Seit wenigen Monaten ist die Shop-Funktion von TikTok auch in Deutschland verfügbar. Die Vision: Ein Social-Commerce-Erlebnis, das Videos und Angebote nativ in die Applikation eingebettet und damit die Bewerbung von Produkten und Dienstleistungen auf ein neues Level hebt. Bisher hat dies kein Dienst vollständig umgesetzt. Selbst Meta hat auf Instagram das Warenkorb-Symbol bereits nach kurzer Zeit wieder aus der Navigationsleiste entfernt. 

Um den Erfolg voranzutreiben, zieht TikTok alle Register: Videos, die eine Verknüpfung zum Shop beinhalten, werden vom Algorithmus bevorzugt ausgespielt, so Alexandra Ohremenco. Die Influencerin mit mehr als 570.000 Follower ist auf der Plattform für unterhaltende Erzählungen und Rollenspiele bekannt, macht seit dem Start des Shops allerdings auch regelmäßig Affiliate-Werbung für diverse Produkte. Laut eigenen Angaben werden jedoch ausschließlich empfohlene Angebote auf der Startseite ausgespielt, ihre bisherigen Formate finden vergleichsweise kaum noch Beachtung. Es folgt ein Hilferuf. 

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Die Umstellung fällt zum Nachteil der Community aus. “Dieser Eiskaffee verfolgt mich”, schreibt Follower @maximilian.brk und @annkathrin.164 stimmt zu: “Ich sehe dich nur noch mit irgendwelchen Werbungen.” Immer mehr Hasskommentare sammeln sich unter Beiträgen von Creator, die den TikTok-Shop nutzen, um auf diese Weise eine Provision zu generieren. Mit dem Feedback bestätigt sich der generelle Eindruck, dass der Algorithmus durch die Ausspielung der Werbevideos immer mehr ins Ungleichgewicht gerät.

Um herauszufinden, wie oft TikTok verschiedene Videoarten ausspielt und ob es sich hierbei wirklich um eine Bevorzugung kommerzieller Inhalte handelt, wird ein Nutzungstest durchgeführt. Der Aufbau: Mit einem neuen Account ohne Inhaltspräferenzen werden nacheinander 1.000 TikTok-Videos abgespielt und die Aufschlüsselung der Videoarten festgehalten. Es wird ausgewertet, wie oft unkommerzielle Inhalte, gekennzeichnete Anzeigen und Affiliate-Videos angezeigt werden. Nach der Durchführung ergibt sich folgende Auswertung:

Tabelle Shop-Auswertung © DWDL.de Verteilung der Inhaltsarten nach jeweils 100 Swipes.

Handelt es sich um einen neuen Account, erfolgt zunächst kaum eine Ausspielung von werbenden Inhalten. Im Laufe des Versuchs erhöht sich der Anteil an Anzeigen und Affiliate-Videos jedoch nahezu konstant. Vergleiche mit etablierten Profilen zeigen, dass dort im Schnitt jeder dritte bis vierte Inhalt eine gekaufte Werbefläche darstellt. Folglich ist anzunehmen, dass sich die Ausspielung kontinuierlich skaliert.

Es zeigt sich ebenfalls: TikTok merkt, welche User ein Interesse an der Vermarktung zeigen und zielt konkret auf diese Konten ab. Für den Testaccount äußert sich dies durch eine Startseite, die ausschließlich Veröffentlichungen mit Bezug zu wirtschaftlichen Themen wie Spartipps, Angebotshinweise und Rabattcodes beinhaltet. Dabei merkt sich der Algorithmus, ob ein Profil in der Vergangenheit mit entsprechenden Aktionen oder dem TikTok-Shop interagiert hat und spielt in der Konsequenz deutlich mehr verknüpfte Empfehlungen aus. 

Zusätzlich stellt sich die Frage nach dem Anteil an ungekennzeichneter Werbung. Zwar werden offizielle Partnerschaften und Anzeigen mit einem eigenen Label versehen, jedoch fällt im Laufe des Tests ebenfalls auf, dass ein beachtlicher Teil der registrierten Inhalte potenziell werblicher Natur sind, allerdings einfach keine Kennzeichnung erhalten. Diese Art von Inhalten werden vom Algorithmus nicht als Werbung  identifiziert und damit zusätzlich ausgespielt. Somit ergibt sich automatisch eine noch höhere Belastung der Community. 

Dass TikTok mit seinem Onlineangebot gegen rechtliche Bestimmungen verstößt, wäre nicht neu. Nach vorläufigen Einschätzungen der Europäischen Kommission reicht die bisherige Transparenz der Anzeigenverwaltung nicht aus, um die Richtlinien des Digital Service Acts einzuhalten. Daraus ergibt sich eine potenzielle Strafe von bis zu sechs Prozent des gesamten weltweiten Jahresumsatzes. 

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Was bisher in dieser Debatte noch nicht berücksichtigt wurde: Die Auswirkungen des TikTok Shops auf den Algorithmus. Auch hier könnte die Kurzvideoplattform gegen geltendes Recht verstoßen und sich in Folge des bestehenden Verfahrens verantworten müssen. 

Es gibt jedoch auch Tricks. User können mit einer Funktion die Dauerbeschallung umgehen: Um die Werbung für den TikTok-Shop zu verringern, kann der Hashtag #tiktokshop blockiert werden. Damit wird die Ausspielung der meisten Affiliate-Inhalte gestoppt. Nur ein kleiner Teil falsch verknüpfter oder undeklarierter Videos landet folglich auf der eigenen Startseite und die Applikation kann wieder in der reinen Unterhaltungsform konsumiert werden.