Leo Kirch © IMAGO / photothek Leo Kirch
Wenn man die ganz großen Linien der europäischen Medienkonzerne ziehen will, könnte man auf die Idee kommen, dass sich mit der anstehenden Übernahme von ProSiebenSat.1 durch Media for Europe (MFE) ein Kreis schließt. Die Konzerne waren vor rund 25 Jahren schon einmal lose miteinander verbunden - und das lag vor allem an Silvio Berlusconi und seinem deutschen Counterpart, Leo Kirch. Während Berlusconi in Italien Mediaset als private TV-Gruppe Nummer eins aufbaute, zimmerte sich auch Leo Kirch mit ProSieben, Sat.1 und Premiere einen einflussreichen Konzern. 

Leo Kirch und Silvio Berlusconi arbeiteten auf verschiedenen Ebenen zusammen, allen voran beim Austausch von Programmen, etwas durch die gegenseitige Vergabe von Filmrechten. Später stieg die Kirch-Gruppe bei einem Pay-TV-Projekt von Berlusconi ein und Mediaset übernahm einige Anteile von Premiere. Insofern gab es schon damals enge Verbindungen zwischen Unterföhring und Mailand. Mit dem Zusammenbruch des Kirch-Imperiums waren die aber erst einmal Geschichte. 

Nun hält MFE  bald mehr als 75 Prozent an ProSiebenSat.1 und kann damit alle wesentlichen Entscheidungen im Alleingang treffen. Wieso die Gesellschaft und in Teilen auch die Politik dem Deal lange skeptisch gegenüber standen, hatten wir bereits an dieser Stelle beleuchtet. Es lohnt sich aber auch, einen genauen Blick auf das zu werfen, was MFE in Italien mittlerweile ausmacht. Denn auch im Kernmarkt von MFE haben sich die Zeiten geändert. 

Zu MFE in Italien gehören die TV-Sender Italia 1, Canale 5 und Rete 4. In dem Land tritt die Gruppe übrigens weiterhin unter dem Namen Mediaset auf, MFE ist nur der Holding-Name, der alle Länder und Gesellschaften zusammenhält. Nach wie vor ist Mediaset heute noch die stärkste private Sendergruppe, Konkurrenz macht dem Berlusconi-Clan vor allem die öffentlich-rechtliche RAI. Und hier liegt auch vielleicht schon der größte Unterschied: Während bei einem Regierungswechsel das Personal bei der RAI in schöner Regelmäßigkeit ausgetauscht wird, gibt es dieses Phänomen bei Mediaset nicht. "Die RAI in Italien ist politisch wesentlich beeinflusster als unser öffentlich-rechtlicher Rundfunk", sagt ein Branchenbeobachter, der sich mit der Situation in Italien auskennt. 

Ist die RAI das viel größere Problem? 

Eine andere Expertin, mit der DWDL.de gesprochen hat, bezeichnet die Nachrichten bei der RAI als "politisch gesteuert". Bei den Mediaset-Sendern ist das nicht so, hier arbeiten die Redaktionen unabhängig - so unabhängig, wie man in einem privaten TV-Konzern, der von Werbegeldern abhängig ist, eben sein kann. Da geht es Mediaset / MFE nicht anders als anderen europäischen Medienunternehmen. 

Nachrichten spielen bei Italia 1, Canale 5 und Rete 4 wenig überraschend nur eine untergeordnete Rolle. Auch da bilden die Mediaset-Sender im europäischen Vergleich keine Ausnahme. Dominiert werden die Kanäle von Unterhaltungsformaten, es gibt wie in Deutschland Shows, (Trash-)Realitys und andere Formate zu sehen. Konkret gibt oder gab es auf den Mediaset-Sendern Adaptionen von internationalen Formaten wie "Big Brother", "Temptation Island", "The Mole" oder auch "Wer wird Millionär?" und "Got Talent" zu sehen.  

In Deutschland gelten die Mediaset-Sender noch immer als tendenziell rechts. Vor einigen Jahren wurde der Konzern zu Geldstrafen verurteilt, weil man während des damaligen Wahlkampfes rechten Parteien mehr Sendezeit einräumte als anderen. Auch das muss man im Kontext sehen: Auch die RAI erhielt damals ähnliche Strafen. Und: Die italienische Gesellschaft tickt generell anders als die deutsche und ist eher konservativ geprägt. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Berichterstattung von Medien. 

Es gibt auch bei Mediaset Meinungsvielfalt 

Es gibt jedoch auch Beispiele, die zeigen, dass im italienischen MFE-Kosmos eine gewisse Meinungsvielfalt herrscht. Die Journalistin und Moderatorin Bianca Berlinguer war lange Nachrichtendirektorin beim öffentlich-rechtlichen Sender RAI 3. Die News beim Kanal gelten als eher linksliberal. Berlinguer präsentierte beim Sender lange eine eigene Talkshow und wechselte 2023 schließlich ins Mediaset-Imperium zu Rete 4, wo sie die Sendung in ähnlicher Form weiterführte.

Zu Zeiten von Silvio Berlusconi wäre das vielleicht undenkbar gewesen. Als Il Cavaliere das Land führte, standen nicht nur seine eigenen Sender unter seiner Kontrolle, sondern auch die öffentlich-rechtliche RAI. "Das war eine Situation, in der die Meinungsvielfalt im Fernsehen gefährdet war", sagt einer, der sich mit dem italienischen Medienmarkt besonders gut auskennt. Silvio Berlusconi, das war noch nie ein Geheimnis, nutzte auch seine Medienmacht, um seinen Status als einflussreicher Politiker auszubauen. Die italienische Mediengeschichte ist voll von Interessenskonflikten. Andererseits: Das italienische Fernsehen hat auch diese Zeit überstanden und trotz seiner Medienmacht konnte sich Berlusconi nicht an der Macht halten. Er hat auch nicht versucht, die Demokratie abzuschaffen - anders als es Donald Trump aktuell in den USA macht. 

Das alles deutet nicht unbedingt darauf hin, dass Pier Silvio Berlusconi ProSiebenSat.1 und hier speziell die Nachrichten zu seinem eigenen Zwecke umbauen will. Der MFE-Boss hat ohnehin keine eigene politische Agenda. Und wenn er eine hätte, würde er wohl erst einmal in seinem Heimatland damit anfangen, seine Sender entsprechend auszurichten. Oder - auch das ist nicht ausgeschlossen - der junior macht es ganz anders als sein Vater und weicht Interessenskonflikten aus. Denkbar wäre es ja auch, dass Pier Silvio Berlusconi, sollte er in die Politik gehen, die Macht bei MFE abgibt. 

Was viel wahrscheinlicher ist als theoretische Diskussionen über mögliche Umfärbungen von Nachrichtensendungen, ist die Tatsache, dass Pier Silvio Berlusconi in der neuen MFE, dann mit ProSiebenSat.1, mit Sicherheit Synergien heben kann. Und natürlich ist der größte europäische TV-Werbemarkt für den Geschäftsmann Berlusconi potenziell hochlukrativ. Von einem Konzern dieser Dimension haben seinerzeit Berlusconi senior und Leo Kirch geträumt - nun wird er Wirklichkeit. 

In den kommenden Tagen geht’s in unserer Wochenserie MFE x PS71 unter anderem noch darum, wie MFE in Spanien aufgestellt ist und welche Fragen sich im Streaming-Bereich durch den Deal auftun. 

Die Wochenserie MFE x P7S1 bei DWDL.de