Frau Hess, den eigenen Roman zu adaptieren – ist das leichter oder schwieriger als ein Original-Drehbuch zu schreiben?

Annette Hess: Von der Dramaturgie und der Figurenführung her war mein Roman schon drehbuchartig angelegt. Wer den liest, merkt sofort: Die kommt vom Fernsehen. Insofern habe ich mir quasi selbst eine Steilvorlage geliefert. Das Tolle daran war, dass ich mit etwas Abstand an manchen Stellen gemerkt habe: Das geht noch besser.

Vermutlich mussten Sie für die Serienfassung so manches streichen.

Hess: Besonders traurig war ich darüber, dass der Dackel Purzel nicht funktioniert hat. Im Buch steht er für das Klischee der deutschen Biedermannfamilie. Für die Serie haben wir etliche Dackel gecastet, aber leider den falschen ausgewählt. Als es beim Dreh drauf ankam, hat er schlicht gar nichts gemacht. Nicht mal an der Leine konnte man ihn hin- und herführen. Da musste ich ihn kurzfristig aus den Drehbüchern rausschreiben, was schade war, weil er Ansprechpartner in mehreren Dialogszenen gewesen wäre.

Ursprünglich waren Sie gegen eine Verfilmung von "Deutsches Haus".

Hess: Absolut. Ich habe es genossen, dass Tausende verschiedener Filme in den Köpfen der Leserinnen und Leser entstehen. Eigentlich war ich ziemlich vehement in meiner Ansage: Niemals wird eine Serie daraus!

Bis dann Sabine de Mardt kam...

Sabine de Mardt: Ich habe das Buch in die Hand genommen, weil ich ja wusste, wie Annette schreibt. Schon beim ersten Lesen hatte ich die Verfilmung im Kopf. Die Szenen sind so plastisch und lebendig – das schrie förmlich danach, verfilmt zu werden. Von der Relevanz des historischen Kontextes mal ganz abgesehen.

Hess: Sabine und ich kennen uns seit über zehn Jahren und wir wollten schon lange etwas zusammen machen. Mich hat das Argument überzeugt, dass dieses Thema – der Umgang mit unserer Vergangenheit und historischen Verantwortung – ein größeres Publikum bekommen sollte. Als wir vor vier Jahren mit der Planung begannen, war die politische Lage ja fast noch harmlos im Vergleich zu heute, aber es ging schon erkennbar in Richtung Polarisierung, Fremdenhass und AfD-Zugewinne.

de Mardt: Letztlich war es ein kurzer Entschluss, weil es emotional zwischen uns passte. Wir haben nicht lange überlegt, wie die konkrete Umsetzung aussehen könnte, und Annette hat auch keinen Produzentenwettbewerb daraus gemacht, was bei einem solchen Bestseller ja ihr gutes Recht gewesen wäre.

Hess: Während der Dreharbeiten kamen ständig alle Leute zu mir, von der Schauspielerin bis zur Kostümbildnerin: Hast du dir das so vorgestellt, Annette? Das hat mir mal wieder gezeigt, dass die Ehrfurcht vor einem Roman immer noch größer ist als vor einer Serie – was die Serienautorin in mir grundsätzlich nervt, aber im konkreten Fall eine wunderbare Erfahrung in puncto Wertschätzung für mein Werk war.

 

Man fängt unwillkürlich an, darüber nachzudenken: Wie war das damals in meiner Familie?
Sabine de Mardt

 

"Deutsches Haus" vermittelt das unfassbare Grauen von Auschwitz durch die Augen der jungen Gerichtsdolmetscherin Eva Bruhns, die im Strafprozess gegen ehemalige SS-Offiziere erstmals damit konfrontiert wird. Kann eine solche Serie auch bei jenen etwas bewirken, die Antisemitismus und Holocaust-Relativierung nicht ohehin schon klar ablehnen?

de Mardt: Ich glaube schon. Wer sich auf die Erzählung einlässt, wird viel mehr erleben als bloßes Aufklären und Erinnern an das, was nie wieder passieren darf. Ein wesentlicher Aspekt, der sich durch die Serie zieht, sind die systemischen Traumata, die sich über Generationen hinweg fortsetzen. Man fängt unwillkürlich an, darüber nachzudenken: Wie war das damals in meiner Familie? Was haben meine Eltern, Großeltern, Urgroßeltern getan? Und welchen Einfluss – auch unterbewust – hat das bis heute auf mich selbst? Genau solche Traumata brechen ja gerade in vielen Menschen auf, wenn sie den Krieg und das Leid in der Ukraine oder im Nahen Osten sehen. Das ist ein sehr persönlicher Zugang, der sich ansonsten wahnsinnig schwer verbalisieren lässt und den keine abstrakte Geschichtsstunde liefern kann.

Hess: Ich bilde mir nicht ein, mit Fiction Wunder vollbringen zu können. Aber ich kann vielleicht einen kleinen Beitrag leisten. Denn das einzige, was helfen kann, ist doch die Aufarbeitung: immer wieder drüber sprechen, immer wieder den Finger in die Wunde legen. Sonst kann man diese Traumata nicht auflösen, die sich von Generation zu Generation vererben. Das erleben wir doch gerade wieder auf schrecklichste Weise in Israel und Palästina. Wir stehen fassungslos davor mit scheinbar widersprüchlichen Gefühlen. Als Deutsche aus der Enkelgeneration – mein Opa war Polizist in Polen und damit Täter – kann ich mich nur gegen jeden Antisemitismus solidarisieren. Gleichzeitig ist es eine Vollkatastrophe, wie unschuldige palästinensische Zivilisten bombardiert werden. Ich glaube, man kann das beides gleichermaßen empfinden. Damals wie heute ruht die Hoffnung darauf, dass vor allem die junge Generation Fragen stellt statt zu schweigen.

 

Ganz ehrlich: Ich finde diese Geheimniskrämerei der Streamer ätzend.
Annette Hess

 

Ist bei Disney+ – zwischen Marvel und "Star Wars" – der richtige Ort dafür?

de Mardt: Eine so populäre Entertainment-Marke an unserer Seite zu haben, finde ich gerade für das Anliegen ideal. Disney war von Anfang an unser Wunschpartner und Hauptadressat. Wir wussten, dass das deutsche Team nach relevanten Stoffen suchte. Und tatsächlich fiel die Entscheidung für "Deutsches Haus" dort sehr schnell. Das war uns auch deshalb so wichtig, weil wir unser Momentum nicht verlieren wollten. Ein öffentlich-rechtlicher Sender hätte eine komplexe Finanzierung mit Förderung und Vorverkäufen aus dem Weltvertrieb nach sich gezogen. So brauchte es nur eine Unterschrift – und wir konnten loslegen. Da Annettes Roman auch international ein Bestseller war, möchten wir unsere Serie gern der ganzen Welt zeigen. Auch dieser Aspekt spricht für Disney+ als ideale Plattform.

Was die Abwägung zwischen hoher linearer TV-Reichweite und internationalem Streaming-Launch angeht, können Sie ja aus eigener Anschauung vergleichen, Frau Hess. Wie hat sich "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" bei Prime Video im Vergleich zu "Weissensee" und "Kudamm" bei ARD und ZDF für Sie angefühlt?

Hess: Beides hat seine Vor- und Nachteile. Die Maschinerie drumherum, die globale Plattformen sowohl für Produktion als auch Vermarktung auffahren, ist wirklich großartig. So ein Big Bang in vielen Ländern gleichzeitig fühlt sich toll an. Andererseits bleibt die Rezeption völlig dubios. Ich bin eben eine alte TV-Häsin, die morgens um 7 anfängt, aufs Handy zu gucken, wenn am Abend vorher was von mir gelaufen ist. Wenn sich bis 8 noch niemand vom Sender gemeldet hat, weißt du, die Quote war nicht so prickelnd – dann kommt erst um halb 10 die Nachricht: "Wir waren immerhin in unserer Zeitschiene Marktführer." Damit sind konkrete Zahlen verbunden, an denen ich mich festhalten kann. Bei "Bahnhof Zoo" musste ich mir in Reviews und Social-Media-Kommentaren zusammensuchen, wie das wohl bei den Leuten ankommt. Ganz ehrlich: Ich finde diese Geheimniskrämerei der Streamer ätzend. Das ist so, als ob man jahrelang für den 100-Meter-Lauf trainiert, nach dem Rennen aber seine Zeit nicht gesagt bekommt, sondern an den Gesichtern der Umstehenden ablesen muss, ob man eher gut oder eher schlecht war.

Sind zwischen Ihnen beiden noch weitere Zusammenarbeiten geplant?

Hess: Es wäre ja absurd, eine solch beglückende Zusammenarbeit nicht fortzuführen.

de Mardt: Das sehe ich genauso.

Frau Hess, Frau de Mardt, herzlichen Dank für das Gespräch.

"Deutsches Haus" ist ab Mittwoch auf Disney+ zu sehen.