Schon allein die weltweiten Ambitionen des israelischen Serienmarkts und die Expansionslust des Keshet-Konzerns haben die zweitägige INTV-Konferenz in Jerusalem zu einem lohnenden Ziel gemacht (DWDL.de berichtete). Allerdings muss man den Gastgebern zugute halten, dass sie die Nabelschau in eigener Sache eher diskret und indirekt betrieben. Vielmehr wurde die rege Präsenz prominenter TV-Entscheider genutzt, um jene Themen zu diskutieren, die die Branche derzeit nahezu global umtreiben. Allen voran die massive Ausbreitung von Video-on-Demand-Giganten wie Netflix und Amazon.

"Das ist kein Nullsummenspiel", frohlockten an zwei verschiedenen Stellen der Konferenz nahezu wortgleich Avi Nir, CEO der Keshet Media Group, und Casey Bloys, Programmchef des US-Pay-TV-Senders HBO. Beide vertraten die These, es sei eine falsche Annahme, dass die Zugewinne der einen Seite automatisch Verluste auf der anderen bedeuteten. "Die Entwicklung, die Netflix angestoßen hat, nützt uns sogar", pflichtete David Nevins bei, der CEO des zweiten großen US-Pay-TV-Anbieters Showtime. "Während unser klassisches Abo-Geschäft über Kabel und Satellit bestenfalls stabil bleibt, verdoppeln wir die Zahl der Streaming-Abos von Jahr zu Jahr." Eine absolute Zahl ließ Nevins sich unter Hinweis aufs Geschäftsgeheimnis nicht entlocken, während Bloys für sein OTT-Angebot "HBO Now" von aktuell fünf Millionen Abonnenten sprach – ein Zehntel aller Kunden.

Die Konsequenz, mit der die Veteranen des Bezahlfernsehens weiter 'over the top' gehen wollen, also Direkt-Abos via Internet-Streaming verkaufen, ist bemerkenswert. Für die CBS-Tochter Showtime stellte Nevins etwa in Aussicht, seine großen Sonntagabend-Serien wie "Homeland" oder "Billions" bald nicht mehr ab Sonntag 0:01 Uhr online zu stellen, sondern schon das ganze Wochenende über. "Dann haben die Leute 48 Stunden Zeit zum Gucken der neuesten Folge und können Montag früh im Büro mitreden wie bei einem linearen TV-Event", so Nevins. Je nach Serie säßen bei Showtime nur noch 18 bis 22 Prozent der Zuschauer live vorm Fernseher. Je neuer das Format, desto mehr werde von vornherein on demand geschaut.

Dass die positiv-gelassene Bestandsaufnahme der werbefreien Anbieter nicht eins zu eins aufs werbefinanzierte Free-TV übertragbar sei, warf Kevin Reilly in die Diskussion ein. Der Chief Creative Officer von Turner Entertainment und Senderchef der US-Kabelkanäle TBS und TNT sieht die TV-Werbung "generell unter Beschuss". Netflix & Co. hätten die Toleranzschwelle der Konsumenten verschoben. "Immer öfter höre ich das Kompliment: Serie XY ist so toll, dass ich lieber abwarte, bis ich alle Folgen am Stück abrufen kann", so Reilly. "So richtig freuen können wir uns darüber nicht, solange wir noch hauptsächlich über die Nielsen-Quoten der ersten sieben Tage gemessen werden." Immerhin seien die VoD-Abrufe von TBS und TNT 2017 um 70 Prozent gestiegen. Deutlich weniger TV-Spots als bisher – dafür gezielter eingesetzt und intelligenter ausgesteuert – seien im linearen Programm der einzig richtige Weg. Auch von NBC wurde unlängst bekannt, dass man ab Herbst 20 Prozent der Spots streichen will. Fox will seine Werbezeit bis 2020 gar auf zwei Minuten pro Stunde senken.

Weitere Herausforderungen für Serienmacher allerorten sind die explodierenden Budgets sowie der zunehmende Druck, möglichst große Namen vor und hinter der Kamera zu versammeln. In Jerusalem wurden so einige Beispiele dafür besprochen. Etwa die von Entertainment One für HBO produzierte Miniserie "Sharp Objects", die im Sommer laufen soll. In der achtteiligen Bestseller-Verfilmung nach Gillian Flynn ("Gone Girl") spielt Amy Adams eine frisch aus der Psychiatrie entlassene Reporterin, die in ihre Heimatstadt zurückkehrt, um dort im Mordfall an zwei Mädchen zu recherchieren. Regie führt Jean-Marc Vallée ("Big Little Lies"). "Bekannte Vorlage plus Hollywood-Star – besser und größer geht's kaum", sagte eOne-CEO Darren Throop.

"50 Millionen Dollar pro Staffel würden das, was wir vorhaben, niemals zum Fliegen bringen. Wir haben Großes vor"

HBO-Serienchefin Francesca Orsi über die geplanten "Game of Thrones"-Spin-offs

Showtime-Boss Nevins sprach über "Escape at Dannemora", eine für den Herbst geplante achtteilige Serie über einen schlagzeilenträchtigen Gefängnisausbruch von 2015 im Bundesstaat New York, für die Benicio del Toro und Patricia Arquette vor der Kamera von Ben Stiller stehen. Die HBO-Führungsmannschaft – neben Programmchef Bloys waren auch seine beiden Drama-Chefs Francesca Orsi und David Levine vor Ort – plauderte über die Fortsetzung des ursprünglich nur als Limited Series angelegten "Big Little Lies" mit Reese Witherspoon und Nicole Kidman. Da mit den Stars – wie sonst bei länger angelegten Serien üblich – keine Optionen für eine zweite Staffel vereinbart worden waren, umschrieb Orsi die Position des Senders in den Gagenverhandlungen wörtlich als "short of raped", also "fast wie vergewaltigt". Zu der Formulierung erklärte sie später in einem schriftlichen Statement, ihre "unangemessene Wortwahl" sei ihr "natürlich peinlich". Und weiter: "Wir sind extrem stolz auf 'Big Little Lies' und freuen uns auf die zweite Staffel."

Die Bücher für die zweite Staffel seien "ebenso gut, wenn nicht noch besser" als in der ersten. Viel Geld hat HBO auch für die bevorstehenden "Game of Thrones"-Spin-offs eingeplant. "50 Millionen Dollar pro Staffel würden das, was wir vorhaben, niemals zum Fliegen bringen. Wir haben Großes vor", sagte Orsi. "Drei, vier, fünf Spin-offs" seien mit verschiedenen Showrunnern in der Mache, um die Fantasywelt von George R.R. Martin weiter auszuloten. Angesichts des phänomenalen Erfolgs von "Game of Thrones" habe es sich "wie ein Dienstvergehen" angefühlt, den Stoff nicht fortzusetzen.

Im launigen Talk mit WME-Partner Marc Korman, einem der großen Hollywood-Agenten, machte die HBO-Crew deutlich, dass das üblich gewordene Packaging – also die Bündelung eines entwickelten Projekts mit Stars und Regie durch die Agenturen – Segen und Fluch zugleich sei. "Game of Thrones" sei ein gutes Beispiel, so Programmchef Bloys. "Das war damals ein langjähriger Prozess. Der erste Pilot war misslungen, deshalb mussten wir ihn mit anderer Regie und veränderter Besetzung komplett neu drehen. Ohne diese Entwicklung wäre 'Game of Thrones' nicht das geworden, was es heute ist. Heute kämen die Bücher gleich im festen Package mit der Regie zu uns und wir würden gezwungen, direkt einen Zwei-Staffel-Auftrag zu unterschreiben." Für den Verkauf einer neuen Serie seien solche Package-Deals, die auch in Europa zusehends üblicher werden, zweifelsohne gut, für die Qualität nicht unbedingt, ergänzte Drama-Chef Levine.

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