Menschen lassen sich heutzutage lieber unterhalten von Netflix, Amazon Prime und YouPorn und Mutters heilige Uhrzeit „20:15“ rückt immer weiter in den Hintergrund. Ist das so? Ich habe auch dieses Jahr für die Karikaturen, die wöchentlich auf DWDL.de das Fernsehen genauer verfolgt als die männliche Constanze Rick die minütlich neuen Baby-Facebook-Updates von Sarah Engels & Pietro Lombardi und alles gesehen von „Schwiegertochter gesucht“ über „Bahnromantik“, bis hin zu „UFOs im Dritten Reich“ auf N24 und werde im Folgenden noch einmal die TV-Highlights des Jahres Revue passieren lassen. Let ́s get this Party started!

Das Programm in den ersten Monaten des Jahres war geprägt von einem historischen deutschem Jubiläum: 65 Jahre Thomas Gottschalk! Zu diesem Anlass schrieb Thommy, unser Supertalent, ein Buch über Thomas Gottschalk, moderierte eine Show über Thomas Gottschalk und sprach in Talkshows über Thomas Gottschalk. „Fürs Schlussmachen ist es fast schon zu spät“ sagt der Jesus Christus der Samstagabend-Unterhaltung. Schön, wenn wenigstens einer noch Bock auf den ganzen Bums hat. Denn Christine Westermann und Götz Alsmann begraben „Zimmer frei“, Anke Engelke hat weder Zeit noch kracht sie weiter, Andy Borg darf wegen fehlender Swagness nicht mehr durch den „Musikantenstadl“ führen, Günther Jauch hört auf mit „Günther Jauch“ und Jürgen Domian mit „Domian“. Im Sommer kam der nächste Schock!

Nein, die Rede ist nicht von Beatrice Eglis großer Schlagershow. Es ist die Geschichte von einem, den ihr kennt. Er lebt in der Glotze, wenn lang schon jeder pennt. Er ist gefragt und schöner als sein dicker Praktikant und schon das ganz allein macht die Sache interessant. Habt ihr ihn erkannt? Wisst ihr wen ich meine? Breit ist das Grinsen und fett sind die Scheine. Er ist ein Star, der beste den es gab! Meine Damen und Herren: Hier geht der Raab! Ja, die Ukulele spielende Ulknudel meldet sich ab vom Traumschiff „M.S. Fernsehen“. Pfui-Extra-Gold! Auch wenn sein Elan bekanntermaßen in den letzten Jahren etwas nachgelassen hat und er immer öfter die Gags, die ihm aufgeschrieben wurden, selber nicht zu verstehen schien, hat er sich nunmal im Fernsehen ein Denkmal gebaut und bleibt unangefochtener Unterhaltungs-Bundeskanzler.

Er beherrschte alles. Von ESC bis Kanzlerduell und hat nebenbei einen Duschkopf, Elton und Lena Meyer-Landrut erfunden. Das rührendste am Raabschied war für mich aber der redaktionelle Gastbeitrag in der FAZ, der unmittelbar nach Raabs Bekanntgabe erschienen ist und niemand Geringeres als unser standhafter Zinnsoldat und Lieblings-Strahlenmann „Goldbärchen“ Gottschalk verfasst hat. Nie zuvor kamen in einem Text, der eine andere Person würdigen soll so oft die Wörter „Ich“ (12 mal), „mein/meinem“ (7 mal), „mir“ (5 mal) und „Günther Jauch“ (3 mal) vor. „Kurz vor Ende der RTL-Show zu meinem fünfundsechzigsten Geburtstag...“ beginnt er den Text über Raab und schafft es alleine im ersten der vier kleinen Absätze - Reschpekt, mein Lieber! Das muss man sich erstmal vorstellen - einzig und alleine von seinem eigenen Geburtstag zu erzählen. Wette gewonnen!

Raabschied© DWDL/Robitzky

Fakt ist jedenfalls, dass ProSieben 2016 ohne Raab größere Probleme bekommen dürfte, als die ARD 2012 mit Gottschalk. Diese Lücke können selbst Joko und Klaas nicht alleine füllen und wenn sie sich noch so oft gegenseitig die Augenlider zulöten. ProSieben ohne Stefan Raab fühlt sich an wie Sat.1. Und Sat.1 ist nicht schön. Fragt da mal die hackedichte Executive Producerin von „Newtopia“. Was war das nochmal? Na, dieses „größtes Experiment im deutschen Fernsehen aller Zeiten“. Es endete als größter Epic Fail auf deutschem Boden seit damals. 15 „Pioniere“ (oder wie jeder außerhalb Sat.1 sagt: Vollhonks) wurden im Februar in einem völlig unbewohnten Stück Erde ausgesetzt, um dort vor laufender Kamera in 365 Tagen eine neue Gesellschaft zu erschaffen. Na gut, so richtig 365 Tage waren es dann am Ende doch nicht. Die 15 Vollhonks wurden im Laufe der Zeit auch öfter ausgetauscht, als die Partner von Rolf Eden und eine neue Gesellschaft war irgendwie auch nicht zu finden.

Was macht man nur, wenn die Quote nicht stimmt? Tja, da ist guter Rat teuer. Am besten man versucht erstmal die Sendung mit unkontrollierten Aggressionsausbrüchen und perversen Sexszenen zu füllen, damit wenigstens die Gestörten am Schirm bleiben. Wenn das nicht funktioniert, dann ist es glaub ich eine gute Idee, um 2 Uhr nachts ein heimliches Produktionsmeeting zu vollziehen, indem die Executive Producerin der Sendung sternhagelvoll mit den natürlich „völlig selbstständig handelnden“ Vollhonks die Regieanweisungen für die nächsten Folgen bespricht. Und das streamt man dann am besten noch mit der offiziellen 360°-Live-Kamera ins Internet, damit jeder sehen kann, wie perfide man sein Publikum verarschen will.

Ja, das ist die Art von „Reality“, die ich im Fernsehen sehen will! Bravo, Sat.1! Ihr habt es tatsächlich geschafft uns im Sommer zum lachen zu bringen, was ja keine Selbstverständlichkeit ist, denn „Tatort“, „HalliGalli“, „heute show“ und Co. haben uns in den heißen Monaten sommerpausenbedingt einfach im Stich gelassen. Stattdessen bekamen wir Dinge wie das Sommer-Dschungelcamp, „Beate und Irene“ oder die „Lars Reichow Show“. Erinnert sich noch einer an „Die Lars Reichow Show“? Nein? Kein Problem. Wenn ja, sollten Sie möglichst schnell einen Arzt aufsuchen und testen lassen, warum Sie so einen Firlefanz beim ZDF anschauen.

Das gleiche gilt, wenn sie etwas mit den Worten „Quizchampion“ oder „Das große Schlüpfen“ anfangen können. Gebt Johannes B. Kerner (Moderator von Sendungen wie „Johannes B. Kerner“ und „Kerner“) eine Sendung und sie wird in gewisser Weise… sehr ultimativ. „Deutschlands 50 Beste“? Schwupps, Rankingshows sind tot! „Das große Schlüpfen“? Schwupps, Eiershows sind tot! „Udo Jürgens - Mitten im Leben“? Schwupps, Udo Jürgens ist tot! Aber auf dem Lerchenberg - ist es eigentlich Zufall, dass meine Autokorrektur aus dem Wort immer wieder „Leichenberg“ machen will? - hat man alles richtig gemacht. Wie könnte man mit Kerner je etwas falsch machen? Er kann alles. Außer Sat.1. Ach, das Privatfernsehen. Da war noch was.

Das große Schlüpfen© DWDL/Robitzky

RTL II bescherte uns die Neuauflage von „Popstars“ und bewies, dass zwei Dinge nicht schön sind: Die Frisur von Miss Platnum und das Genre der Castingshow! Seht es verdammt nochmal ein: Es ist vorbei, wenn ehemalige Gewinner einer Castingshow mittlerweile in der Jury einer anderen Castingshow sitzen, um die nächste Generation von halbdebilen Plärrgeistern heranzuzüchten! „Popstars“, „Die Band“ und im Jahr davor „Rising Star“ haben den Sendern ungefähr so viel Freude gebracht wie die ARD Xavier Naidoo, als sie ihn für den ESC 2016 vorgesehen hatten. Ich kann „DSDS“, „Supertalent“,„The Voice“ und „Germanys next Topmodel“ nicht mehr sehen.

Bei letzterem saßen dieses Jahr wieder Modelmutter Heidi Klum, Thomas „The Awesome Anglezismen-User“ Hayo und Kaufhof-Knittergesicht Wolfgang Joop - bei dem an dieser Stelle nicht behauptet werden soll, dass in seinem Gesicht mehr Plastik zu finden sei als auf einer durchschnittlichen Tupperparty - und urteilten über vieeeel zu fette 15-Jährige. Aber hey: Die Sendung wurde geprüft und ist offiziell nicht jugendgefährdend und im Finale war sowieso Bombenstimmung. Was ein Finale! Show-Acts, Models und eine Live-Bombendrohung! Wer da gewonnen hat, weiß jedenfalls keiner mehr, ebenso wie bei allen anderen Shows dieser Art.

Kein Wunder, dass sich die Menschen da lieber mit Serien beschäftigen. Spätestens seit es Netflix gibt, kann ja jeder sein eigener Programmchef werden und nach Herzenslust auswählen, wann, wie und vor allem was er schauen will. Alle lieben Serien. Dieser Trend ist jetzt auch sieben Jahre nach der US-Erstausstrahlung von „Breaking Bad“ in Deutschland angekommen und die Sender hierzulande merken auch langsam aber sicher, dass „Notruf Hafenkante“ vielleicht doch nicht das einzig wahre Fiction-Gold ist, für was man es lange Zeit gehalten hat. Nun bekamen wir „Deutschland 83“, „Weissensee“, „Weinberg“ (eine Serie, die übrigens nicht von Günther Jauch handelt) und „Club der roten Bänder“. Eine tolle Serie auf Vox, deren Titel sich bloß ein bisschen so anhört, wie eine Selbsthilfegruppe für Frauen, die ihre Tage haben.

Ich habe keine einzige dieser Serien gesehen, weil meine Liste auf Netflix jetzt schon viel länger ist, als der Hals von Joko Winterscheidt und ich kurz vor einem Burnout stehe, wenn ich daran denke, was ich noch so alles im Leben schauen will. Nicht umsonst machen immer mehr Jugendliche statt Work & Travel nach dem Abschluss erstmal ein Jahr Netflix & Chill.

Lirum Larum! Das Wichtigste ist doch, dass wir trotz Netflix-Serienfluten, Live-Bombendrohungen, griechischen Mittelfingerfakes, ESC-Nominierungsrückzügen und Wollny-Nachwuchs und dem wohl langweiligsten Dschungelcamp aller Zeiten das Jahr 0 nach „Wetten, dass...?“ überlebt haben. Und wer weiß was uns im nächsten Medienjahr erwartet? Vielleicht Sendungen wie „Die 50 besten Werbespots von Helene Fischer“? Vielleicht ein neues Schlageralbum von Hape Kerkeling mit dem Titel „Hätte mir mal bloß jemand das Singen verboten“? Ich kann es ihnen nicht beantworten, aber ich werde es weiter verfolgen und nächsten Dezember an dieser Stelle besprechen. Wenn es dann das Fernsehen überhaupt noch gibt.