"That's a German series?!" Diese respektvoll-ungläubige Nachfrage war auf den Drama Series Days der Berlinale mehr als einmal von internationalen Einkäufern zu hören. Die deutsche Serie – über Jahrzehnte ein reines Selbstversorgermodell – hat sich zwar schon seit ein paar Jahren zum Exportgut gemausert. Doch aktuell präsentiert sie sich in ungekannter Breite und Vielfalt, wenn es um Genres, Themen und Stile geht. Das zeigten die umjubelten Festivalpremieren von "8 Tage" (ab 1. März bei Sky) und "M – Eine Stadt sucht einen Mörder" (ab 23. Februar bei TV Now) ebenso wie Einblicke in kommende Projekte auf dem Markt. Von Endzeit-Dystopie bis zu improvisierter Mockumentary scheint alles möglich.

An manchen Stellen hat die deutsche Branche freilich noch Nachholbedarf, wenn es nach einem geht, dessen Schaffen inzwischen Grenzen sprengt: Regisseur und Autor Edward Berger – seit "Deutschland 83", "The Terror" und "Patrick Melrose" weltweit gefragt – kritisierte bei seinem Auftritt in Berlin den hiesigen Umgang mit Talent. "Die richtige Wertschätzung für Künstler vor und hinter der Kamera müssen wir noch lernen", so Berger. "In den angloamerikanischen Märkten gibt es dieses ganz bestimmte Brennen für die besten Kreativen, die man für sein jeweiliges Projekt unbedingt braucht und für die man kämpft. Ein bisschen mehr davon würde auch in Deutschland gut tun."

Berger feierte in diesen Tagen eine Art Rundum-Präsenz, da auch sein neuer Spielfilm "All My Loving", vertrieben von Beta Cinema, in der Berlinale-Reihe Panorama lief. Zugleich stellte er seine frisch gegründete Produktionsfirma Gunpowder Films vor, die neben mehreren Filmen auch zwei Serien in der Mache hat: Als Showrunner und Regisseur wird Berger "Game Show" realisieren, das zur Zeit des Vietnamkriegs in Los Angeles spielt. Josh Brolin verkörpert einen Gameshow-Moderator, der aus politischen Gründen vom Bildschirm gedrängt wird. Außerdem entwickelt Berger die Dramaserie "Atomic Bazaar", die den geheimen Welthandel mit angereichertem Uran aufgreifen soll.

Dabei ist dem Top-Regisseur bewusst, wie hart der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Publikums für jede neue Serie ausfällt. "Angesichts der Vielzahl wird es immer schwerer durchzudringen", so Berger. "Jeder möchte gern das 'Big Little Lies' des Jahres landen – die Serie, über die jeder spricht. Ehrlicherweise gibt es heute schon beinah zu viele Serien. Wir sollten vielleicht etwas strikter bei der Auswahl von Projekten sein. Mir geht es jedenfalls so wie damals mit meinem ersten iPod: Irgendwann hatte ich so viel Musik darauf, dass ich nicht mehr wusste, was ich hören sollte, und dann gar nichts gehört habe."

Das gleiche Problem aus anderer Perspektive stellt sich auch für die Programmvertriebe, die all die neuen Serien international an den Mann bringen müssen. "Inzwischen ist zu viel Produkt im Markt", urteilte Beta-Film-Chef Moritz von Kruedener bei den Drama Series Days. "Die Herausforderung für uns liegt darin, jene drei bis vier Projekte pro Territorium und Jahr zu finden, bei denen man unbedingt dabei sein muss." Das könne man als Vertrieb nur schaffen, wenn man sehr nah an den Produktionsfirmen dran sei. Oder, wie im Fall Beta, gleich an etlichen beteiligt ist. Im modernen Serienmarkt hat sich der Stellenwert des Vertriebs massiv verschoben: Um kostspielige Projekte zu stemmen, reicht es längst nicht mehr aus, die fertig produzierte Serie ins Ausland zu verkaufen, sondern meist sind Vertriebe schon im frühen Stadium als Koproduktions- oder Co-Development-Partner mit an Bord.

"Wir sind in der Regel so früh mit so viel Geld drin, dass wir auch eine gewisse kreative Mitsprache haben müssen", so von Kruedener. Ein Beispiel, das Beta in Berlin vorstellte: der norwegische Achtteiler "Atlantic Crossing", koproduziert mit Cinenord Drama, mit Sofia Helin ("The Bridge") als Kronprinzessin Märtha und Kyle MacLachlan ("Twin Peaks") als US-Präsident Roosevelt. Die norwegische Prinzessin wurde 1940 zur einflussreichen Figur der Weltpolitik, als sie nach Washington reiste und Roosevelt letztlich zum Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg bewegte. Die Besetzung und der hohe US-Anteil der Story dürften aus Sicht von Beta Begehrlichkeiten weit über Norwegen hinaus sicherstellen.

Drama Series Days / NetflixNetflix nutzte die Drama Series Days für einen großen Aufschlag mit (v.l.) Kelly Luegenbiehl (Vice President International Originals, Europe/Turkey/Africa), Rachel Eggebeen (Director International Originals DACH), Kai Finke (Director Acquisitions & Co-Productions DACH), Damien Couvreur (Director International Originals France) und Diego Avalos (Director International Originals Spain)

Weit über Österreich hinaus wirkt wiederum das Band zwischen Beta sowie Autor, Regisseur und Produzent David Schalko. Während dessen serielles Fritz-Lang-Remake "M" in Berlin Premiere feierte, stieg Jan Mojtos Vertriebshaus auch ins Nachfolgeprojekt "Schwere Knochen" ein. Mit der Koproduktion von Superfilm und Satel Film verfilmt Schalko seinen eigenen Roman über vier KZ-Insassen, die im Wien der Nachkriegszeit zu Paten des organisierten Verbrechens aufsteigen. "'Once Upon the Time' meets 'Peaky Blinders' in der Stadt des 'Dritten Manns'", pitchte Superfilm-Geschäftsführer John Lueftner bei den Drama Series Days.

Dem Stöhnen über die Produktflut zum Trotz lautete das klare Signal von Berlin: Programmhunger der Plattformen und Erzähldrang der Kreativen werden noch einige Jahre für Wachstum sorgen, vor allem auch für hochwertige deutschsprachige Serien im internationalen Kontext. Am Tag der Weltpremiere des von Neuesuper für Sky Deutschland produzierten "8 Tage" konnte der Vertrieb Sky Vision namhafte Abschlüsse vermelden: HBO Europe hat das Endzeit-Werk für Skandinavien, Mittel- und Osteuropa sowie Portugal gekauft, Amedia für Russland, Globoplay für Brasilien.

Netflix wiederum – auf der Berlinale kontrovers diskutiert (DWDL.de berichtete) – nutzte die Plattform der Drama Series Days für ein klares Bekenntnis zu deutlich mehr lokalen Serien- und Filmprojekten in sämtlichen europäischen Märkten. In einer Runde mit gleich fünf Programmverantwortlichen der Streaming-Plattform wurden Sichtbarkeit und Ansprechbarkeit demonstriert. "Ich weiß, viele glauben uns das nicht, aber jeder von uns kann neue Projekte greenlighten", schmunzelte Kelly Luegenbiehl, Vice President International Originals für Europa, die Türkei und Afrika. Mehrere Direktoren aus ihrem Team wechseln in den nächsten Monaten von der Amsterdamer Europazentrale in ihre Heimatländer: Frankreich-Chef Damien Couvreur ins neue Pariser Netflix-Büro, Spanien-Chef Diego Avalos nach Madrid, wo Netflix bald sogar fünf eigene Studios betreibt. Konkrete Pläne für ein deutsches Büro gibt es noch nicht, dem Vernehmen nach könnte es aber in zwei Jahren soweit sein. "Wie man an unseren Abonnentenzahlen sieht, wachsen wir weiter stark international", so Luegenbiehl. "Entsprechend haben wir vor, das Investment in lokale Serien zu steigern, um es dem Wachstum anzupassen."

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