Nach einem ausführlichen Impuls von Dr. Nils Kumkar, Soziologe an der Universität Bremen zum Thema alternative Realitäten und wortreicher Moderation von Richard Gutjahr blieb dem Abschluss-Panel der Medientage München am Freitagnachmittag weniger Zeit als gedacht zur Diskussion. Und doch brachte der Journalism Summit unter dem Titel „Reality Under Construction – Qualitätsjournalismus zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ einige Erkenntnisse, allen voran einen sehr selbstkritischen Ansatz aller Beteiligten hervor. Dabei waren Justus von Daniels (Chefredakteur Correctiv), Natascha Strobl (Politikwissenschaftlerin und Publizistin), Sonja Schwetje (Programmgeschäftsführerin n-tv), Dr. Gregor Peter Schmitz (Chefredakteur „Stern“) und - kaum zu Wort gekommen aber anwesend - Helge Fuhst, zweiter Chefredakteur ARD Aktuell.
Es ging - Stichwort Selbstreflexion - um gemachte Fehler - in der Berichterstattung einerseits, viel mehr aber beim Irrglauben über Social Media die Themen identifizieren zu können, die die Menschen wirklich beschäftigen. Deshalb sei echter Dialog wichtig, durchaus auch eine bewusste Schaffung von „analogen Räumen“, also Gelegenheit zum Aufeinandertreffen und Austauschen. Um ein Gefühl von Gemeinschaft zu stärken und das Vertrauen in die Medien zu fördern. Ob nun mit Klappstuhl aufm Marktplatz, wie es Correctiv ausprobiert oder durch Tage der offenen Tür, ob bei n-tv, dem „Stern“ oder ARD-Aktuell.
Echter Dialog auch deshalb, weil Kommentarfunktionen im Internet sich nicht als tauglich erwiesen haben und immer häufiger abgeschafft werden, wie auch n-tv-Programmgeschäftsführerin Sonja Schwetje berichtet. Eine offene Kommunikation über die eigenen Prozesse könne aber das Vertrauen der Nutzer stärken. Medien sollten transparent machen, wie sie arbeiten und welche Standards sie einhalten. Dies umfasst auch die Erklärung, wie Informationen verifiziert werden und welche Herausforderungen bei der Berichterstattung bestehen, so Schwetje.
Das erlebe das Team der „Tagesthemen“ seit der Einführung der Rubrik „Mittendrin“ regelmäßig vor Ort. Nicht nur schaffe es im Programm Sichtbarkeit für eine Vielzahl von regionalen Themen, sondern bei der Arbeit vor Ort könne man regelmäßig beweisen, wie unvoreingenommen und offen man journalistisch arbeite und schaffe vor Ort Beitrag für Beitrag Vertrauen, berichtet Helge Fuhst. Transparenz im Nachrichtenbetrieb um Vertrauen zurück zu gewinnen, weil sich viele Menschen in der Gesellschaft vom Journalismus nicht gesehen fühlen. Auch aufgrund der Themenwahl von Medien.
Aus Angst in die rechte Ecke gestellt zu werden, seien möglicherweise manche drängenden Fragen zu großen Themen von Journalistinnen und Journalisten aus Vorsicht nicht angegangen worden, reflektiert „Stern“-Chef Gregor Peter Schmitz bei den Medientagen München. Medien müssten sich der Verantwortung bewusst sein, was sie berichten und wie sie dies tun. Es ist wichtig, die Auswahl der Themen und die Art der Berichterstattung zu reflektieren, um sicherzustellen, dass sie die Vielfalt der Meinungen und Sorgen in der Gesellschaft angemessen abbilden.
„Ich glaube, dass echte Begegnungen ganz wesentlich sind, weil wir uns alle unfassbar getäuscht haben in der Wirkung sozialer Medien“, sagt Gregor Peter Schmitz. „Wir haben alle geglaubt und es war vielleicht auch die Intention der ursprünglichen Erfinder, die Welt ein bisschen besser zu machen.“ Die Wahl von Barack Obama, der arabische Frühling. Es hätte viele Ereignisse gegeben, bei denen man die Rolle von Social Media betont habe - um erst später zu merken, dass „die Algorithmen eigentlich das schlechteste in uns Menschen hervorbringen. Und das waren erste Formen der künstlichen Intelligenz.“
„Wir müssen als Medien anerkennen: Auch wenn wir viel auf Social Media unterwegs sind und darauf gucken, dann sind von 80 Millionen Deutsche ganz ganz viele gar nicht auf Social Media. Die kennen das teilweise gar nicht und trotzdem konsumieren sie Nachrichten und wollen auch mitreden. Und wir haben diese Teile der Bevölkerung in zumindest zwei wichtigen Krisen der jüngeren Vergangenheit aus Mediensicht teilweise im Stich gelassen, würde ich Rückblick kritisch anmerken“, sagt Gregor Peter Schmitz. Er meint die Corona-Pandemie und die Migration. Eine Haltung, die auf der Bühne auch Politikwissenschaftlerin und Publizistin Natascha Strobl vertrat und darlegte.
Leider spielten aktuelle Themen, etwa die Reform der Öffentlich-Rechtlichen oder aber der bevorstehende Start von „Stern+“ unter den Gesichtspunkten von Geschäftsmodellen und Wettbewerbsbedingungen keine Rolle, weil es beim Journalism Summit zu lange um den Umgang mit denen ging, die sich von klassischen Medien nicht mehr überzeugen lassen. Elementare Frage aber möglicherweise ein zu großes Rad für zu wenig Zeit, die am Ende fehlte. Und doch: Hängen bleibt nach dem Journalism Summit 2024 der Eindruck, eines in Teilen deutlich selbstkritischeren Journalismus.