Frau Holzner, ist die journalistische Qualität des HR in Gefahr?
Gabriele Holzner: Nein, die journalistische Qualität des HR ist nicht in Gefahr.
Ich frage, weil der Redaktionsausschuss des HR vor einem solchen Szenario ziemlich eindringlich warnt. Hinzu kam ein Offener Brief, den mehr als 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschrieben haben. Was liegt da im Argen?
Es liegt nichts im Argen. Wir reden über die Zukunft und darüber, was wir tun müssen, damit wir mit den Mitteln, die wir zur Verfügung haben, auskommen. Die Einnahmeseite können wir nicht beliebig verändern. Wir haben bestimmte Gelder zur Verfügung und damit müssen wir unseren Auftrag erfüllen. Ein Kern unseres Auftrages ist die regionale Berichterstattung. Unser Job ist es, aus Hessen über Hessen und für Hessen zu berichten. Und da besteht keine Gefahr für die journalistische Qualität.
Und trotzdem regt sich Widerstand, weil es ausgerechnet im Programmbereich Hessen-Information zu großen Verschiebungen kommen soll, die vor allem zulasten des Hörfunks gehen werden.
Die Hessen-Information hat regionale Aktualität als Aufgabe und das über alle Ausspielwege hinweg. Darauf wollen wir uns konzentrieren. Manche Themen fallen nicht in den Fokus der regionalen Aktualität, sondern sind eher von zeitloser Schönheit. Es geht jetzt darum zu prüfen, was regionale Aktualität ist - und vor allem was nicht. Wir müssen genauer sein bei der Frage: Was ist wirklich wichtig?
Machen wir es doch konkret: Der Programmbereich Hessen-Information hat ein gewisses Budget. Werden Sie da im kommenden Jahr sparen müssen, also weniger Geld zur Verfügung haben?
Wir kürzen nicht einen Euro im Budget der Hessen-Information. Der Etat bleibt erhalten und wahrscheinlich stocken wir ihn noch ein wenig auf, aber da sind wir noch mitten im Prozess. Der Offene Brief, den Sie angesprochen haben, enthielt eine ganze Reihe von Falschinformationen, die auch deshalb falsch sind, weil wir seit Wochen mit den verschiedenen Redaktionen und betroffenen Bereichen in Gesprächen sind. Es ist nicht schwarz und auch nicht weiß, da gibt es viele Grautöne. Wenn ein Unternehmen in einem solchen Transformationsprozess steckt, klappt nicht alles. Aber noch einmal: Es geht nicht darum zu sparen, ich mache das gerne an einem Beispiel deutlich.
Bitte.
Die Hessen-Information hat in der Vergangenheit zum Beispiel darüber berichtet, wie man Geranien winterfest machen kann. Da gibt es sicher Menschen, die sich dafür interessieren und ich will das Thema überhaupt nicht klein machen. Aber wenn man genauer hinschaut, muss man sich die Frage stellen, ob das ein hessisches und aktuelles Thema ist. Meine Antwort ist: Nein. Wenn die Hessen-Information diesen Beitrag für die ein oder andere Welle, die das bestellt hat, nicht macht, dann ist mir natürlich bewusst, dass dieser Beitrag in dem Programm fehlt. Aber: Das gehört nicht zur regionalen Aktualität. Vielleicht sind die Geranien in Hessen nicht so anders als in NRW und Bayern. Bei manchen Themen kann man sich möglicherweise also anders behelfen.
In dem Offenen Brief wurden 1.000 Reportertage in den Raum gestellt, die es künftig nicht mehr geben soll.
Das ist eine heruntergebrochene Größenordnung. Das sind keine festen Reportertage, sondern vielleicht 1.000 Beiträge, die wir ab dem kommenden Jahr nicht mehr machen können. Das sind zwei bis drei pro Tag. Täglich sind für die Hessen-Information etwas mehr als 60 Reporterinnen und Reporter im Einsatz und die werden künftig nicht weniger beschäftigt, im Gegenteil. Wir haben auch gerade durch die Regionalisierung in drei Wellen die Themenvielfalt erhöht. Im Digitalen haben wir die Situation, dass wir eigentlich mehr Kapazitäten bräuchten. Hier soll es Umschichtungen geben. In diesem Fall: Weniger lineare Hörfunk-Berichterstattung und das auch bevorzugt bei solchen Themen, die hoffentlich niemandem fehlen werden. Und dafür mehr Einsätze und Themen im Digitalen, damit so andere Zielgruppen auch regionale Infos bekommen. Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir bei den Reporterinnen und Reporter, die täglich in Hessen unterwegs sind, kürzen würden. Das ist unsere DNA und die Überlebensgarantie des HR.
Haben die Reporterinnen und Reporter des HR bislang also wirklich so viele zeitlose Themen ohne echten Hessen-Bezug gemacht, die man jetzt ganz einfach streichen kann, weil sie möglicherweise auch von anderen Anstalten übernommen werden können?
Mich stört der Begriff streichen. Ich rede lieber von fokussieren, aber am Ende haben Sie recht. Fokussieren oder Umschichten bedeutet, dass bestimmte Dinge nicht mehr gemacht werden. Das wird als streichen empfunden, vor allem bei den Personen, die es direkt betrifft und die dieser Arbeit vorher mit viel Leidenschaft nachgegangen sind. Aber die Herausforderung für uns ist, mit einem Rundfunkbeitrag klarzukommen, der womöglich auch in den nächsten Jahren nicht enorm steigen wird. Da müssen wir uns einfach auf die Bereiche fokussieren, die wichtig sind. Wir bemühen uns sehr genau hinzuschauen und wollen nichts streichen, was uns später leid tut. Wenn wir im Fernsehen ein Ratgeber-Thema haben, muss das zum Beispiel nicht noch einmal durch eine andere Abteilung im Haus völlig neu recherchiert werden, wenn die O-Töne und andere Inhalte schon vorliegen und auch für die Radiowellen grundsätzlich zur Verfügung stehen.
Der Offene Brief enthielt eine ganze Reihe von Falschinformationen.
Heißt das im Umkehrschluss: Bislang war das Vorgehen viel zu aufgebläht, unkoordiniert und schlicht falsch?
Wir haben lange Zeit nicht so sehr auf die Synergien geschaut, weil der Fokus die linearen Sendeplätze in Radio und Fernsehen waren, das hat sich verändert. Eine Geschichte, die recherchiert ist, wird bitte nicht ein zweites Mal unabhängig davon nochmal angegangen. Das ist nicht sinnvoll und wir können uns das auch nicht mehr leisten. Am Ende, und da muss man sich ehrlich machen, bedeutet das, dass die Gesamtzahl der Beiträge, die im HR gemacht wird, in der Zukunft geringer sein wird. Aber eben auch, weil wir Dinge nicht mehr doppelt und dreifach machen
Wie sieht die Zukunft für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konkret aus?
Wir haben klar gemacht, dass auch die jetzt betroffenen, freien Mitarbeitenden ihre Beschäftigung behalten können. Zum Teil sind sie in Tarifverträgen, die ihnen eine Beschäftigungszusicherung geben. Daran fühlen wir uns gebunden. Was wir aber nicht garantieren können ist, dass diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter künftig noch genau dasselbe machen wie bislang. Vielleicht werden sie künftig im Digitalen eingesetzt. Wir bieten intern einige Weiterbildungsmaßnahmen an. Und wer bereit ist, sich ein gewisses Maß an Know-How draufzuschaffen, muss keine Angst davor haben, nicht genügend qualifiziert zu sein. Die meisten tun das übrigens auch.
Wie weit sind Sie in den Gesprächen zur künftigen Höhe des Etats der Hessen-Unit? Wann ist mit einer Entscheidung zu einer möglichen Erhöhung zu rechnen?
Ende der vergangenen Woche ist unser Haushalt von den Gremien genehmigt worden. Auf den unteren Eben sind wir flexibel und da prüfe ich aktuell noch mit dem Controlling, ob wir kleinere Verschiebungen zugunsten der Hessen-Information durchführen können - so wie übrigens schon in den letzten Jahren. Allerdings nicht um den Preis, dass wir damit die linearen Ausspielwege stärken. Wir müssen dezidiert die digitalen Kanäle stärken. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wenn wir das machen sollten, fehlt dieses Geld woanders. Und dort hat das Geld auch für Beschäftigung gesorgt, es ist also ein weiteres Umschichten. Es wird also möglicherweise eine andere Person betroffen sein, die dann unter Umständen nicht mehr das machen kann, was er oder sie bislang sehr gerne getan hat.
Eine Geschichte, die recherchiert ist, wird bitte nicht ein zweites Mal unabhängig davon nochmal angegangen. Das ist nicht sinnvoll und wir können uns das auch nicht mehr leisten.
Bei der ganzen Aufregung im Haus: Haben Sie die Belegschaft in der Sache richtig mitgenommen? Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fühlen sich ja offenbar nicht gut abgeholt und mir erscheint der Unmut der HR-Belegschaft im ARD-Vergleich besonders hoch.
Nein, da widerspreche ich energisch. Wir befinden uns seit Ende September in den entsprechenden Gesprächen. Und nachdem zunächst zwei Monate lang niemand aufgeschrien hat, kam Anfang Dezember dieser Offene Brief und danach die Stellungnahme des Redaktionsausschusses. Es ist aber auch völlig normal, dass einzelne Reporterinnen und Reporter einen Schreck bekommen, wenn von bestimmter Seite falsch zugespitzt wird. Gewerkschaften haben eine andere Perspektive und es ist auch völlig in Ordnung, dass sie diese haben. Wenn in einem Offenen Brief nur etwas ganz anderes steht als von den Führungskräften zuvor kommuniziert wurde, gibt es Irritationen. Das ist passiert.
Aber es sind doch nicht einzelne Personen, die aufgeschreckt sind. Der Offene Brief ist von mehr als 300 Mitarbeitenden unterzeichnet worden, teilweise auch von Führungspersonen.
Offene Briefe werden auch aus Solidarität unterzeichnet, auch von Menschen, die gar nicht betroffen sind. Ich will das gar nicht kritisieren, weil ich das für normal halte. Wir verändern so viel hier im HR und natürlich treibt das die Belegschaft um. Aber deshalb machen wir uns den Aufwand, um in vielen Runden ins Gespräch zu gehen. Wir haben vor und nach dem Offenen Brief Gesprächsrunden gemacht und versucht, die Themen möglichst transparent zu diskutieren.
Nachdem zunächst zwei Monate lang niemand aufgeschrien hat, kam Anfang Dezember dieser Offene Brief und danach die Stellungnahme des Redaktionsausschusses.
Also in der Kommunikation alles richtig gemacht und beim Offenen Brief war es der Herdentrieb?
Ich will das nicht kleinreden. Ich verstehe die Unruhe und die ist bei uns groß. Wir müssen sehr intensiv erklären und das auch immer wieder tun. Da machen wir sicherlich Fehler und können in der Kommunikation besser werden. Das wird aber nicht dazu führen, dass alle Kolleginnen und Kollegen die Veränderungen großartig finden. Wir müssen etwas weglassen. Wenn ich aber genau das bislang mit Herzblut und Engagement gemacht habe, fällt mir das schwer. Mir persönlich fällt es auch schwer, weil ich Dinge weglassen muss, die ich eigentlich sehr gerne tue.
Zum Beispiel?
Ich kann mich viel weniger ganz direkt ums Programm kümmern, zum Beispiel den Tatort abnehmen, weil es ganz viel ums Umschichten und Einsparen geht. Ich kümmere mich natürlich viel lieber ums Programm und ich bin vor vielen Jahren mal aus tiefster Überzeugung Journalistin geworden.
Sie hören Ende des kommenden Jahres vorzeitig als Programmdirektorin auf. Erklärt haben Sie das auch mit den Veränderungsprozessen, die Ihnen Kraft gekostet haben. Meinten Sie damit genau solche Prozesse wie den aktuellen, die zu Kritik führen, bei denen Sie sich erklären müssen und durch die Sie weniger Zeit für das HR-Programm haben?
Es ist ein Teil dessen, was ich meinte. Ich bin seit 2016 zunächst Fernseh- und dann Programmdirektorin des HR. Das ist eine große Direktion und ich habe viel verändert. Nach so vielen Jahren tut es einem Unternehmen gut, wenn jemand mit neuen Perspektiven die Veränderungen vorantreibt. Nach so vielen Jahren in verantwortungsvoller Position habe ich ein bestimmtes Schild auf der Stirn, ob ich das will oder nicht. An manchen Stellen kann ich sagen, was ich will, das wird immer in einem bestimmten Zusammenhang gesetzt. Das ist völlig normal, aber es ist eben auch gut, da für eine Veränderung für die nächsten Etappen zu sorgen. Die Jahre haben mich ganz persönlich viel Kraft gekostet und es soll ja auch noch ein Leben außerhalb des HR geben.
Frau Holzner, vielen Dank für das Gespräch!