Das Jahr war dieses Mal wirklich außergewöhnlich kurz. Nicht mal sechs Monate dauert es, bis RTL am 5. Juni seinen ersten Jahresrückblick ins Programm holt. Der heißt "Mensch Gottschalk!", wird nicht von Günther Jauch moderiert – und ist eigentlich auch gar keine Chronik der zurückliegenden Monate. Sondern ein "Themenparcours des Zeitgeschehens", wie der Sender meldet. Den Jahresrückblick-Vergleich wird RTL so schnell aber trotzdem nicht mehr los. Weil das Konzept von Thomas Gottschalks neuer Sonntagabend-Sendung schon sehr nach dem klingt, was sonst immer erst im Dezember über die Bildschirme flimmert (DWDL.de berichtete).

Als Alternative am arg redundanten Fernsehsonntagabend ist die Sendung allerdings eine willkommene Abwechslung. Ihr Untertitel lautet "Was bewegt Deutschland?", und von dem wolle man sich leiten lassen, sagt Spiegel-TV-Chefredakteur Steffen Haug, der für das dreistündige Live-Experiment verantwortlich ist: "Wir wollen die großen Themen unserer Zeit besprechen." Mit Gottschalk als Aushängeschild sei das "eine Riesenchance, Informationen einmal anders zu verkaufen".

In der Premiere geht es etwa um die Flüchtlingskrise, den Umgang mit Krebs, die Terrorgefahr vor der Fußball-EM – alles ungewöhnlich ernst für Gottschalk-Verhältnisse. Aber genau das war es wohl, das den Moderator überzeugt hat.

"Ich will mir keine Kompetenzen anmaßen, die ich nicht habe, und werde mich auch nicht als Journalist outen", erklärt Gottschalk in Berlin. Er wolle lediglich "fröhlich, aber reflektiert" das besprechen, was sein Publikum beschäftige. "Wir leben in unübersichtlichen Zeiten, bei manchen Themen bin ich auch überfordert. Aber es gibt sicher viele Zuschauer, die in solchen Momenten dieselben Fragen haben wie ich." Der Moderator sieht sich in einer "Stellvertreterrolle fürs Publikum". "Ich maße mir an, zu wissen, wie die Zuschauer ticken, denen ich da am Sonntagabend begegne."

"Es darf nicht die x-te Talkshow sein."

Thomas Gottschalk

Den Sendetermin am Sonntag sieht Gottschalk als Vorteil. "Am Samstagabend kann ich nur verlieren. Gegen den 'Tatort' reicht im Zweifel auch eine respektable Leistung. Günther mach ich ja auch keine Konkurrenz mehr", witzelt der Showmaster – und legt Wert darauf, dass "Mensch Gottschalk!" genau so wenig als Entertainment wie als klassische Gesprächsrunde verstanden werden soll: "Es darf nicht die x-te Talkshow sein."

Vermutlich wird's eher eine Mischung aus "stern tv" und besagten Jahresrückblicken, mit Einspielfilmen, für die der Gastgeber auch selbst unterwegs ist. Und ohne "Mails oder Tweets oder weiß der Teufel", wie Gottschalk versichert: "Ich brauch kein Trending Topic zu sein."

Dafür sorgen die Gäste der Auftaktsendung womöglich von alleine. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat zugesagt, Dieter Zetsche will mit dem Gastgeber über die Zukunft der Mobilität sprechen, Nena und die Pet Shop Boys sind da. Außerdem wird sich Gottschalk mit Samuel Koch unterhalten, der bei "Wetten dass..?" verunglückte. 15 Themen sind geplant. Das klingt arg ehrgeizig.

"Ich muss nicht mehr alles als 'the biggest show ever' verkaufen."

Thomas Gottschalk

Freilich soll es nicht den ganzen Abend über nur ernst zugehen. Die schwereren Themen kommen womöglich zu Beginn des Abends. Je später es wird, desto unterhaltsamer dürfte es auch im Studio zugehen. "Ich hoffe darauf, dass mir die Leute im Laufe des Abends mehrere Male zulaufen", sagt Gottschalk. Und verspricht, "um 21:45 Uhr jeden 'Tatort'-Zuschauer persönlich bei mir zu begrüßen".

Möglich ist das, weil die Sendung nicht aufgezeichnet wird, sondern direkt aus Berlin kommt. "Die Live-Situation ist mir natürlich die liebste. Die Form des Fernsehens, wie sie zunehmend über mich hereingebrochen ist, hat mich mehr unter Druck gesetzt als wenn ich um 20:15 Uhr rausgehe, 'Guten Abend' sage und bis 23 Uhr durchmoderiere."

Mit seinen Ausflügen in die Reality-Welten des Privatfernsehens hat der 66-Jährige offensichtlich abgeschlossen: "Ich bin nicht mehr gefährdet, alles als 'the biggest show ever' verkaufen zu müssen." Als ewiger Entertainment-Onkel will er aber auch nicht in Rente gehen und glaubt: "Die freundliche Belanglosigkeit von früher würde heute so nicht mehr funktionieren." Insofern ist "Mensch Gottschalk!" auch der Versuch, ein neues TV-Zuhause für Thomas Gottschalk zu finden.

"RTL, Spiegel TV und ich – da muss Bewegung von allen Seiten da sein."

Thomas Gottschalk

Vorerst soll es bei einer Ausgabe bleiben. Falls die bei den Zuschauern ankommt, sind weitere vorstellbar – aber mit langen Pausen dazwischen, wie alle Beteiligten versichern. Das mag am Aufwand liegen. Und daran, dass "Mensch Gottschalk!" über die Drittsendezeitenlizenz der dctp produziert wird, die sonst das klassische "Spiegel TV"-Magazin am späten Sonntagabend belegt. Sender und Produktionsfirma haben deswegen die Zustimmung der zuständigen Landesmedienanstalt eingeholt. Außerdem spart sich RTL – vermutlich in den Sommermonaten – drei reguläre "Spiegel TV"-Ausgaben, um die längere Sendezeit von "Mensch Gottschalk!" auszugleichen. Wiederholen ließe sich das nur eingeschränkt, wenn Spiegel TV mittelfristig nicht dem eigenen "Magazin" schaden will.

RTL widerum hat am Sonntagabend wenig zu verlieren. Die Sonntags-Blockbuster blieben zuletzt eher blass gegen die Spielfilm-Konkurrenz von ProSieben, den "Tatort" im Ersten und die ZDF-Schmonzetten.

Den Moderator braucht das alles wenig zu kümmern. Gottschalk sieht die Hamburger Magazin-Kollegen vor allem als Partner, die dafür sorgen, dass die Fakten in der Sendung stimmen, und der Sender lässt ihn machen. "RTL, Spiegel TV und ich – da muss Bewegung von allen Seiten da sein. Am Ende besteht fast die Gefahr eines öffentlich-rechtlichen Ergebnisses", meint Gottschalk – und versichert: "Aber meine Klamotten lass ich definitiv nicht von der Spiegel-TV-Redaktion aussuchen!"