Seit vielen Jahren wird nun um eine Reform von ARD und ZDF gerungen. Vor mittlerweile einem Jahr haben die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten den sogenannten Reformstaatsvertrag beschlossen (DWDL.de berichtete), dieser sieht unter anderem die Reduktion von Spartenkanälen und Hörfunkprogrammen vor, aber auch die Deckelung der Sportrechtekosten, eine Verschärfung im Bereich der Presseähnlichkeit und eine Art Kooperationspflicht mit privaten Medienanbietern. Doch noch immer greift der Reformstaatsvertrag nicht - und mehr noch: Auf der Zielgeraden wackelt die Umsetzung jetzt noch einmal bedenklich.
Hintergrund ist die Tatsache, dass sich nach der Unterschrift der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten auch die 16 Landtage mit der Reform beschäftigen und diese formal beschließen mussten. Das hat bislang relativ geräuschlos funktioniert. Doch damit der Staatsvertrag zum 1. Dezember gelten kann, müssen wirklich alle Landtage zustimmen. Und ob es im sächsische Landtag tatsächlich eine Mehrheit für die Reform gibt, ist unklar.
In dem Bundesland herrscht so etwas wie ein politischer Ausnahmezustand: CDU und SPD bilden eine Minderheitsregierung, ihnen fehlen zehn Stimmen für eine Mehrheit im Landtag. Bei der Umsetzung von Gesetzesvorhaben ist das Bündnis unter der Führung von Ministerpräsident Michael Kretschmer also immer auch auf die Opposition angewiesen - und das könnte in diesem Fall zum Problem werden.
Als der Kulturausschuss des Landtags vor einiger Zeit die Annahme des Medienstaatsvertrags empfohlen hatte, war das nur möglich, weil nach Angaben der "FAZ" ein Abgeordneter der AfD fehlte. Die Rechtspopulisten lehnen den Reformstaatsvertrag ebenso ab wie das BSW - beide Parteien kommen zusammengerechnet auf mehr Sitze im Parlament als die Regierung. Grüne und Linke enthielten sich bei der Abstimmung vor dem Kulturausschuss. Ernst wird es nun am 29. und 30. Oktober, wenn sich der Landtag in Sachsen mit dem Thema befasst.

Vorausgesetzt, alle 51 Abgeordneten von CDU und SPD stimmen für den Reformstaatsvertrag, müssten noch immer 10 Politikerinnen und Politiker aus anderen Parteien zustimmen. Wenn BSW und AfD geschlossen ablehnen, bleiben nur Grüne und Linke, die aber nur auf sieben bzw. sechs Abgeordnete kommen. Im Parlament gibt es darüber hinaus einen fraktionslosen Abgeordneten.
Opposition übt Kritik an CDU und SPD
In der Opposition ärgert man sich über das Vorgehen von Union und SPD. Claudia Maicher, medienpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag, sagt gegenüber DWDL.de: "Bis heute haben CDU und SPD als regierungstragende Fraktionen keinen ernsthaften Versuch unternommen, über Mehrheiten für diesen - nie konsultierten - Staatsvertrag zu verhandeln. Sie überlassen diese Abstimmung zufälligen Mehrheiten. Das ist unverantwortlich. Wir stehen immer für Gespräche bereit, wenn diese ernsthaft gewollt sind."
Die Enthaltung im Ausschuss begründet Maicher mit einer inhaltlichen Abwägung. "Vor allem das rigide Verbot der 'Presseähnlichkeit' ist ein staatlich verordneter Sichtbarkeits- und Relevanzverlust. Es schneidet den ÖRR von der Meinungsbildung in Social Media und damit auch von jüngeren Zielgruppen ab, wenn er keine eigenständigen Texte unabhängig von zuvor produzierten Audio- oder Videobeiträgen veröffentlichen darf." Der Abbau von Hörfunk- und Fernsehspartenprogrammen könne zudem kaum zu umfangreichen Einsparungen führen. Dringender ist nach Meinung von Claudia Maicher ohnehin die Reform der Rundfunkfinanzierung. "Diese ist aber gescheitert, bevor der Landtag sie überhaupt diskutieren konnte. Das liegt in der Verantwortung des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, der den Vertrag nicht unterzeichnet hat."
"Bis heute haben CDU und SPD als regierungstragende Fraktionen keinen ernsthaften Versuch unternommen, über Mehrheiten für diesen - nie konsultierten - Staatsvertrag zu verhandeln. Sie überlassen diese Abstimmung zufälligen Mehrheiten. Das ist unverantwortlich."
Claudia Maicher, medienpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag
Und auch bei der Linken kritisiert man die im Länderkreis innerhalb der Rundfunkkommission beschlossenen Reformen. Luise Neuhaus-Wartenberg, medienpolitische Sprecherin der Partei in Sachsen, sagt: "Man stelle sich vor: Die neue Bahnchefin Evelyn Palla würde ihren Job mit einem neuen Kursbuch und der Ankündigung vieler Streckenstilllegungen beginnen. Nahverkehrszüge würden wegen ,Busähnlichkeit‘ gestrichen, ganze Regionen abgehängt – und das Ganze als ,bessere Bahn für weniger Geld‘ verkauft. Ähnliches passiert gerade mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Was als zukunftsweisende Reform angekündigt wird, ist ein Kürzungsfahrplan mit dem Etikett ,Innovation‘."
Man blockiere keine Veränderungen, wolle aber auch nicht in einen Zug einsteigen, "dessen Bremsen klemmen und dessen Fahrplan niemand erklären kann", so Neuhaus-Wartenberg weiter. "Dieser Staatsvertrag stärkt nicht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie es dringend erforderlich wäre, sondern er schwächt ihn." Durch die Verschärfung im Bereich der Presseähnlichkeit würden junge Menschen noch weiter vom öffentlich-rechtlichen Angebot entfernt, warnt die Politikerin. Ob man der Reform am Ende trotzdem zustimmen werde, wolle man "zu gegebener Zeit entscheiden", sagt die Politikerin.
"Dieser Staatsvertrag stärkt nicht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie es dringend erforderlich wäre, sondern er schwächt ihn."
Luise Neuhaus-Wartenberg, medienpolitische Sprecherin Die Linke in Sachsen
Klar ist bei aller Kritik an den ausgearbeiteten Kompromissen des Reformstaatsvertrags: Änderungen wird es daran nicht mehr geben. Die Reformen können jetzt als solche beschlossen werden - oder sie sind vorerst gescheitert. Sollte die Umsetzung an Sachsen scheitern, wäre der gesamte Reformprozess um Jahre zurückgeworfen. Es wäre auch eine persönliche Niederlage für Ministerpräsident Michael Kretschmer: Sachsen ist aktuell Co-Vorsitzland in der Rundfunkkommission. In dieser Funktion hat auch Kretschmer die Reformen vorangetrieben
CDU appelliert an Verantwortungsbewusstsein der Opposition
Nun ist der Druck, zumindest diese Reformen durchzubringen, auf allen Seiten groß. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und medienpolitischer Sprecher der sächsischen CDU-Landtagsfraktion, Andreas Nowak, sagt gegenüber DWDL.de: "Es ist jetzt auch die Verantwortung der Opposition, den Einstieg in die dringend notwendigen Reformen beim Öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu ermöglichen. Politische Preise wird die CDU dafür allerdings nicht zahlen. Allen sollte bewusst sein, dass es beim ÖRR nicht einfach so weitergehen kann." Über von Grünen und Linken angeblich geforderte "politische Preise", etwa die Zustimmung bei anderen Medienthemen, hatte vor einiger Zeit auch die "FAZ" schon berichtet.
"Allen sollte bewusst sein, dass es beim ÖRR nicht einfach so weitergehen kann."
Andreas Nowak, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und medienpolitischer Sprecher der sächsischen CDU-Landtagsfraktion
Von der SPD heißt es auf Anfrage, dass die Fraktion dem Reformstaatsvertrag "selbstverständlich zustimmen" werde. Und "natürlich" spreche man aktuell auch mit den Oppositionsfraktionen, "damit es im Landtag eine Mehrheit dafür geben kann". Das BSW hat eine Anfrage zum Thema unbeantwortet gelassen. Von der AfD heißt es, man werde "natürlich ablehnen". So oder so gilt: Sollten CDU und SPD die Fraktionen von Linken und Grünen noch überzeugen, wird es ziemlich knapp. Ein solches Bündnis hätte im Landtag eine Mehrheit von nur drei Stimmen. Einige wenige Abweichler oder krankheitsbedingte Ausfälle könnten den gesamten Reformstaatsvertrag kippen.
Zuletzt stimmte Sachsen-Anhalt dem Reformstaatsvertrag zu. Während CDU, SPD und FDP dafür stimmten und die AfD dagegen, enthielten sich Grüne und Linke. Kulturminister Rainer Robra (CDU) verwies in einem anschließenden Statement noch einmal auf die unklare Lage in Sachsen: "Ich hoffe inständig, dass es auch in Sachsen gelingt, eine Mehrheit für den Reformstaatsvertrag zu finden. Denn gelänge dies nicht, wäre alles Makulatur."
Finanzierungsreform ist schon gescheitert
Makulatur ist indes die Reform des Beitragsfestsetzungsverfahren. Ende 2024 hatten sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten eigentlich auch auf eine Reform des ARD/ZDF-Finanzierungsmodells geeinigt, so wollte man ein Widerspruchsmodell einführen. Dadurch wären künftige KEF-Empfehlungen leichter in Recht und Gesetz übergegangen. In Bayern und Sachsen-Anhalt wollen die Länderchefs die Reform aber erst dem Landtag zuleiten, wenn ARD und ZDF ihre Verfassungsbeschwerde zum nicht erhöhten Rundfunkbeitrag zurückgezogen haben. Auch in Sachsen hat sich der Landtag noch nicht damit beschäftigen können.
Die Öffentlich-Rechtlichen halten unterdessen weiter an der Verfassungsbeschwerde fest, doch Karlsruhe wird erst 2026 entscheiden. Auch wenn nun noch theoretisch Zeit ist, um die Reform bis Ende November zu beschließen, passiert das realistischerweise nicht mehr. Die Reform ist damit vorerst gescheitert. Heike Raab, Koordinatorin der Rundfunkkommission, appellierte zuletzt im DWDL.de-Interview an die Verantwortlichen in den Bundesländern, sich zu überlegen, "welchen Beitrag sie leisten können".