Entgegen mancher Kritik beweist der "Independent" mit dem Relaunch eher, dass seriöse Information auch mit klarer Optik und guter Lesbarkeit zu vermitteln ist. Eine Selbstverständlichkeit, die in der Zeitungslandschaft mit oft langen Traditionen und nur gemächlichen Veränderungen nicht immer so selbstverständlich ist. "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo steht da beispielsweise unter deutschen Zeitungsmachern nicht allein, wenn er sagt, dass das Format einer Zeitung Auswirkung auf ihr "Gewicht" habe. Und ein kleineres Format für die "Zeit" beispielsweise nicht vorstellbar sei.

Die größte Herausforderung für den "Independent" liegt nicht in den Diskussionen über inhaltliche Tiefe oder Seriösität. Auch nicht in der Frage, wie sich die eigenen Leserzahlen entwickeln. Die Situation ist schlimmer: Man hat sich mit "i" die Billigkonkurrenz im eigenen Haus herangezüchtet und droht von ihr dauerhaft überholt zu werden. Das kratzt an der Ehre und dem Selbstverständnis einer Qualitätszeitung. Denn "i" ist schließlich kein Boulevardtitel, bei dem höhere Reichweiten kein Wunder sind. Es war der Versuch eine Qualitätszeitung in Kurzform zu präsentieren.

 

 

So tragisch es für den "Independent" ist, so schön ist der Erfolg von "i" für den Zeitungsmarkt selbst. Wenn Verleger sich an den geänderten Informationsbedürfnissen der Leser orientieren statt auf täglicher Basis Informationen in einer Fülle abzudrucken, die sich im Konzert von immer mehr und immer schnelleren Medien kaum noch konsumieren lässt, lassen sich neue Zielgruppen erschließen. Eine Erkenntnis, die sich in abgeschwächter Form auch bei uns an der "Welt Kompakt" ablesen lässt. Über sieben Jahre nach dem Start gibt es bereits eine Generation an Lesern für die die "Welt Kompakt" kein experimenteller Ableger des großen Titels mehr ist. Mit "i" und dem Relaunch des "Independent" tut sich im ohnehin härter umkämpften und dichteren britischen Zeitungsmarkt immerhin etwas.

In Deutschland hingegen sind keine Bewegungen in Sicht. Ausgelöst durch den Tabloid-Trend in Großbritannien gab es von 2004 an einige Jahre der manchmal bemerkenswerten, manchmal kuriosen Experimente. Da wurden Titel mal aus Überzeugung, mal als Abwehrmechanismus gestartet, aber auch vergleichsweise schnell wieder eingestellt. Doch diese spannende Zeit scheint vorbei. Die Angst um das Überleben scheint offenbar viele Verlage gelähmt zu haben und das obwohl kurioserweise die meisten großen Verlage weiterhin profitabel arbeiten. So wie Axel Springer. Dort experimentiert man zwar seit über zwei Jahren in München und Umgebung mit "Bild City", einer Mini-Ausgabe der regulären "Bild".

Offiziell ist das immer noch ein Testlauf, ein ziemlich langer und bislang offenbar ohne jedes Ergebnis. Zumindest gibt es dazu keine Auskunft von Springer, ob man "Bild City" vielleicht auch in weiteren Städten einführen will oder wie zufrieden man überhaupt damit ist. Vielleicht aber ist man derzeit auch zu sehr in technischen Spielereien verliebt. Journalistische Apps wurde von Verlagen - und im Übrigen auch nur von Verlagen - zum Milliardengeschäft erklärt, obwohl sich unter den Top20-Apps meist höchstens ein journalistisches Angebot befindet. Doch der Glaube an das, was irgendwann einmal im Digitalen möglich sein könnte, fasziniert so sehr, dass jede Innovation im Gedruckten hintenansteht.