass mich die Menschen aus dem Fernsehen kennen und sich vermutlich wundern, dass sie mich nun sehen. Das war ihr in der ersten oder zweiten Klasse unangenehm, weil wir wie die bunten Hunde angesehen wurden. Heute ist das nicht mehr so. Die Freundinnen meiner großen Tochter sprechen mich darauf auch kaum an und lassen es sich nicht anmerken. Wenn ich in den Kindergarten komme, gibt es natürlich immer drei oder vier Kinder, die mich auf die Sendung des Vortages ansprechen.

 

"Nur, weil man Kinder unterhält und informiert, muss man dafür nicht selbst ein Kind sein."

 

Oft ist es ja noch immer so, dass Eltern seltsam angesehen werden, wenn ihre Kinder vermeintlich viel Fernsehen schauen.

Ich dachte auch lange, Fernsehen macht blöd wenn man zu viel guckt. Aber ich habe Leute kennengelernt, die früher totale TV-Junkies waren. Und heute sind sie geniale, kreative Köpfe. Es kommt immer drauf an, was man daraus macht. Wenn einen das Fernsehen in eine Lethargie und Passivität verfallen lässt und man zum Couchpotatoe wird, der nur bräsig durch das Programm zappt, ist es blöd. Aber wer das Fernsehen als Inspiration nimmt und als Fundus für Geschichten, die man dann adaptiert und für sich selbst zusammenbaut, ist es kreativ und belebend.

Sie haben eben schon darüber gesprochen, was sich in den letzten 25 Jahren verändert hat. Was ist heute noch anders?

Das Angebot ist viel größer als 1997, Social Media hat die Fernsehwelt verändert. Das Fernsehen ist bei den Kindern nicht mehr unumstößlich die erste Wahl, es ist eins von mehreren Medien. Da muss man gefunden werden. Auch die Ansprache hat sich verändert. Darüber denken wir natürlich nach. Wie setzen wir das für unsere Zielgruppen um, wie sprechen wir mit den Kindern? Eine Qualität des "Kika-Baumhauses" ist es, dass wir dort sehr behutsam entscheiden und nichts Hals über Kopf machen.

Wollten Sie während Ihrer Karriere eigentlich auch mal was anderes machen? Außerhalb des Kinderfernsehens?

Also eigentlich… (überlegt). Nein (lacht). Ich moderiere mit Singa und Matondo im Wechsel das "Kika-Baumhaus", aber das ist ja nur ein Teil von dem, was ich sonst noch so mache. Ich schreibe Drehbücher, führe Regie. Ich habe Bühnenprogramme und spiele Klassik-Konzerte. Ich bin da total erfüllt und habe das Gefühl, nur Dinge zu machen, die mich begeistern. Mit meiner Zielgruppe und dem Platz, den ich da habe, bin ich sehr zufrieden. Ich habe nie gedacht, dass das Kinderfernsehen mein Trittbrett ist für irgendwas. Ich finde auch nicht, dass Fernsehen für Erwachsene wertiger ist als das für Kinder. Kinderfernsehen ist eine total wichtige und schöne Sache. Das Tolle ist: Da können wir alles machen.

 

"Der Kuchen ist groß genug, es ist für alle ein Stück da."

 

Woanders nicht?

Ich hab das Gefühl, dass es im Programm für die Erwachsenen einen großen Quotendruck gibt. Alles muss irgendwie passen und alle sind wahnsinnig kritisch. Im Kinderfernsehen gibt es mehr Freiheiten und Möglichkeiten. Ich habe Shows und Magazine moderiert und daneben auch noch gesungen, getanzt und geschauspielert. Ich habe mich kreativ ausgetobt. Alles, was man beim Fernsehen machen kann, habe ich gemacht. Beim Erwachsenenfernsehen hätte ich mich wahrscheinlich auf einen Bereich festlegen müssen.

Es gibt nicht viele Moderatorinnen und Moderatoren, die seit so langer Zeit im Kinderfernsehen aktiv sind. Mit Singa Gätgens haben Sie schon früher zusammengearbeitet, Beni Weber vom Disney Channel ist auch schon lange dabei. Wie ist das Verhältnis untereinander? Und wie groß der Konkurrenzdruck?

Es gibt null Konkurrenzdruck. Wie lieben uns, mit Singa bin ich auch privat sehr gut befreundet. Wir haben uns über die 25 Jahre schätzen gelernt. Grundsätzlich würde ich sagen: Man kennt sich. Früher hatten wir alle noch mehr miteinander zu tun, da gab es noch mehr Off-Air-Veranstaltungen. Da waren viele Nasen aus dem Kinderfernsehen dabei. Das hat sich mittlerweile aufgelöst, weil es nicht mehr so viele gemeinsame Termine gibt. Bei einzelnen Großveranstaltungen trifft man sich aber immer noch ab und zu. Ich kann mir vorstellen, dass auch das ein Unterschied ist zum Fernsehen, das sich an Erwachsene richtet. Ich habe das Gefühl, dass wir eine Familie sind. Der Kuchen ist groß genug, es ist für alle ein Stück da. Da ist der Konkurrenzkampf woanders sicher stärker.

Und welches Eis würden Sie heute erfinden?

Ich liebe Eis! Und ich mag es, wenn es groß und bunt ist. Wenn ich also heute ein Eis erfinden würde, wäre das süß, sauer und scharf gleichzeitig. Das gesamte Geschmacksuniversum geballt an einem Stiel. Das Ding ist ja, dass man in der Werbung ein Eis erfinden muss, das die Leute auch haben wollen. Bei dem was ich jetzt mache habe ich das Gefühl, dass ich mir einfach ein Eis zusammenstellen kann, das ganz verrückt ist. Der Kreativität und Fantasie sind im Kinderfernsehen keine Grenzen gesetzt.

Herr Tetzlaff, vielen Dank für das Gespräch!