Es war einmal ein ambitionierter Plan: Ein international erfahrener Medienmacher wollte in Deutschland Fuß fassen, kaufte sich bei einem kleinen Spartensender ein und kündigte nicht nur große Ziele an, sondern auch eine Reihe von Eigenproduktionen. Nachdem davon aber fast nichts realisiert wurde, stieg der Investor wieder aus und der Sender wurde wenig später beerdigt. Die Rede ist von Dmitrij Lesnewski und Das Vierte, beide stehen heute für ein Stück besonders kurioser TV-Vergangenheit.
Geschichte wiederholt sich zwar nie 1:1, manchmal sind die Ähnlichkeiten zu Vorgängen in der Gegenwart aber fast schon frappierend. Und damit: Willkommen beim Chaos-Sender Sport1. Man kann mit vielen deutschen Branchenexperten und Kennern sprechen: Die recht ähnliche Entwicklung des Sportsenders mit dem Hang zu Show-Eigenproduktionen und Das Vierte fällt vielen auf. Und nicht wenige fragen sich, was mit dem Sender in naher Zukunft passieren wird.

"Herr Tufan Özkul arbeitet seit über 20 Jahren im internationalen Geschäft innerhalb der Acunmedya", heißt es von Highlight Communications jetzt immerhin gegenüber DWDL.de. Bei der Belegschaft in Ismaning dürfte das eher für Verunsicherung sorgen: Die Ideen, mit denen der türkische Medienkonzern den einstigen deutschen Sportsender in den zurückliegenden Monaten aufgemischt hat, haben nicht gefruchtet, Sport1 steht aktuell schlechter da als jemals zuvor. Er habe international Medienunternehmen operativ aufgebaut und erfolgreich entwickelt, so die Aussage aus der Schweiz. Dass Özkul in Deutschland auch unter hartgesottenen Branchenkennern unbekannt ist und die beteiligten Unternehmen auch keine konkreten Beispiele nennen können, spricht eher gegen die Behauptung.
Überhaupt geben Highlight, Acunmedya und Sport1 in Sachen Kommunikation mal wieder ein klägliches Bild ab. Nachdem zunächst die Bestätigung kam, dass auch Matthias Reichert seinen Posten als CEO räumt, hieß es kurz darauf von Highlight Communications, er werde auch weiterhin "in einer Führungsposition bei der Sport1 GmbH zur Verfügung stehen". Mal abgesehen davon, dass das eine ziemlich seltsame Formulierung ist, ist unklar, welche Rolle Reichert künftig bekleiden soll. Er selbst will sich vorerst nicht äußern.
Nach DWDL.de-Informationen hat sich Reichert am Dienstag auf einer Mitarbeiterversammlung verabschiedet, er wird den Sender verlassen - egal ob heute, morgen oder in einigen Wochen. Es scheint auch nur schwer vorstellbar, dass er nach seiner Degradierung einfach so weitermacht wie zuvor. Reichert war erst Anfang des Jahres zum neuen Geschäftsführer der Sport1 GmbH berufen worden und hatte in Interviews die eingeschlagene Strategie verteidigt und über seine Visionen gesprochen - auch bei DWDL.de. Jetzt geht es mutmaßlich noch um die genauen Details der Trennung.
Acunmedya übernimmt auch personell das Ruder
Das Personalbeben vom Dienstag hat aber noch viel mehr Auswirkungen. Denn zum ersten Mal nach dem Einstieg von Acunmedya übernehmen die Türken jetzt auch personell das Ruder. Und das nicht nur beim Sender, sondern auch bei der Holding, die bis heute zu 100 Prozent zu Highlight Communications gehört. Das könnte darauf hindeuten, dass Acunmedya Sport1 komplett übernehmen will oder die Holding-Gesellschaft schlicht abgewickelt wird. Letzteres würde Sinn machen, neben der Sport1 GmbH sind hier nach dem Verkauf von Plazamedia nur noch die Magic Sports Media und Jackpot50 angedockt.
Bei Magic Sports Media agierte bis April Christian Madlindl als Managing Director, er steht mittlerweile in den Diensten von GG Poker. Also dem Unternehmen, das Sport1 vor einigen Monaten massiv verprellt hatte, weil man deren Poker-Übertragungen zunächst in die Nacht geschoben und schließlich komplett gestrichen hatte. Dem Sender entgingen damit rund dreieinhalb Millionen Euro alleine bis zu diesem Sommer. Zuletzt verantwortlich bei Magic Sports Media war Matthias Kirschenhofer. Also der Geschäftsführer, der nun gehen muss.
Während Kirschenhofer offenbar schnell aus dem Konzern ausscheiden soll, wird Robin Seckler nach DWDL.de-Informationen noch etwas mit Sport1 verbandelt bleiben. Er soll sich über die Chameleo GmbH noch um den Verkauf von Sport1.de kümmern. Noch so ein Projekt, das schon seit Monaten nicht vorankommt - und das wohl aus gutem Grund. Im März hatte Matthias Reichert angekündigt, einen möglichen Verkauf der Sport-Plattform zu prüfen. Ein Problem ist dabei wohl auch die zuletzt gesunkene Attraktivität der Webseite. Schwerer wiegen laut Branchen-Insidern aber die viel zu hohen Preisvorstellungen aus der Schweiz.
Exorbitante Preisvorstellungen

Das eigentliche Problem liegt sowohl für Highlight als auch für Acunmedya aber beim linearen Sender Sport1: Der kommt aktuell auf keinen grünen Zweig. Nun war der Spartensender immer genau das: Ein Sender für die Sparte. Der Fokus auf eigenproduzierte Shows, gerne aus dem Acunmedya-Katalog, hat die Situation aber dramatisch verschärft. Die Sendungen erzielen oft kaum messbare Reichweiten, infolgedessen sind die Werbeeinnahmen eingebrochen (Hier geht's zur genauen Analyse). Laut Nielsen lag das Minus der Brutto-Werbeeinnahmen im Juni bei mehr als 70 Prozent. Da schütteln auch Menschen, die den Sender gut kennen, nur mit dem Kopf, wenn bekannt wird, dass Sport1 selbst ein offensichtliches Flop-Format wie "My Style Rocks" um eine dritte Staffel verlängern will.
Es gibt also kaum Reichweite, die man effektiv vermarkten kann. Hinzu kommt: Mittlerweile fehlt auch das Personal. Nicht nur, dass es in den zurückliegenden Monaten einen massiven Personalabbau von bis zu 40 Prozent gegeben hat, mit Seckler, Kirschenhofer und zuletzt auch schon Stefan Obstmayer, der künftig in den Diensten von ARD Media steht, haben drei Branchenkenner und Vermarktungsprofis den Sender verlassen oder sind auf dem Absprung. Mit solchen Entscheidungen sorgt man eher für Verunsicherung bei Agenturen und Werbekunden.
Was wird aus den wichtigen Darts-Rechten?
Und die nächste Herausforderung wartet schon: Demnächst wartet die Rechteausschreibung für die Darts-WM ab 2027. Bei den Performance-Werten der letzten Turniere muss man kein Wahrsager sein, um zu wissen: Andere Sender und Plattformen dürften Sport1 diesmal mächtig Konkurrenz machen. Ob der finanziell angeschlagene Sender da mithalten kann, ist aktuell fraglich. Und dann stellt sich eine vielleicht noch banalere Frage: Ist Sport1 mit seiner neuen Ausrichtung für die PDC, die die Rechte vergibt, überhaupt noch interessant? Das Topspiel der 2. Fußball-Bundesliga hat man bereits an RTL/Nitro verloren, die Bundesliga-Rechte für den "Doppelpass" konnte Sport1 dagegen verlängern. Ein Verlust der Darts-Rechte würde den Sender weiter schwächen.
Es sind große Aufgaben, denen sich Tufan Özkul, der sowohl die türkische als auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten wird stellen müssen. Und dabei geht es um viel mehr als die Frage, ob Sport1 auch künftig noch diesen Namen trägt. Zuletzt experimentierte man bekanntlich auch on Air mit der Bezeichnung Show1. So oder so: Weder die Zuschauerinnen und Zuschauer noch die Werbekunden werden alleine wegen eines neuen Namens zurückkehren.
"Wir freuen uns auf die weitere partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Acunmedya", heißt es von Highlight Communications gegenüber DWDL.de. Und: "Herr Özkul wird die strategische Neuausrichtung im Interesse von uns und Acunmedya vorantreiben und ausbauen." Trotz dieser warmen Worte in Richtung des neuen starken Mannes bei Sport1 ist mittlerweile unübersehbar: Beim Sender brennt es an nahezu jeder Ecke. Der neue Chef muss schnell Antworten auf einige drängende Fragen finden. Denn sonst wiederholt sich die Geschichte vielleicht doch. Das Vierte gibt es seit mittlerweile 12 Jahren nicht mehr.
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