Zuerst einmal ist „Borgen“ ein großer Erfolg für die dänische Namenskultur. Seit die 30 Folgen der bislang produzierten drei Staffeln bei Arte liefen, haben Birgitte, Kasper, Katrine, Pernille und Troels einen anderen Klang hierzulande. Selbst der Name Torben taugt nicht länger nur als Futter für Kabarettisten, die Latte-Macchiato-Mütter anhand der Rufe nach ihren Sprösslingen hops nehmen wollen.

Das ermöglicht dem deutschen Zuschauer die nötige Distanz, die er braucht, um sich nicht allzu sehr gemein machen zu müssen, mit einem audiovisuellen Produkt. Stammt das nämlich zu offensichtlich aus dem Nahbereich, besteht die Gefahr der Gewöhnlichkeit. Oder hat irgendwer eine andere Erklärung dafür, dass wir englische Hits auch mit furchtbar simplen Texten toll finden, bei deutschen Versionen aber furchtbar kritisch reagieren? Die deutschen Texte lassen sich halt schwerer ignorieren. Bei englischen Texten lässt sich ein sehr simpler Sinn leichter ausblenden.

Aber es geht natürlich bei „Borgen“ nicht in erster Linie um die dänischen Namen. Es geht um das, was passiert in der Regierung. Birgitte Nyborg ist die Premierministerin, Kasper Jul ihr Spindoctor, Katrine Fønsmark eine erfolgreiche Journalistin, die immer wieder mal etwas mit dem Spindoctor hat, und dann ist da noch der böse Michael vom Boulevardblatt „Ekspress“, der windige TV-Mann Torben, der beim kleinsten Lüftchen Populismus-Rheuma kriegt, und, und, und...

Im Prinzip folgt „Borgen“ demselben Spin wie auch „West Wing“ oder „House Of Cards“. Es geht um die Geschäfte der Regierung und die dahinter liegenden Privatzwiste. Nur dass hier eben nicht der Stab des Präsidenten im Mittelpunkt steht und immer wieder endlose Gänge durch endlose Büroflure absolviert werden müssen ("West Wing)". Es geht auch nicht um einen einzelnen Gegenspieler, der subversiv das ganze System aufmischen will ("House Of Cards"), bei „Borgen“ geht es um die Frau an der Spitze. Die heißt Birgitte Nyborg und muss durch alle tiefen Täler, die das Politikerleben so vorhält.

„Borgen“ erzählt ihre Geschichte und vermengt sie mit der ihres Spindoctors und der einer Journalistin. Die drei bilden den Hauptcast, ihre andauernden Probleme, Niederlagen und Siege sind die Story, der Rest ist Beiwerk.

Das macht es einfach, den Geschichten zu folgen, wobei zusätzlich hilfreich ist, dass es pro Folge einen sauber konstruierten Spannungsbogen gibt. Problem tut sich auf, Problem wird schlimmer, Problem wird noch schlimmer, Problem wird gelöst. Oder eben nicht. Nicht gelöste Probleme finden Eingang in die dauerhafte Erzählung.

Das, was „Borgen“ so faszinierend macht, ist die streckenweise übersimple Einführung in die Mechanismen der Politik. „Was kriegen wir dafür“, fragen nicht nur die von den anderen Parteien, es ist die offenbar jeder Politik zugrunde liegende Forderung nach mehr. Selbst wenn man als Politiker zur besseren Einsicht gelangt, heißt das noch lange nicht, dass man es gleich zugibt. „Das lassen wir uns von den anderen abkaufen“, sagen Akteure dann gerne, und das schimmert auch bei „Borgen“ deutlich durch.

„Borgen“ dekliniert dieses Thema am Schicksal der Premierministerin bis ins Kleinste durch. Der Zuschauer erlebt, wie die Hauptfigur zwischen Moral und Macht, zwischen Beruf und Familie, zwischen Recht und Notwendigkeit gespannt wird, wie sie förmlich zerrissen wird von den Anforderungen, wie die Zwänge des Amtes sie und ihr Leben verändern. Der Schwerpunkt bleibt bei ihr, auch wenn sie sich verändert und dies lange Zeit nicht unbedingt zum Besseren geschieht.

„Borgen“ ist vor allem deshalb eine so tolle Serie, weil es ihr gelingt, die Komplikationen des politischen Geschehens mit Unterhaltsamkeit zu mischen. Hier hebt niemand in „Lindenstraße“-Manier plump den Zeigefinger, es werden die Geschichten immer als zwangsläufig erzählt, und gerade das ergibt so viel Erkenntnis, dass „Borgen“ mehr über Politik auszusagen weiß als manche Dokumentation.

Dem liegen eine hochwertige Produktion und großartige Schauspielerleistungen zugrunde, vor allem aber traumhafte Drehbücher, die höchst selten schwächeln. Natürlich gibt es das auch, dass die Serie ihren geraden Weg verlässt und allzu sehr streunt im Schicksalsdschungel von Nebenfiguren. Immer dann ist „Borgen“ schwach. Aber in der Regel dauert so etwas nur kurz, und dann geht es wieder zurück auf den rechten Weg.

Natürlich hat der Erfolg auch damit zu tun, dass die Premierministerin und ihr Spindoctor attraktive Figuren mit Tiefgang sind. Kaum vorstellbar, solche Geschichten mit Angela Merkel und Steffen Seibert zu erzählen. Huh! Gruselige Vorstellung. Und dann noch der Gedanke, dass ein Sechs-Millionen-Einwohner-Land wie Dänemark so etwas hinkriegt und Deutschland nicht einmal im Ansatz…

Dass „Borgen“ bei aller Qualität keine massentaugliche Serie ist, zeigt sich sehr schön am aktuellen Verhalten von Einsfestival. Der vom WDR gerne so hochgelobte Digitalkanal hat die Serie jüngst mit dem vollmundigen Versprechen ins Programm genommen, alle 30 Folgen zu wiederholen. Kurz vor Schluss der zweiten Staffel wurden die ursprünglich auf 20.15 Uhr programmierten Folgen dann kommentarlos in die Zeit nach Mitternacht verschoben. Man hatte sich eine andere Serie als Erstausstrahlung für die Prime Time gesichert, und da wird halt das gestern noch vollmundig formulierte Versprechen mal eben gebrochen.

Und als wäre dieses lieblose Verhalten nicht Skandal genug, verschwand die Serie dann nach Ende der zweiten Staffel komplett aus dem Programm. Vielleicht werde man sie im Herbst bringen, heißt es aus dem WDR. Aber vielleicht wiederhole man dann erst noch einmal die zweite Staffel. Wieso nicht auch die erste? Nichts Genaues weiß man nicht. Besser kann man die Überflüssigkeit von Einsfestival wohl kaum dokumentieren. Einen Sender, bei dem Anspruch und Praxis derart auseinander klaffen, braucht kein Mensch.

Auch das ist eine Erkenntnis, die „Borgen“ so ganz nebenbei zu Tage gefördert hat. „Borgen“ macht klüger. In jeder Hinsicht.