So viel Zuversicht und Enthusiasmus ist man gar nicht mehr gewöhnt. Bei der Conecta Fiction & Entertainment im spanischen Cuenca diskutierten mehr als 700 Kreative aus 31 Ländern in den vergangenen Tagen die Herausforderungen der Branche. Viele der Themen sind grenzübergreifend, einen die Branche: Etwa der richtige Umgang mit KI, der Kostendruck, neue Verwertungsketten, ein Einstehen für DEI (Diversity, Equity & Inclusion) in Zeiten von Donald Trump und der Kampf um Aufmerksamkeit unter immer mehr Angeboten.

Grundlegend anders als in Deutschland ist trotz aller Herausforderungen aber die Stimmung, insbesondere bei den Gastgebern. Es liegt natürlich am medienpolitischen Rückenwind seit Ministerpräsident Pedro Sánchez im Frühjahr 2021 die spanische Film- und Fernsehproduktion zu einer der Schlüsselindustrien des Landes erklärt hat. Mit Steueranreizen und Fördermitteln locken die Regionen des Landes seitdem so offensiv um Produktionen aus Europa (und darüber hinaus) wie kein anderer Standort auf dem Kontinent. 

Netflix hat hier seine größte Basis in Europa bezogen, gerade erst eine Woche ist es her, dass Co-CEO Ted Sarandos eingeflogen ist um ein weiteres Milliardeninvestment anzukündigen. Und auch Disney+ und Prime Video / Amazon MGM Studios setzen sehr auf Spanien, experimentieren hier mit neuen Formen (Telenovela bei Disney) oder entwickeln Franchises aus Filmen (Prime Video). Hollywoodstudios selbst setzen also auf Europa. Der Anteil von US-Produktionen im Programmangebot internationaler Streamingdiensten sinkt zu Gunsten internationaler Produktionen - und eben besonders europäische Programme profitieren. 

The Wit Cuenca © Conecta

Das ist wiederum das belegte Ergebnis einer aktuellen Auswertung der Marktbeobachter von TheWit mit Blick auf das zurückliegende Jahr, genauer den Zeitraum Mai 2024 bis April 2025. 40 Prozent aller Non-US-Produktionen der internationalen Streamingdienste kommen aus Europa. Blickt man aufs Gesamtprogrammangebot inklusive US-Produktionen, dann klettert der Anteil europäischer Serien, Filme, Show und Dokus im Beobachtungszeitraum auf zwölf Prozent. Doch wer in Europa profitiert davon besonders? Spoiler Alert: Deutschland ist es nicht. 

Wo werden außerhalb der USA die meisten Produktionen für die internationalen Streamer realisiert? Der Top Spot überrascht nicht: Großbritannien führt das Ranking mit Abstand an. Der Sprachvorteil macht sich bemerkbar, englischsprachige Produktionen reisen gut um die Welt. Das gilt - neben den finanziellen Anreizen - auch für den Markt mit den zweitmeisten Produktionen: Spanien. Platz 3 geht an Mexiko, es folgen Südkorea auf Platz 4 und Indien auf dem fünften Rang. Die TopTen vervollständigen Frankreich, Südafrika, Japan, Brasilien und Italien. 

Obgleich der größere Markt, produzieren die Streamer in Deutschland weniger Originals als in Frankreich oder Italien. Wir liegen nur auf Platz 5 in Europa, von den internationalen TopTen ganz zu schweigen. Glücklicherweise haben wir einen sehr robusten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sagt Eric Welbers, CEO von Bravado Media. Der stütze den Kreativmarkt in Deutschland mit Blick auf fiktionale Projekte sehr, aber auch in weiteren europäischen Ländern. Es sei einer der Lichtblicke angesichts der vielen Umbrüche im Markt. 

Etwa den Auswirkungen des „Netflix-Schocks“ vor zwei Jahren als Quartalszahlen unter den Erwartungen von Analysten zu einem neuen Realismus in der Bewertung des Streaminggeschäfts führten. Das Märchen vom grenzenlosen Wachstum war zerplatzt, taugte nicht mehr als Geschichte für die Wall Street. In Folge dessen wurden Ausgaben reduziert, Aufträge fokussiert. Doch wie schlimm war es wirklich? TheWit liefert bei der Conecta in Cuenca Zahlen für Westeuropa. 

Ja, in der betrachteten Saison 2024/25 wurde deutlich weniger Programm gelauncht als in der Saison davor. 17 Prozent weniger fiktionale Programme, sechs Prozent weniger non-fiktionale Programme. Damit lag das Volumen allerdings auch ziemlich genau auf dem Level vor der Corona-Pandemie 2019 - und im Non-Fiktionalen sogar deutlich über Pre-Corona-Zeiten. Und Spanien eilt derzeit ohnhin allen anderen EU-Märkten davon.  

Panel Conecta 2025 © Conecta

„Hier in Spanien sind wir quasi im Paradies“, sagt Welbers (rechts im Bild) mit einem Augenzwinkern - und das nicht nur wegen des Netflix-Commitments. Auch wegen der politischen Priorität der Branche. Beim leidigen Dauerthema der fehlenden Anreizmodelle für Produktionen in Deutschland seufzt Welbers vielsagend, was im Publikum für Lacher sorgt. Ja, das deutsche Drama um fehlende Anreizmodelle, es wird international inzwischen schon belustigt wahrgenommen. Welbers: Bevor sich dort effektiv etwas tue, könnten die zuletzt recht robusten bis überraschend positive Geschäftszahlen aus dem Streamimg-Geschäft Anlass zur Hoffnung geben. 

Jene Hoffnung greift auch die gut gelaunte Juliana Algañaraz auf. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin des brasilianischen Produktionshauses La Reina. Sie redet unbefangen drauf los, begrüßt das Schrumpfen der Bedeutung Hollywoods: „Das ist gut für uns alle“ und amüsiert das Fachpublikum der Conecta-Konferenz mit der flotten Feststellung: „Wer hätte denn gedacht, dass wir in Brasilien mal eine deutsche Serie gucken würden?“, sagte sie - und meint es wertschätzend. Die deutsche Netflix-Produktion „Liebes Kind“ aus dem Hause Constantin kam international besonders in Lateinamerika gut an.

Es ist wahrlich eine TV-und Streaming-Welt der ungewöhnlichen Allianzen und Verwertungschancen. Ob nun quer über den Planeten für ungeahnte Zielgruppen (und an Hollywood vorbei) oder zwischen konkurrierenden Geschäftsmodellen wie gerade in Frankreich. Der aktuelle TF1/Netflix-Deal sorgte auch bei der Conecta für Aufsehen. In Bezug dazu formuliert Johannes Jensen, Head of Scripted bei Banijay Entertainment und gerade erst in Köln auch beim Seriencamp auf der Bühne gewesen, im Cuenca eine allgemeinere These: Es gehe heute nicht mehr darum, etwas exklusiv zu besitzen. Es gehe darum, klug zu teilen. Eine Feststellung, die hängen bleibt.

Da stimmt auch Eric Welbers zu. Anders ließen sich die heute nötigen Budgets für international konkurrenzfähige Produktionen ohnehin kaum noch stemmen. Welbers spricht lieber von einem Boom der Kofinanzierung als Koproduktion. Er  wird sich noch zu gut an die Welle furchtbarer Koproduktionen mit Kompromissen in allen Belangen erinnern, die vor 15-20 Jahren als Europudding berühmt-berüchtigt geworden sind. Heute brauche jede Form der Zusammenarbeit einen klaren Lead, so Welbers. Daher eher Kofinanzierung statt Koproduktion. 

Seine Bravado Media, wie auch einige andere und größere Häuser in Deutschland, haben in den vergangenen Jahren zwar Engagement in diesem Segment bewiesen. Auf dem Papier ist Deutschland also gut im Geschäft, taucht bei preisgekrönten Produktionen und auf Festivals immer wieder mal als Partner mancher Projekte auf. Doch der Produktionsstandort gerät ins Hintertreffen. Finanzierung und Risiko zu tragen oder aber in Deutschland mit allen nötigen Gewerken zu produzieren, sind schließlich zweierlei Dinge. Und einmal mehr wurde in Cuenca deutlich, wie die deutsche Branche Gefahr läuft, zahlender Zaungast zu werden.