Nervige Hauptcharaktere oder langweilige Storylines – und trotzdem wird der Film oder die Serie zuende geschaut. “Hate Watching”, sprich der bewusste Konsum von unliebsamen Inhalten, kann für viele regelrecht zum Hobby werden. Der kritische Blick auf ein Medium, das nervt und man es trotzdem nicht verpassen will, steht im Vordergrund. Das Verhalten ist von klassischen Medien auch zu Social Media übergeschwappt und wird hier durch Algorithmen und Analyse sogar verstärkt.
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Die Gründe für Hate Watching sind divers: ein psychologischer Ansatz befürwortet die eigene Emotionsregulation. Laut eines Beitrags Deutschlandfunk Nova fühlen wir uns vor allem dann wohl, wenn wir körperliche Reaktionen gut voraussagen und eigene Gefühle damit bestätigen können. Gleichzeitig gibt uns die Aktivität ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber eigentlich unerreichbaren Stars oder räumlich-entfernten Social-Media-Accounts.
Die Hassobjekte führen überraschenderweise zu Gemeinsamkeiten auf Seiten der Kontrahenten. Somit entdecken unterschiedliche Positionen durch das Thema eine übereinstimmende Sichtweise – und fühlen sich verbunden. Findet zudem ein öffentlicher Diskurs statt, wirkt das “Hate Watching” wie ein Sog: Um Teil der Mainstream-Gemeinschaft zu werden und mitreden zu können, müssen die entsprechenden Inhalte ohnehin konsumiert werden.
Im Gegensatz zum Fernsehen birgt Social Media ein düsteres Potenzial: Wird verstärkt mit Triggern interagiert, spielt der Algorithmus noch mehr identische Inhalte aus. Infolgedessen wird der Konsum nicht durch Episoden limitiert, sondern kann zur Dauerbeschallung führen. Entsprechend hoch ist das Risiko, die eigene soziale Realität dauerhaft negativ zu beeinflussen und eine Abwärtsspirale für abwertende Emotionen zu kreieren.
Dennoch gibt es unterschiedliche Konsumtypen: Wer bewusst “Hate Watching” betreibt, muss nicht automatisch Hass schüren. Denn ein Großteil der Sichtbarkeit kommt durch ein stilles Publikum. Negative Kommentare sind - unabhängig der Intention – in der Regel grenzüberschreitend bis justiziabel.
In der Entwicklung von sozialen Plattformen hat sich auch das Stilmittel des “Rage Baits” gefestigt. Damit sind jene Videos gemeint, die bewusst negative Emotionen hervorrufen und Diskussionen auslösen wollen. Die Inhalte wirken ernst, sind jedoch grundsätzlich nicht so gemeint. Die Schein-Statements dienen hier hauptsächlich zur Interaktionssteigerung – und zeigen Wirkung.
Wie bei allen Content-Strategien braucht es für das Stilmittel eine gewisse Nische. Besonders beliebt sind dabei äußerliche Merkmale, wie im Falle von Luan Oli. Der Social-Media-Star veröffentlicht auf der Kurzvideoplattform TikTok kontinuierlich Inhalte, die sein Alter und Aussehen adressieren. Im Fokus steht dabei seine vermeintliche Jugendlichkeit.
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Die Trendwelle mit fragwürdigen Videos kommt - wie häufig - von internationaler Seite. Luan Oli verzeichnet üblicherweise zwischen 50.000 und einer Million Aufrufe für eine Veröffentlichung zu seinen wagemutigen Behauptungen. Besonders erfolgreiche Statements generieren in zahlreichen Fällen über 10 Millionen Klicks.
Aber auch in Deutschland bedienen sich diverse Konten an dem Stilmittel oder werden so wahrgenommen. So fallen beispielsweise die "Bananenfrau" und das "Steakmädchen" in die Ernährungskategorie der Kurzvideoplattform. Beide Social-Media-Stars lassen das Publikum an ihren Essgewohnheiten teilhaben, die sich zum Teil stark von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden. In beiden Fällen bleibt unklar, ob die Inhalte die tatsächliche Realität der Protagonistinnen widerspiegeln oder in Form von "Rage Bait" bewusst anecken sollen.
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Die deutsche Form des “Wutköders” zahlt sich auch in diesem Fall zahlentechnisch aus: alltägliche Aktivitäten werden mit Millionen von Aufrufen und Likes belohnt. Dazu scheint sich um die Personas eine regelrechte Community zu bilden. Verhaltensweisen und -Änderungen werden genau analysiert und kommentiert. Das scheinen auch die Creatorinnen zu verstehen und maximieren ihre Reaktionen und damit auch eigene Views.
Was sagt das über die Entwicklung von Social Media aus? Grundsätzlich zeigen "Hate Wachting"- und “Rage Bait”-Inhalte in erster Linie, dass Emotionen uns leiten – und menschlich machen. Vor allem aber spielen Algorithmen auf die daraus resultierenden Reaktionen an und forcieren immer neue Kontaktpunkte mit ähnlicher gestrickter Materie.
Professionelle Konten können diesen Trick nun nutzen, um auf kurzem Wege viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Jedoch müssen sie bedenken, dass dafür ein besonders kritisches Publikum angelockt wird, das von der herbeigeführten Negativität zerrt. Versiegt der “Rage Bait”, stoppt auch die Relevanz des Kanals.
Aufgrund der unklaren Intentionen von "Rage Bait"-Konten sind sie praktisch "uncancelbar". Denn: Kommt es zu tatsächlichen Eklats, können sie einfach den Scherz aufdecken und von vorne anfangen. Es bleibt nur eine Frage der Zeit, bis eine "Love Brand" in Deutschland absichtlich zur "Hate Brand" wird.
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