High-Budget-Synchronisationen gleichen Geheimagentarbeit

Es kann sogar noch extremer werden: Wenn der Synchronregisseur, der für die Marvel-Filme zuständig ist, für die nächste Produktion angeheuert wird, wird er dafür extra in die Vereinigten Staaten eingeflogen. Dort wird ihm der Film in einem Hochsicherheitskino unter strengster Bewachung vorgeführt. Nach einer anschließenden Besprechung, die ebenfalls im Kino stattfindet, muss eine umfangreiche Verschwiegenheitserklärung unterschrieben werden, ehe das Gebäude verlassen werden darf.

Der restliche Prozess erscheint noch absurder: Synchronschauspieler müssen sich bei solchen Filmen darauf einstellen, keine ganzen Szenen zu sehen zu bekommen. Um das Risiko von Informationsleaks zu senken, wird per sogenanntem "Rotoskop" dafür gesorgt, dass nur der Mund der zu synchronisierenden Figur auf der Leinwand prangt. Das macht es den Sprechern natürlich nicht gerade einfacher, in die Rolle zu finden. Jedoch sei es nun mal Teil des Handwerks, auch in solchen Situationen Leistung abzurufen, wie Götze betont.

Avengers: Endgame

Obwohl wir im Jahr 2019 leben, kann die fertige Fassung anschließend nicht einfach per WeTransfer an das Major-Studio geschickt werden. Das wäre ebenfalls viel zu riskant und eine Einladung für Datendiebe. Der hier werkelnde Synchronregisseur übergibt die vollständige Synchronisation auf einer Festplatte gespeichert in die Hände weiterer Securitys, die nun in den meisten Fällen nach London oder Los Angeles fliegen müssen, um die Vertonung an den Mischmeister weiterzugeben. Dieses Vorgehen spiegelt nicht die Normalität wider, ist bei High-Budget-Filmen wie den Marvel-Produktionen jedoch ein gängiges Konzept.

Ob nun bei Film- oder bei Seriensynchronisationen: Um Produktionsunterbrechungen vorzubeugen, wird ebenfalls gerne die Taktik gefahren, mehrere Varianten eines Takes zu produzieren. Der Auftraggeber kann sich dann einfach die Option herauspicken, die ihm am besten gefällt. Der Berg an Arbeit wird sich in den nächsten Jahren wohl nicht verkleinern: Mit neu auftretenden Anbietern wie Apple, Warner Bros. und Disney, die in naher Zukunft ebenfalls eigenen Content für ihre Streamingdienste auf die Beine stellen möchten, ist der Produktionsboom noch lange nicht am Ende angekommen.

Schwere Einstiegs- und faire Arbeitsbedingungen

Deswegen braucht der Markt "Nachwuchs ohne Ende", stellt Götze fest. "Jedoch gibt es auch viele alteingesessene Entscheider, die vorzugsweise auf jemanden zurückgreifen, bei dem sie bereits wissen, dass die Arbeit funktioniert." Dann wird eine etablierte Persönlichkeit lieber in eine stressiges Tages- und Nachtschichtsystem eingeteilt, als einem Newcomer die Chance zu geben, sich beweisen zu können. Wer sich vornimmt, Synchronsprecher zu werden, muss einen langen Atem beweisen. Paradoxerweise wäre die Branche gut damit beraten, Neueinsteiger einzuarbeiten. "Synchronisieren ist ein technischer Vorgang, der immer wieder geübt werden muss." Ohne Arbeitserfahrung gibt es allerdings keinen Job, gibt es keine Arbeitserfahrung, gibt es keinen Job.

Ob sich der Berufseinstieg aus künstlerischer Sicht lohnt, muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden. Der finanzielle Aspekt wurde für DWDL.de von Mike Götze etwas genauer zerlegt: "Der Mindestpreis für einen Take beträgt 3,50 Euro und kann sich in gewissen Fällen um ein paar Euro nach oben ziehen." Hinzukommt das sogenannte Kommgeld, auch als Fahrtkosten bekannt, welches ein Synchronschauspieler schlicht für sein Erscheinen erhält. "Sollte ein Sprecher an einem Tag also in vier Studios gebucht sein, kann er hier viermal Kommgeld abrechnen lassen, sagen wir für jeweils 60 Euro. Hinzu kommen im Schnitt überall 20 Takes – auf knapp 500 Euro am Tag kann man es also bringen."

Synchronstudio

Dass auch weniger bekannte Synchronsprecher gerecht bezahlt werden, ist unter anderem ein Verdienst des Synchronverband e.V., auch Die Gilde genannt. Die Gilde macht es sich seit 2011 zur Aufgabe, gemeinsam die Interessen der Synchronschaffenden wie Synchronstudios, Regisseure, Übersetzer, Autoren, Schauspieler, Aufnahmeleiter, Cutter und Tonmeister zu vertreten. Um gerechtere Branchenstandards durchzusetzen, haben sie 2016 ein Gütesiegel eingeführt, welches fair produzierte Werke kennzeichnen soll - dabei geht es neben anständige Arbeitsbedingungen auch um hohe Qualitätsstandards und ein förmliches Lob an alle, die sich daran halten. Um berücksichtigt zu werden, muss ein Synchronstudio auch Teil der Gilde sein. 

Die Gagen sind im Vergleich zu den zu sehenden Darstellern natürlich weiterhin klein. Doch in Zeiten wie diesen, in denen so viele Projekte synchronisiert werden müssen, wie noch nie zuvor, bietet der Markt beinahe optimale Bedingungen für all diejenigen, die Interesse am gesprochenen Wort haben.

Wie es sich als Synchronschauspieler leben lässt und was es zu beachten gibt, wenn dieser Berufsweg gewählt wird, erfahren Sie in den kommenden Tagen im DWDL.de-Gespräch mit Santiago Ziesmer, der Stimme von SpongeBob Schwammkopf.